Berlin - Das direkte Aufeinandertreffen von Amtsinhaber und Herausforderer sprach Bände. Auf der jüngsten BDI-Jahresversammlung redete der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder viel über Außenpolitik, lobte die Steuerreform und andere rot-grüne Projekte. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, gestand, er habe klare Aussagen vermisst, was der Regierungschef im Falle seiner Wiederwahl in den kommenden vier Jahren plane. Wenige Stunden später ergriff Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber auf der Veranstaltung das Wort. "Bleiben Sie der markante Stoiber, den wir kennen", forderte Rogowski, bevor der CSU-Chef zum Rednerpult schritt.
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Im Gegensatz zu Schröder versprach Stoiber, nach einem Wahlsieg am 22. September zentrale Forderungen der Wirtschaft zu erfüllen. Die Lohnnebenkosten, die Staatsquote und der Spitzensatz der Einkommensteuer sollten jeweils auf unter 40 Prozent gedrückt werden, sagte er. Die Veranstaltung wirkte wie ein Schulterschluss zwischen Unternehmern und Stoiber.
Die führenden Wirtschaftsverbände geben offiziell zwar keine Wahlempfehlungen ab. Sie lassen in ihren Statements allerdings immer wieder durchblicken, wen sie favorisieren und wen sie nicht so gut finden. Schröder beklagte kürzlich im Bundestag, dass mancher hochrangiger Verbandsfunktionär CDU-Mitglied sei und in Zeiten des Wahlkampfes nicht nur als Lobbyist für die Wirtschaft tätig sei, sondern auch für seine Partei.
Am weitesten lehnte sich bisher Rogowski aus dem Fenster. 24 Stunden vor der BDI-Jahrestagung Mitte Juni gab er eine Pressekonferenz, in der er das Ende des rot-grünen Bündnisses vorhersagte. Die SPD werde vielleicht wieder stärkste Kraft. Doch: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es diese Koalition noch mal schaffen wird." Der Koalition bescheinigte der BDI-Präsident dürftige Ergebnisse. "Ich kann im Saldo nicht sagen, dass das eine besonders erfreuliche Bilanz ist." Schröder war ziemlich sauer darüber, wie er zu Beginn seiner BDI-Rede deutlich machte.
Spricht Rogowski über die Liberalen, gerät er regelrecht ins Schwärmen. Im FDP-Wahlprogramm gebe es viele Punkte, "die mir außerordentlich gut gefallen". Andere Verbandsfürsten sind in Bezug auf Parteivorlieben zurückhaltender - allerdings nicht in der Sache. Zwar lobt die Wirtschaft, die rot-grünen Steuer- und Rentenreformen gingen in die richtige Richtung. Beide Neuerungen könnten aber nur der Beginn der Veranstaltung sein.
Stoibers Versprechen, Staatsquote, Lohnnebenkosten und den Spitzensatz der Einkommensteuer auf unter 40 Prozent zu drücken, lässt das Herz eines Unternehmers höher springen. Schröder und sein Finanzminister Hans Eichel lehnen dagegen jede weitere Steuersenkung ab. Für sie ist mit der bis 2005 angelegten Steuerreform - dann wird der Eingangssatz bei 15 und der Höchstsatz bei 42 Prozent liegen - das Ende der Fahnenstange erreicht. Alles andere könne sich der Staat nicht leisten, es sei denn, er gebe den Sparkurs und die Euro-Stabilitätskriterien auf.
"Man darf doch nicht jeden Vorschlag mit der Unfinanzierbarkeits-Keule niederreden", sagt ein hochrangiger Wirtschaftsfunktionär. "Die SPD ist einfach nicht mutig genug, weil ihr die Gewerkschaften im Nacken sitzen."
Im Grunde bekommen alle Parteien ihr Fett weg. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt kritisierte, dass zwar bis auf die PDS alle Bundestagsparteien die 40-Prozent-Marke bei den Lohnnebenkosten in ihren Wahlprogrammen anstrebten, jedoch kein Konzept vorlegten. Nach einem Treffen der Spitzenleute von Union und Verbänden kritisierten die Wirtschaftsbosse, dass CDU und CSU zwar gute Vorschläge machten. Allerdings fehlten "verbindliche Aussagen" über den Zeitplan, wann einzelne Vorhaben verwirklicht werden sollten.
Einen Vorteil im Ringen um die Gunst der Wirtschaft hat Schröder. Die von Rot-Grün zu Beginn dieses Jahres eingeführte Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne der Aktiengesellschaften will die Union wieder abschaffen, um das Geld dem Mittelstand zukommen zu lassen. Besonders die Industrie findet das alles andere als gut. Etliche Investoren hätten ihr Geld im Vertrauen auf die Steuerfreiheit in Deutschland angelegt und würden wohl kaum Verständnis dafür haben, dass der Fiskus nach einem Regierungswechsel doch zugreife.
Mit Schrecken wird im Unternehmerlager an eine große Koalition nach der Wahl gedacht. "Das wäre auf alle Fälle nur eine Notlösung", sagt Rogowski. Doch mit Blick auf die Tatsache, dass die Union momentan die Mehrheit im Bundesrat hat, fügt er hinzu: "Je nachdem, wie die Wahl ausgeht, haben wir entweder das Glück, dass die Koalition sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat eine Mehrheit hat, oder gar nichts mehr passiert. Dann schon lieber eine große Koalition."