Zum Hauptinhalt springen

Blutige Krawalle zum Jahrestag

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Demonstranten stürmten Präsidentenpalast in Kairo.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Kairo. Dramatische Szenen haben sich am zweiten Jahrestag der ägyptischen Revolution abgespielt. Während die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo, wo am 25. Jänner 2011 der Aufstand begonnen hatte, diesmal vergleichsweise friedlich verliefen, gab es in den Nebenstraßen und vor dem Präsidentenpalast blutige Krawalle. Als Demonstranten versuchten, die frisch befestigten Betonblöcke zur Behinderung des Durchgangs zum Parlamentsgebäude herunterzureißen, griffen die Sicherheitskräfte ein und versprühten Tränengas, das auch zum nahen Tahrir-Platz hinüberwehte. Mindestens 300 Menschen sollen hier und in anderen Städten Ägyptens verletzt worden sein, landesweit wurde von neun Toten berichtet.

Genau wie vor zwei Jahren hing auch am Freitag wieder beißender Dunst über dem Tahrir-Platz, dem Epizentrum der Revolution. Doch die Proteste haben inzwischen eine andere Dimension erreicht. Während sich vor zwei Jahren die Auseinandersetzungen fast ausschließlich auf dem Tahrir-Platz abspielten, finden sie jetzt dezentralisiert in verschiedenen Bezirken Kairos statt. Die Demonstranten zogen am Freitag auch zum Präsidentenpalast. Diesmal galten die Sprechchöre nicht dem bereits gestürzten Hosni Mubarak, sondern seinem Nachfolger Mohammed Mursi. Der vielen bereits verhasste Staatschef konnte durch einen Hinterausgang fliehen, als die Demonstranten den Palast zu stürmen versuchten.

Auch in den beiden anderen Hochburgen der Revolutionsbewegung, Alexandria und Suez, gab es blutige Straßenschlachten. Der Sitz der Regionalverwaltung in Suez wurde mit Steinen beworfen, woraufhin die Polizei Tränengas einsetzte. In der Stadt Ismailia am Sueskanal zündeten Randalierer das Parteibüro der Muslimbrüder an und verwüsteten das Gouverneursgebäude.

Neues Selbstbewusstsein zwei Jahre nach Revolution

Eines haben die Ägypter in den zwei Jahren seit Ausbruch der Revolution erreicht: Sie haben die Angst vor der Staatsmacht verloren. Gerade einmal 18 Tage hatte es gedauert, bis der bis dahin allmächtig geglaubte Machthaber Mubarak gestürzt war. Dass Menschenmassen Derartiges bewirken können, hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der 83 Millionen Ägypter eingegraben. Für manche grenzt es noch immer an ein Wunder. Und so sah man sie am Freitag auf dem Tahrir-Platz staunend über den mittlerweile völlig heruntergekommenen Ort schreiten, der für sie zur Ikone geworden ist.

Manche sind der Meinung, dass das, was vor zwei Jahren hier passiert ist, heute wiederholt werden könne. "Wir wollen den Sturz des Regimes!", schrien sie bei einer Demonstration wieder und wieder. Diesmal richtet sich der Zorn gegen die Muslimbrüder, deren prominentester Vertreter Mursi zum Rücktritt aufgefordert wurde: "Nach zwei Jahren ist keine unserer Forderungen nach Brot, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit erfüllt."

Dass viele nicht mit dem neuen Präsidenten einverstanden sind, haben bereits die vergangenen Wochen und Monate gezeigt, in denen die Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern immer heftiger geworden sind. Auch im Vorfeld des zweiten Jahrestages der Revolution, für den die Protestbewegung zu Sternmärschen hin zum Tahrir-Platz aufgerufen hatte, war es zu Straßenschlachten gekommen.

Streiks und Sit-ins gibt es mittlerweile fast täglich, Metrostationen werden belagert, Zuggleise besetzt. Die bisher blutigsten Straßenschlachten gab es im Vorjahr beim Präsidentenpalast im Stadtteil Heliopolis, dicht am Flughafen, und in der Media-City am Rand der Hauptstadt. Großdemonstrationen gab es vor der Universität in der Nähe des Zoos.

Oppositionsführer Mohammed El-Baradei, früherer Chef der Internationalen Atomenergiebehörde und Friedensnobelpreisträger, rief die Ägypter auf, "an jedem Platz und überall dafür zu demonstrieren, dass die Revolution weitergeht". Die liberalen Oppositionsgruppen und große Teile der Revolutionsaktivisten werfen dem Präsidenten vor, ein autokratisch islamisches Regime errichten zu wollen, das die Rechte von Frauen, Christen und Minderheiten ignoriere.

Mursi dagegen rief zu einem nationalen Dialog auf und lud alle Oppositionskräfte ein, gemeinsam die riesigen Probleme des Landes anzugehen. Seine Anhänger bat er, nicht zum Tahrir-Platz zu gehen, um Eskalationen zu vermeiden. Stattdessen sollten sie Dörfer und Städte, in denen der Müll sich stapelt, säubern und "eine Million Bäume pflanzen".