Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nachrichten aus der Redaktion Teil 1: Das Außenpolitik-Ressort ist uneins. Wir diskutieren heftig darüber, ob Israels Kriegsdrohungen gegen den Iran dadurch verursacht sind, dass das israelische Volk durch den Holocaust kollektiv traumatisiert ist, oder ob die konservativ-religiöse Regierung von Benjamin Netanyahu dieses Trauma nur benutzt, um international Stimmung für das eigene Land zu machen und gleichzeitig von innenpolitischen Problemen abzulenken.
Es wird wohl eine Mischung aus beidem sein. Denn der Wille, nie wieder wehrloses Opfer sein zu wollen, paart sich in Israel auf seltsame Weise mit dem Beharren auf der besonderen Rolle des ewigen Opfers. Dafür sprechen auch die Worte, die Israels Parlamentspräsident Reuven Rivlin anlässlich der Bluttaten von Toulouse fand: "Das jüdische Volk steht wilden Tieren gegenüber, die unersättlich und von blindem Hass angetrieben sind", sagte er. Dass sich der Attentäter, mutmaßlich ein Islamist, auch französische Soldaten nordafrikanischer Abstammung als Ziel gewählt hatte, wurde dabei unterschlagen.
Angeblich wurde der Mann durch den Krieg in Afghanistan ebenso motiviert wie durch den israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt. Dass die Probleme in beiden Fällen ungelöst sind, zeugt vom Versagen des Westens im Bemühen, den Terroristen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der "Kampf gegen den Terror", den George W. Bush ausgerufen hatte, konnte zu leicht zu einem Kampf gegen den Islam umgedeutet werden. Rechte Kräfte in Europa nutzen denn auch die schrecklichen Vorgänge in Toulouse sofort wieder zur Schürung von Islamfeindlichkeit. Dabei war es ein deklarierter Gegner des Islam, der im vorigen Jahr in Norwegen 77 Menschen umgebracht hat. Und nicht zufällig hielt man zunächst auch einen Rechtsextremisten der Morde von Toulouse für fähig. "Blinder Hass" an allen Ecken und Enden, der sich gegenseitig hochschaukelt.
Nachrichten aus der Redaktion Teil 2: Die Außenpolitik-Redakteure werden ihre Diskussionen ohne ihren Ressortleiter weiterführen müssen. Denn der verabschiedet sich demnächst vom Tagesgeschäft, die Leser werden seinen Namen nur noch ab und zu in der Zeitung finden - etwa in einer am letzten Samstag jedes Monats erscheinenden Kolumne. Daher wird dieser Leitartikel, der sein erster ist, auch sein letzter sein.