Rhodopsin-Kristalle mit Synchrotron-Licht durchleuchtet. | Chance zum besseren Verständnis von erblichen Augenkrankheiten.
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Tübingen. Ein Team des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) in Villigen, Schweiz, unter Führung eines österreichischen Forschers hat die biochemischen Vorgänge beim Sehen weiter aufgeklärt. Dem Team um Gebhard Schertler und seinem deutschen Kollegen Jörg Standfuss gelang es weltweit erstmals, die Struktur-Veränderungen des roten, lichtempfindlichen Augen-Farbstoffs Rhodopsin aufzuklären.
Dies war nicht einfach, weil ein Teil des Rhodopsin-Moleküls, das Retinal, durch Lichteinfall gestreckt wird und danach automatisch wieder in den früheren, gekrümmten Zustand zurückkehrt, in dem es für Lichtreize empfindlich ist. Um dessen Struktur bestimmen zu können, veränderten die Forscher das Gen, das für Rhodopsin kodiert, damit dieses länger gestreckt bleibt. Danach wurde eine Menge an Rhodopsin-Molekülen hergestellt und kristallisiert. Deren Strukturanalyse erfolgte mit Synchrotron-Licht.
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Rhodopsin in der Netzhaut
Die Lichtablenkungen lieferten wichtige Hinweise zur Aufklärung der Struktur. Synchrotron-Licht besitzt ein besonders breites Spektrum vom Hochfrequenzbereich bis zu Gamma- und Röntgenstrahlen, ist polarisiert und stark gebündelt. Die Analysen wurden am SLS (Synchrotron-Lichtquelle Schweiz) des PSI durchgeführt. Weitere Analysen erfolgten in Frankreich und in England.
Für die Chemie des Sehens ist wichtig, dass sich der Sehfarbstoff Rhodopsin turnusgemäß und vollständig erneuert. Er sitzt in den Stäbchen der Netzhaut der Augen von Wirbeltieren, also auch beim Menschen. Rhodopsin wird durch einfallendes Licht in das zur Vitamin-A-Gruppe gehörende Retinal sowie in das Protein Opsin zersetzt. In der Dunkelheit wird es wieder aufgebaut. Vitamin A-Mangel führt zu verminderter Bildung von Rhodopsin, somit zu verminderter Lichtempfindlichkeit und zu Nachtblindheit.
Genetisch bedingt ist die Augenkrankheit Retinitis pigmentosa. Sie kann, beginnend mit Nachtblindheit und Einengung des Sehfelds (Tunnelblick), bis zur Erblindung führen. Die Sehstörungen treten ein, weil das durch die Lichteinwirkung zerfallene Rhodopsin nicht vollständig erneuert wird. Es bleibt "altes" Rhodopsin zurück, das nach und nach die Sehzellen "vergiftet." Entscheidend ist das Einsetzen der Degeneration der Fotozellen, die zum Sehen am Tag benötigt werden und in den Stäbchen in der Netzhaut sitzen, erläutert Standfuss.
In diesen Fotozellen sitzt das Rhodopsin in der Zellmembran und reagiert auf Lichtreize. Es besteht aus sieben stabförmigen Teilen, die von außen in das Zellinnere hineinreichen. Fällt Licht auf diese Stäbchen, verändern sie ihre Stellung. Diese Bewegung wird im Innern verursacht vom lichtempfindlichen Retinal, das sich zu strecken beginnt. Infolge dieser Bewegungen verändert sich die Stellung der Stäbchen, die für die Ausbreitung des sogenannten G-Proteinmoleküls Platz schaffen. Dessen Andocken löst eine Kaskade von Bewegungen im Augeninneren aus, die von einem Impuls an den Sehnerv, der ins Gehirn reicht, abgeschlossen werden.
Neue Behandlungen möglich
Da die Forscher nicht nur die Strukturaufklärung, sondern auch der Umbau des Rhodopsin-Gens gelang, können sie beliebig viele Genmutationen erzeugen. Sie können experimentell feststellen, welche strukturellen Veränderungen des Rhodopsins bestimmte Mutationen nach sich ziehen. Verschiedene auf dem Markt erhältliche Medikamente gegen Retinitis pigmentosa sollen nun überprüft werden. Auch sollen neue, strukturbasierte Medikamente am Computer entworfen werden.
Die bereits bekannten genetischen Veränderungen des Rhodopsins, die zu Sehstörungen führen, können nachgebaut und auf molekularer Ebene untersucht werden. "In Zukunft werden wir genau bestimmen können, in welcher Weise das Rhodopsin bei der Erkrankung verändert ist, und dann auch untersuchen, wie kleine Moleküle, die als Medikamente die Erkrankung aufhalten, in das Rhodopsin eingebaut werden können," erläutert Standfuss.
Das jetzt gute Verständnis für die Wirkungsweise von Rhodopsin kann helfen, die Arbeit von etwa 800 ähnlichen Molekülen im menschlichen Körper besser zu begreifen - sie steuern die Wahrnehmung von Gerüchen oder auch Hormone.