Zum Hauptinhalt springen

Blutige Ministernase und ausgestreckte SPÖ-Hände

Von Karl Ettinger

Politik

Die Aufhebung der letzten Corona-Regeln wurde beschlossen. Eltern-Kind-Pass scheiterte vorerst an einem Formalfehler.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Allzu viel hat die Koalition von ÖVP und Grünen an Gesetzesmaßnahmen dem Hohen Haus nicht vorzulegen, nachdem zuletzt gegenseitige Blockaden im Vordergrund gestanden sind. So reichten die Materien auf der Tagesordnung auch nur für einen Sitzungstag des Nationalrats im Juni, dieser war am Mittwoch.

Dabei drehte sich das meiste um Gesundheitsfragen, beginnend damit, dass Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) nach einem Jahr im Amt mit dem neuen Finanzausgleich einen "Kraftakt" für Verbesserungen in der Versorgung vor allem im niedergelassenen Bereich versprach. Später stand der Schlussakkord zu den noch bestehenden Corona-Sonderregelungen ab Anfang Juli auf der Tagesordnung und auch eine Ausweitung des Eltern-Kind-Passes.

Auf einmal ist Gesundheit "Chefsache"

Die Grünen lieferten zunächst ab 9 Uhr ihrem Gesundheitsminister Rauch in einer Aktuellen Stunde die Möglichkeit, noch einmal die Werbetrommel für Reformen im Zuge des ab 2024 angestrebten neuen Finanzausgleichs zu rühren. Mittlerweile hat es sich selbst bis an die Regierungsspitze herumgesprochen, wie groß die Belastung für Beschäftigte in Gesundheitsberufen inzwischen ist und wie sehr Patienten durch lange Wartezeiten, Hunderte mangels Personals leerstehende Spitalsbetten und wegen verschobenen Operationen leiden - zusätzlich zu ihren Beschwerden. Bundeskanzler ÖVP-Obmann Karl Nehammer hat auf einmal die Gesundheitsmisere zur Chefsache gemacht und beispielsweise noch für heuer zusätzliche Kassenarztstellen angekündigt.

In der "ZiB 2" am Dienstag musste sich der Regierungschef allerdings von seinem schwarzen Parteikollegen aus Wels und obersten Vertreter der Wirtschaft in der Gesundheitskasse (ÖGK), Peter Lehner, belehren lassen, dass nicht einmal alle jetzt offenen Kassenstellen besetzt werden könnten. Der Rechnungshof hat der ÖVP und FPÖ nachträglich vielmehr die Leviten gelesen, dass die vor 2020 von der türkis-blauen Regierung vollmundig versprochene "Patientenmilliarde" letztlich sogar zu Mehrkosten führe.

Minister Rauch war im Hohen Haus so ehrlich einzugestehen, dass auch er beim Reformanlauf zu einer Gesundheitsreform, bei der für Patienten die E-Card und nicht eine Kreditkarte für eine rasche Behandlung zählen müsse, scheitern könne. Aber auch wenn ihm viele prophezeiten, er werde sich "eine blutige Nase holen", sieht er die laufenden Verhandlungen über den Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden als einzige realistische Chance, innerhalb der nächsten fünf Jahre Verbesserungen in die Wege zu leiten. Dazu zählte er, wie schon zuvor der grüne Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner, speziell den Ausbau der sogenannten Primärversorgungszentren, in denen mehrere medizinische Berufsgruppen zusammenarbeiten.

120 Primärversorgungszentren geplant

Unmittelbar davor hatte die Bundesregierung im Ministerrat grünes Licht für ein neues Gesetz für die Primärversorgungseinrichtungen gegeben, mit weniger bürokratischen Hürden bei der Einrichtung. 120 solche Ärztezentren statt der weniger werdenden Hausärzte soll es künftig mit 100 Millionen an EU-Mitteln geben. Der Haken dabei ist allerdings, dass die Möglichkeit für Primärversorgungszentrum schon 2017 geschaffen wurde. 79 wurden angekündigt, erst 40 gibt es tatsächlich, also gerade einmal die Hälfte, in manchen Bundesländern suchen Patienten diese Zentren immer noch vergeblich.

Rauch sah jedoch das Bemühen und die Erkenntnis bei Bundesländern und Sozialversicherungen, dass die Neuverteilung der Steuermittel beim Finanzausgleich für Reformen bei der Gesundheitsversorgung genützt werden müsse: "Es kann nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen". Eine Neuverteilung der Kompetenzen im Gesundheitswesen im Zuge einer Staatsreform hält der Ressortchef hingegen für unrealistisch. Freilich haben schon vor Rauch Generationen an Gesundheitspolitikern die Stärkung der niedergelassenen Ärzte versprochen, weil dies billiger als die Behandlung in Ambulanzen und Krankenhäusern sei. Und noch ist nicht einmal sicher, ob sich Bund, Länder und Gemeinden heuer im Herbst auf einen neuen Finanzausgleich einigen.

ÖVP-Gesundheitssprecher Josef Smolle, der seit mehr als 40 Jahre Arzt ist, redete betont ruhig im Stile eines vertrauensvollen Mediziners ebenfalls dem Ausbau der Primärversorgungszentren das Wort. Diese hätten "Charme", etwa durch längere Öffnungszeiten. Mittelfristig müsse aber auch das Kassensystem wieder attraktiver gestaltet werden. Bei der Pflege sah Smolle die Koalition mit insgesamt 38 Maßnahmen schon weiter.

Neuer SPÖ-Klubvorsitzender versöhnlich

Bei der SPÖ war der Kärntner Philipp Kucher noch hörbar ganz freudetrunken wegen seiner Bestellung am Dienstag zum geschäftsführenden Klubvorsitzenden unter dem neuen SPÖ-Bundesparteichef Andreas Babler. Während die Sozialdemokraten in den vergangenen Wochen gegenüber der Regierung stets Gift und Galle gespuckt hatten, bot der Neue an der Spitze des SPÖ-Parlamentsklubs ausdrücklich Unterstützung bei Gesundheitsreformen an. Wenn die Koalition dabei etwas auf die Reise bringe, "ist die Hand ausgestreckt", versicherte Kucher.

Der Unterschied zur Oppositionspartei FPÖ hätte nicht deutlicher sein können. FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak wetterte ganz im Stile seines Klub- und Parteiobmannes Herbert Kickl und warf der Regierung bezüglich Gesundheitsreformen vor: "Es ist eine Riesenenttäuschung." Während die Regierung zur Bekämpfung der Pandemie seit März 2020 einen zweistelligen Milliardenbetrag locker gemacht hat, vermisste der blaue Redner zusätzliche Mittel. Obwohl es nach längerer Verzögerung zumindest auch Prämien des Bundes für Gesundheitsbedienstete gegeben hat, behauptete Kaniak dennoch, die Regierung habe die seinerzeitigen "Helden des Alltags" während der Pandemie "im Regen stehen lassen".

Wieder einmal wesentlich differenzierter als die FPÖ, die mit dem verbalen Dreschflegel auf ÖVP und Grüne einschlug, fiel die Kritik von Neos-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger zu den im Vergleich hohen Gesundheitsausgaben in Österreich aus, die im Jahr 2022 laut Statistik Austria erstmals über 50 Milliarden Euro lagen. "Wie in vielen anderen Bereichen werfen wir relativ viel Geld zum Fenster hinaus", beklagte sie mangelnde Effizienz. Zur Untermauerung führte die Neos-Chefin an, dass in Schweden die Menschen 72,7 Jahre gesund leben könnten, in Österreich hingegen nur 58,7 Jahre.

Ausweitung des Eltern-Kind-Passes bis 2026

Gesetzesbeschlüsse zum Gesundheitswesen standen danach im Rahmen der Mittwoch-Tagesordnung auf dem Programm. Einmal ging es dabei noch um das leidige Thema Corona, allerdings mit der weitreichenden Aufhebung der letzten noch bestehenden Sonderregelungen ab 1. Juli dieses Jahres.

Vorgesehen war am Mittwoch auch der Beschluss zur Umstellung des bisherigen Mutter-Kind-Passes zu einem erweiterten Eltern-Kind-Pass, mit dem eine umfassende Behandlung und Vorsorge für Babys und Kinder verbunden ist. Auch in dieser Frage haben die Verhandlungen monatelang gedauert. Gescheitert ist die Reform nun vorerst an einem Formalfehler, der nicht reparabel war. Daher muss die gleiche Vorlage nun als Initiativantrag neu eingebracht werden und kann erst beim Plenum im Juli beschlossen werden.

Der Mittwoch-Parlamentstag ist auch die letzte reguläre Sitzung, über die die "Wiener Zeitung" vor der Einstellung der Print-Ausgabe mit 30. Juni berichtet. Über das Parlamentsfinale vor dem Sommer, das jedes Mal eine ganze Fülle an Gesetzesbeschlüssen bringt, werden sich treue Leser der "Wiener Zeitung" medial anderweitig informieren müssen.

Hinweis: Nachdem der Formalfehler beim Eltern-Kind-Pass bekannt wurde, wurde der Artikel aktualisiert.