Die Langzeitfolgen der Pandemie gehen weit über medizinische Defizite hinaus.
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Das Umschalten auf den Corona-Modus war ein plötzlicher Stress-Test für unseren Wirtschafts- und Lebensstil. Viele Schwachstellen wurden dabei sichtbar, die vom weitgehend unvorbereiteten Bildungssystem bis zur Überforderung der öffentlichen Einrichtungen reichen. Unter der Chiffre Long Covid entpuppen sich nun Langzeitfolgen, die weit über medizinische Defizite hinausreichen. Von den Lerndefiziten in den Schulen bis zu den monetären Defiziten in den öffentlichen Budgets wird deshalb nach neuen Antworten zu suchen sein.
Wie eine solche Long- Covid-Regeneration aussehen könnte, soll aus aktuellem Anlass für das Energiesystem skizziert werden. Gerade wurden die Energie-Eckdaten für das Corona-Jahr 2020 verfügbar, die mindestens zwei Überraschungen enthüllen: der Rückgang im Energieverbrauch ist fast ausschließlich auf die geringeren Verkehrsbewegungen zurückzuführen; den Zuwachs bei den Erneuerbaren rettete dank der guten Wasserführung die Wasserkraft, bei Windkraft ist jedoch ein kräftiger Rückgang zu verbuchen. Diese Eckdaten werden zu einem Covid-Energietest, wenn man sie mit den politischen Zielsetzungen für Energie und Klima konfrontiert.
Dazu hilft das mit viel Mühe konsensfähig gemachte Gesetz zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Dessen Intention, bis 2030 Elektrizität in Österreich im Jahresschnitt voll mit Erneuerbaren bereitzustellen, ist verknüpft mit einem Ausbauziel, das bis 2030 jede Woche die Inbetriebnahme von drei großen Windturbinen und bei Photovoltaik täglich die Installation von gut hundert Anlagen erfordert.
Bei erneuerbarer Energie ist somit der Covid-Energietest für 2020 schiefgelaufen und die Therapie für die Long-Covid-Regeneration bis 2030 nicht glaubwürdig. Der mit politischen Scheuklappen abgeschirmte Blick auf den Ausbau der Erneuerbaren hat die Wahrnehmung der Verwendung von Energie blockiert. Auch hier hilft der Covid-Energietest weiter.
Trotz des historischen wirtschaftlichen Einbruchs blieb der Energieverbrauch bei der Güterproduktion und den Dienstleistungen fast unverändert. Der fehlende Fortschritt bei der effizienten Verwendung lässt auch hier den Test scheitern. Das Energieeffizienzgesetz sollte Orientierungen geben. Für die überfällige Novellierung dieses Gesetzes ist aber nicht einmal ein Entwurf sichtbar.
Alarmsignale auslösen sollte der Covid-Energietest aber beim Verkehr. Das Testergebnis diagnostiziert, wie sensibel Verkehrsbewegungen und der damit verbundene Energieverbrauch bezüglich der räumlichen und zeitlichen Strukturen bei Arbeit, Wohnen und sonstigen Mobilitätserfordernissen ist.
2020 ist der Energieverbrauch im Verkehr um fast ein Fünftel gefallen. Ohne weitere Rückgänge in diesem Sektor werden weder die anzustrebende Halbierung des Energieverbrauchs bis 2030 noch die politisch paktierte Klimaneutralität bis 2040 erreichbar. Das soll aber ohne Lockdowns geschehen. Der Covid-Energietest von 2020 verweist in diesem Schlüsselbereich auf eine Long-Covid-Therapie, die von radikalen Restrukturierungen in Städten und Dörfern bis zu einer Neuorganisation der Arbeit reicht. Noch scheint dieses Testergebnis verdrängt zu werden.
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