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Blufft Athen - oder wollen die anderen nur missverstehen?

Von Walter Kühner (Bürgerjournalist)

Gastkommentare

Griechischer Schein oder Wirklichkeit?| Weitverbreitetes Missverständnis der Pläne der neuen griechischen Regierung.


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Syriza hat mehrmals betont, mit der Troika kooperieren und verhandeln zu wollen. Nicht erwünscht hingegen ist die Präsenz von Troika-Abgesandten im Land (welche in Griechenland landläufig unter "Troika" verstanden werden), die nicht nur kontrollieren, sondern auch anschaffen, wo der Sparstift angesetzt werden muss, damit die "Reformen" (die aber keine sind) anerkannt werden.

Diese Troika-Präsenz wird einerseits als erniedrigend und entmündigend empfunden, andererseits hat sich gezeigt, dass die aufoktroyierten "Reformen" kontraproduktiv waren: Das BIP hat sich um 25% reduziert und der Schuldenberg ist weiter angestiegen - und dazu kam noch die Massenverelendung. Wenn sich die Wirtschaft in einer stetigen Abwärtsspirale befindet, kann sie sich nicht erholen. Das sollte eine Grunderkenntnis von Ökonomen sein. Krugman und Stiglitz predigen das seit langem. Am Ende dieser Abwärtsspirale bleibt ein Trümmerhaufen übrig - der Trümmerhaufen einer menschlichen und wirtschaftlichen Katastrophe.

Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen, will die neue griechische Regierung Umschuldungen und somit neue Schulden vermeiden. Sie will kein frisches Geld auf Pump. Das wird als Affront gegenüber den ach so gutmeinenden EU-Partnern ausgelegt, ist aber vielmehr ein entschiedenes "Nein, danke" für das Danaergeschenk: eine Absage an die dogmatische Austeritätspolitik.

Der neue Finanzminister Jánis Varoufákis sieht das grundlegende Missverständnis der Situation Griechenlands darin, dass die Insolvenz des Landes mit einer Illiquidität verwechselt werde, wie er in einem BBC-Interview am 30.1.2015 darlegte. "Würden Sie einem arbeitslos gewordenen Freund, der seine Raten nicht mehr zahlen kann, raten, er solle sie mit seiner Kreditkarte bezahlen?", stellte er die Gegenfrage. Genau in dieser Situation befände sich Griechenland seit fünf Jahren. Die neue Regierung wolle echte, strukturelle Reformen durchführen, das Land sei bisher "nicht reformiert, sondern deformiert worden". Ziel sei, den destruktiven Prozess nicht nur im Interesse Griechenlands, sondern der gesamten EU umzukehren. Soweit der neue griechische Finanzminister und Ökonom, Verfasser des Buchs "Der globale Minotaurus", in dem er die seiner Ansicht nach eigentlichen Ursachen der Finanzkrise von 2008 darlegt, sowie u.a. mit James K. Galbraith Co-Autor der Studie "A Modest Proposal for Resolving the Eurozone Crisis".


Wo Unverständnis und Missgunst herrscht, blühen Verschwörungstheorien

Wenn aber die Troika - unter der Ägide Ihrer Majestät Angela I. (aus dem Geschlecht der ostdeutschen Uckermärker, ungekrönte Königin des Hartz-IV-subventionierten Exportweltmeisters Deutschland und hofiert als Kaiserin der austeren EU) - auf ihrem Kurs der kontraproduktiven Austerität beharrt und Griechenland keinen Zahlungsaufschub gewährt und somit Aléxis Tsípras keine Zeit lässt, überhaupt damit beginnen zu können, das Programm der griechischen Regierung umzusetzen, dann kann es schon dazu führen, dass Griechenland sich an Russland um finanzielle Unterstützung wendet.

Dann werden sich jene Kommentatoren, die eh schon immer über die religiös-orthodoxe sowie kommunistisch-orthodoxe Achse Athen - Moskau Bescheid wussten, darin bestätigt fühlen, dass sich ihre Prophezeiung erfüllt hat. Nur übersehen sie dabei, dass sie nur als Folge von Intransigenz und Unverständnis "unter Freunden" (unter EU-Freunden wohlgemerkt!) eingetreten ist, nicht weil das Prophezeite von vorneherein als Möglichkeit angedacht war. Die Verschwörungsstrategen wissen: Ein permanentes Drängen in ein bestimmtes Eck ebnet den Weg für sich selbst erfüllende Prophezeiungen, indem es andere Wege versperrt. Das ist eben der Unterschied zwischen nachträglich behaupteter und antizipativ produzierter Verschwörung.

Wenn einem Land ständig signalisiert wird, unterwerfe dich unseren Bedingungen (die bisher nur Verelendung und sonst nichts gebracht haben) oder schleich dich, dann wird ein Deal mit Russland tatsächlich realistisch. Wenn Griechenland in den Grexit getrieben wird, dann sind die Reaktionen der EU-Partner auch nicht mehr von Belang. Und die Ereignisse in der Ukraïne spielen in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle.

Putin würde die Gelegenheit, die EU zu ärgern und einen Keil zwischen die EU-Länder zu treiben, sicher gerne ergreifen, daran besteht kein Zweifel. Eine Schwächung der EU liegt in seinem Interesse, um auf der ökonomischen Ebene die russischen Interessen zu stärken und auf der ideologischen die Überlegenheit seines eurasischen Gegenmodells zu demonstrieren.

Die SYRIZA-Regierung wäre bei einer Anlehnung an Russland zwar innenpolitisch erledigt, aber das wäre sie auch bei einem von den "EU-Freunden" de facto erzwungenen Grexit. Somit wäre es allemal noch eine letzte Chance, auf die russische Karte zu setzen, um den verfahrenen Karren aus dem Schlamassel zu ziehen.


Tragödie ohne Ende?

So dilettantisch wie die EU bei der Krisenbewältigung bisher agiert hat, ist es durchaus denkbar, dass die EU-Politiker, von unheilbarer Blindheit geschlagen, Griechenland auf dem Altar der Austeritätspolitik opfern und die EU mit großen Schritten Richtung Bedeutungslosigkeit führen.

Die kleine griechische Tragödie würde dann zur großen europäischen Tragödie. Die Selbstauflösung der EU wäre eingeläutet. Grexit, Brexit, ...

Zum Abschluss noch ein Zitat von Jánis Varoufákis aus einem Plädoyer für eine hegemonische anstatt autoritäre Führungsrolle Deutschlands:
"Die Eurozone kann nicht ohne aufgeklärte deutsche Führung überleben. Ein atavistisches Festhalten an schlecht konzipierten Regeln wird den Euro auf den Mülleimer der Geschichte beschränken, was zu einem anderen Trauma führen und den Vorwurf des Autoritarismus nach sich ziehen wird. Deutschland kann den Euro retten und seinen berechtigten Platz an Europas Tisch beanspruchen, aber nur wenn es eine hegemonische Haltung annimmt. Ein echt hegemonisches Deutschland muss neue Regeln ersinnen, die Abschied nehmen vom Projekt, den Rest der Eurozone in Bismarck'sche Nettoexport-Nationalstaaten zu verwandeln. Es [ein aufgeklärtes hegemonisches Deutschland] wird verstehen, dass eine tiefere Ursache seines Erfolges darin liegt, dass der Rest Europas nicht wie Deutschland ist."


(Notiz am Rande: Die Athen-Moskau-Verschwörungserotiker werden sich sofort bestätigt fühlen, wenn sie erfahren, dass zum Chef des Geheimdienstes der Journalist Jánnis Roubátis bestellt wurde, der in seinem Buch "Tangled Webs: US in Greece 1947-1967" die Kooperation der konservativen Regierungen mit dem US-Geheimdienst aufgezeigt hat.)

BBC-Interview mit Jánis Varoufákis
Jánis Varoufákis: "Germany's Choice: Authoritarianism or Hegemony?"