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Blogger - das jüngste Gericht

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Die Demokratie ist immer auch abhängig von neuesten technischen Möglichkeiten. Das Internet beschleunigte den Rücktritt Köhlers.


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In Deutschland ist die modernste Facette der Evolution der Medien angekommen. Individuelle Internetbeiträge von Bürgern, sogenannte Blogs, sollen zum Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler beigetragen oder ihn sogar ausgelöst haben. Verändern Blogs die Basis der Demokratie?

Die heftige Debatte um einen kryptischen, missglückten Satz Köhlers im Zusammenhang mit seinem Besuch bei den deutschen Soldaten in Afghanistan, die militärische Sicherung deutscher Handelsinteressen betreffend, sind von den traditionellen Medien zunächst übergangen worden. Möglicherweise hatten sich die "etablierten" Journalisten gedacht: "Na und!" Der "Deutschlandfunk" gibt zu, "die Brisanz nicht erkennt zu haben".

Es waren zunächst Blogger, denen das Statement des Bundespräsidenten auffiel und merkwürdig dünkte. Sie meldeten sich im Internet zu Wort und gaben den Anstoß zu weiteren Debatten. Vermutlich kam durch sie auch der "Spiegel" auf die Spur. Hierauf lieferte dieser digital und gedruckt einen gehässigen Artikel, in welchem der Bundespräsident als "Horst Lübke" bezeichnet wurde, in Analogie zu seinem als tollpatschig verrufenen Vorläufer der 60er Jahre, Heinrich Lübke. Das Internet ist vollgestopft mit Beiträgen zu Köhler und Beiträgen zum Blogging.

Die wohlorganisierten Medien haben die Blogger-Dimension zwar schon lange wahrgenommen, aber nicht bewältigt. Das Grundprinzip ist ihnen nicht neu. Zeitungen pflegen seit jeher ihre Leserbriefseiten und setzen sie in Ausnahmefällen, wie man das vom österreichischen Boulevard kennt, sogar zur Meinungsmache ein. Bisher hat noch keine Zeitung die Kontrolle über ihre Leserbriefschreiber verloren. Was sich jedoch im Internet abspielt, geschieht jenseits jeder Kontrolle. Vor allem die anonym platzierten Äußerungen bestehen zum überwiegenden Teil aus blankem Unsinn und können zudem geradezu bösartig sein, denn hinter dem Schirm des Unerkanntseins glauben manche, sich entladen zu dürfen.

Sehr angenehm heben sich davon ernst zu nehmende, mit Namen und Rückfragemöglichkeit ausgeschilderte Beiträge von Personen ab, die sich am öffentlichen Dialog beteiligen wollen. Das ist eine Bereicherung der demokratischen Auseinandersetzung, die Bürgern die Chance gibt, durch Seriosität und Treffsicherheit des Urteils breitere Beachtung zu finden. Es kann durchaus geschehen, dass von dieser Seite wertvolle Gegenpositionen zum Mainstream aufgebaut werden, der in den vertrauten Medien vorherrscht. Die Beiträge folgen nicht dem, was gemeinhin unter veröffentlichter Meinung verstanden wird.

Die "alten" Medien werden noch manche Mühe aufwenden, um mit dem Tempo der Blogger Schritt zu halten. Sie müssen Kritik annehmen, sich aber hüten, überfahren zu werden. Bis zu einem gewissen Grad ist der Fall Köhler ein Lehrstück. Würde jemand tatsächlich einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Aufbegehren im Internet und Rücktritt des Bundespräsidenten herstellen, so würde das ja bedeuten: Wieder einmal eine hohe Institution, nämlich die des Staatsoberhauptes, zu Fall gebracht - wie schön! In Wirklichkeit wird der Rücktritt längst als unnötig empfunden.

Nein, mit dem jüngsten Gericht und dessen Gerechtigkeitsanspruch sind Blogger nicht zu verwechseln, auch wenn sich manche von ihnen so geben.

Der Autor ist Sprecher der

"Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt",

"Presse" und "Salzburger Nachrichten".