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Blick zurück mit ein bisschen Stolz

Von David Ignatius

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Kurz vor seinem Abschied als US-Generalstabschef ließ Mike Mullen seine Amtszeit Revue passieren und sprach über die Höhen und Tiefen des US-Militärs.


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Stehen wir am Beginn eines postmilitärischen Zeitalters? Das fragte ich mich beim Interview mit Admiral Mike Mullen in seiner letzten Woche als US-Generalstabschef, denn US-Top-Offiziere gehen heute davon aus, dass die größten Probleme nicht mit militärischer Macht zu lösen sind. Immer wieder tauchten diese und ähnliche Fragen in unserem Gespräch auf.

Mullen ist sehr erfolgreich in seiner Position. Die Probleme, die ungelöst bleiben, liegen im Umfeld des Militärischen, wo man mit konventionellen Waffen nichts ausrichtet. Der Kolumnist Joe Klein verglich Mullen einmal mit einem Landarzt. Und das ist er für das Militär tatsächlich - ein großer Bursche mit einer Syntax, die nicht immer jeden Satzteil einzeln bestimmt, der aber wie ein Kommandant wirkt und Politikern nicht mehr nachgibt als nötig.

Militäroffiziere sind von Natur aus Problemlöser, die alles gern in Ordnung bringen, es erschießen oder einen anderen Weg vorbei suchen. Das Meisterstück militärischen Könnens, der Angriff vom 2. Mai auf das Versteck von Osama bin Laden, ist also gerade das Richtige, um Mullen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Er hat das "Desert One"-Chaos von 1980 nicht vergessen: Helikopter, die nicht funktionierten, Flugzeuge in Not, keine Ersatzteile, schlechte Ausbildung.

Beim Angriff in Abbottabad auf Bin Laden gab es offensichtlich keine Kompetenzprobleme mehr. Nacht für Nacht führen die Special Operations Forces fast genauso komplizierte Einsätze aus. Mullen beschreibt den heutigen Militärapparat als "sehr effiziente, kampferprobte und -gestählte, außerordentlich professionelle, kompetente Streitkraft."

Was sind aber die tieferen, schwerer lösbaren Probleme? Sie haben mit Kultur zu tun, mit Verwaltung und mit subtilen psychologischen Einflüssen, die Menschen davon abhalten, das zu tun, was in ihrem Interesse liegt.

Die größte Frustration in seinen vier Jahren als Generalstabschef war für Mullen sicher Pakistan. Ihm wurde zunehmend bewusst, sagt er, dass die Probleme Pakistans in der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Struktur des Landes verwurzelt sind und nicht von den USA gelöst werden können. Und dann ist da auch noch Afghanistan. Mullen besteht darauf: Es sei keine teure Sackgasse, die Richtung stimme. "Die Entwicklung ist gut."

Mullen stört, dass diese großartige, professionelle Armee in den USA heute eine abgesonderte Klasse mit zu wenig Verbindung zum Rest des Landes ist: "Sie wissen nichts von den Höhen und Tiefen, die wir durchgemacht haben, von all den Einsätzen, von den Belastungen und der außerordentlichen Leistung."

Sein größtes Vermächtnis, dessen ist sich Mullen bewusst, wird das Beenden der Diskriminierung von Homosexuellen im US-Militär sein, das Abschaffen der Regelung "don’t ask, don’t tell" (frag nichts, sag nichts). Es war für ihn eine Gewissensfrage.

Am Freitag nimmt Mullen Abschied. Meine letzte Frage drehte sich um die politischen Abgründe, die er als überparteilicher Generalstabschef zu überbrücken versuchte. Es sei merkwürdig, sagte Mullen, dem irakischen Premierminister Nouri al-Maliki eine Vorlesung über gute Regierungsarbeit halten zu wollen, wenn es zu Hause "eine Menge Dinge gibt, die wir selbst nicht richtig hinkriegen". Ein funktionierendes politisches System, sagte Mullen abschließend - ob in Islamabad, in Kabul oder in Washington - übernehme die Verantwortung, die Probleme zu lösen, die der Gewalt der Waffen nicht weichen.

Übersetzung: Redaktion

Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".