Junge Generation sympathisiert offen mit Rechtspartei Jobbik.
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Budapest. Bei den meisten Ungarn sorgen die jüngsten antisemitischen Vorfälle in Budapest nur mehr für ein resigniertes oder gar gleichgültiges Achselzucken. Am vergangenen Mittwoch fand ein Freundschaftsspiel zwischen den Fußballmannschaften von Ungarn und Israel statt. Ungarische Fans stimmten beim Abspielen der israelischen Nationalhymne antisemitische Tiraden an. Während des Spiels erklangen Rufe wie "dreckige Juden", "Buchenwald" oder "Viva Mussolini". Dem Redakteur des Privatsenders ATV Peter Morvay zufolge gingen die Störaktionen von einem "ganzen Haufen" aus. Bekannt wurde all das durch einen Bericht der "Jerusalem Post" vom Montag.
Dabei wird ein Muster in der Berichterstattung über Antisemitismus in Ungarn deutlich. Publik werden die meisten Vorfälle erst durch auswärtige Beobachter. So waren es Reporter des britischen Boulevardblatts "The Sun", die den im Juli festgenommenen mutmaßlichen Kriegsverbrecher Laszlo Csatary enttarnten. Anfang August machte die slowakische Tageszeitung "Pravda" darauf aufmerksam, dass sich in Kolontar nahe des Plattensees - der Ort wurde im Oktober 2010 unter einer Rotschlammwelle begraben - eine der rechtsextremen Partei Jobbik nahestehende "Bürgerwehr" breitmacht, die gezielt gegen Roma vorgeht.
Im Falle der Fußballpartie wurde die Sache ausgerechnet am 20. August bekannt. An diesem Tag gedenken die Ungarn ihres ersten Königs und Nationalheiligen Stephan, der die heidnischen Magyaren christianisierte.
Bisher verschließt sich die ungarische Gesellschaft einer fundierten Auseinandersetzung mit Antisemitismus. Dabei fallen die Parolen von Rechtsextremen in Ungarn offenbar auf besonders fruchtbaren Boden. Anfang des Jahres bescheinigte eine von der deutschen Regierung eingesetzte Expertenkommission den Ungarn, dass außer den Polen kein Volk innerhalb der EU so antisemitisch eingestellt sei wie sie. Und nach jüngsten Umfragen sympathisiert ein Drittel der unter 37-Jährigen mit dem Jobbik. Daran dürfte sich wegen der äußerst ungünstigen Perspektiven für junge Menschen kaum etwas ändern. Zuletzt waren knapp 27 Prozent von ihnen arbeitslos. Ungarn gehört damit zu den zehn EU-Staaten mit der höchsten Arbeitslosenquote unter jungen Menschen.
Streit um Szegedi
In jüngster Zeit dominierte Jobbik auch das Mediengeschehen. Anlass war der Parteiaustritt des früheren stellvertretenden Vorsitzenden und Europaabgeordneten Csanad Szegedi. Er will vor kurzem in seiner Familie "jüdische Wurzeln" entdeckt haben. Das gab er bekannt, als das offizielle Ungarn des 100. Geburtstags von Raoul Wallenberg gedachte, der 1944 Tausende Juden in Budapest vor Deportation und Vernichtung bewahrte. Am Tag vor dem Spiel in Budapest hat das israelische Nationalteam den Gedenkpark für Wallenberg sowie die große Synagoge besucht, einen Tag später wurde das Team im Stadion ausgepfiffen und beschimpft.
Mit dem Jobbik ringt der ausgetretene Szegedi nun um sein Mandat im Europaparlament. Übrigens wird er nicht müde, bei den ungarischen Juden Abbitte für all das zu leisten, "womit Jobbik sie verletzt haben könnte".
Dabei stimmt vieles misstrauisch. Es ist kaum vorstellbar, dass der Politiker etwa nichts davon wusste, dass seine Großmutter nach Auschwitz deportiert wurde. Manch einer vermutet deshalb hinter den Querelen um Szegedi einen sehr eigenwilligen Propagandafeldzug. Immerhin ist der Parteivorsitzende Gabor Vona öffentlich präsenter denn je. Wegen des Streits mit Szegedi betonte er mehrfach, Jobbik sei keinesfalls antisemitisch, vielmehr christlich-patriotisch orientiert. Das verkündete er etwa im rechtskonservativen "Magyar Hirlap", der Zeitung, für die der Lieblingsjournalist von Ministerpräsident Viktor Orban, Zsolt Bayer, regelmäßig scharfzüngige Kolumnen verfasst. Die Regierungspartei Fidesz scheint damit anders als von ihren Spitzenleuten behauptet nicht mehr gegen Rechtsextremismus gefeit. Vergessen scheinen die Zeiten, in denen das eine oder andere Fideszmitglied wegen antisemitischen Äußerungen noch aus der Partei ausgeschlossen wurde.
In jedem Falle steht die Regierung vor einem Dilemma. Die Beziehungen zu den jüdischen Repräsentanten in Budapest scheinen zwar so gut wie lange nicht. Außerdem wurde 2012 zum Wallenberg-Gedenkjahr erklärt und führte eine der ersten Auslandsbesuche von Staatspräsident Janos Ader nach Israel. Die Fassade bröckelt aber erheblich. Nach der jüngsten Novelle des Kirchengesetzes waren nämlich beispielsweise reformierte Juden nicht mehr automatisch als Kirche oder Glaubensgemeinschaft anerkannt. Außerdem wurde Parlamentspräsident Laszlo Köver von der israelischen Regierung zur persona non grata erklärt, weil er sich für den in den dreißiger und vierziger Jahren überaus populären, heute als profaschistisch und antisemitisch geltenden Schriftsteller Jozsef Nyirö einsetzt.