Knapp gewählter Präsident Maduro verdächtigt die Opposition, einen Staatsstreich zu planen.
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Caracas. Der ohrenbetäubende Lärm ist nicht zu überhören. Hunderttausende wenn nicht gar Millionen Venezolaner machten am Montagabend (Ortszeit) mit Kochtöpfen und Löffeln bewaffnet auf den Straßen und den Balkonen ihrem Unmut gegen den Nationalen Wahlrat CNE Luft. Der hatte zuvor abgelehnt, das knappe Ergebnis nicht wie von der Opposition gefordert transparent und öffentlich nachzuzählen. Auch das Regierungslager hatte sich vorbereitet: Um den angekündigten Protest zu übertönen, ließen sie Feuerwerksraketen in den Himmel steigen. Das Resultat war ein bizarrer Klangteppich.
Am Tag darauf ging es blutiger zu. Der Widerstand der Opposition gegen das Ergebnis der Präsidentenwahl in Venezuela hat die ersten Todesopfer gefordert. Bei Protesten sind mindestens sieben Menschen ums Leben gekommen und 61 verletzt worden, wie Venezuelas Chefanklägerin Luisa Ortega in der Hauptstadt Caracas mitteilte.
Seit Tagen demonstrieren die Anhänger von Oppositionsführer Henrique Capriles gegen das ihrer Meinung nach manipulierte Ergebnis. Dem Capriles-Lager liegen nach eigenen Angaben mehr als 3000 Hinweise über Wahlmanipulationen vor. Ob diese stichhaltig sind, wird nun niemand mehr nachprüfen können. Der von den regierenden Sozialisten dominierte Wahlrat hat bereits Fakten geschaffen und Nicolas Maduro, den Wunschnachfolger des verstorbenen Revolutionsführers Hugo Chávez, zum neuen Präsidenten ausgerufen.
"Das ist seine Entscheidung, aber in Venezuela gibt es einen Rechtsstaat, den man respektieren muss", kommentierte CNE-Leiterin Tibisay Lucena die Ankündigung von Capriles, das Wahlergebnis erst dann anzuerkennen, wenn die Stimmen transparent und öffentlich ausgezählt werden. Sie wischte damit alle Bedenken und Zweifel der anderen Hälfte der venezolanischen Bevölkerung in Rekordzeit vom Tisch. Von Amtes wegen wäre sie eigentlich für die Aufarbeitung der Vorwürfe zuständig.
"Wir glauben, dass wir gewonnen haben. Das sagen uns unsere Auswertungen. Sie glauben, dass sie gewonnen haben. Was spricht dagegen, die Stimmen transparent und öffentlich auszuzählen", fragte Capriles und kritisierte damit die automatisierte Stimmenauszählung. Das regierungskritische Blatt "Tal Cual" schrieb: "Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen ist, warum haben sie denn Angst, die Stimmen öffentlich auszuzählen?"
Die Töne werden schriller
Aus dem ganzen Land meldeten die der Opposition nahestehenden Medienunternehmen "El Universal" und "Globovision" Demonstrationen des Capriles-Lagers gegen den Wahlrat. Capriles rief seine Anhänger auf, vor den regionalen und nationalen Gebäuden des CNE friedlich zu demonstrieren. Maduro untersagte unterdessen einen für Mittwoch in Caracas angekündigten Protestmarsch der Opposition: "Wir werden nicht zulassen, dass dieser Marsch nach Caracas kommt. Punkt. Basta."
Maduro wirkt angesichts der breiten Proteste in der Bevölkerung wie jemand, der trotz des öffentlichen Liebesentzuges verzweifelt um Anerkennung buhlt. Innerhalb von wenigen Wochen hat der ehemalige Busfahrer, Gewerkschaftsfunktionär und Außenminister 700.000 Wählerstimmen verloren. Am Dienstag griff Maduro die demonstrierenden Venezolaner scharf an: "Ich werde diesen Marsch nach Caracas nicht erlauben. Ich werde mit harter Hand gegen den Faschismus und die, die die Demokratie angreifen, vorgehen. Wenn Sie mich stürzen wollen, müssen sie mich holen." Maduro hat der Opposition vorgeworfen, mit ihren Protestaufrufen einen Staatsstreich gegen seine Regierung zu planen.
An die oppositionellen Medien gerichtet sagte Maduro: "Es ist die Stunde der Entscheidung. Sie müssen wissen, auf welcher Seite sie stehen." Wenig später ließ sich Maduro auf alle venezolanischen TV-Sender aufschalten und kündigte Radikalisierung der Revolution an, wenn die Opposition weiter auf Gewalt setze.
"Lass Euch nicht provozieren", rief Capriles seinen Anhängern unterdessen zu. "Bleibt friedlich, lasst Euren Verstand und nicht die Emotion sprechen. Ich bin ein Feind der Gewalt."
Die junge Oppositionspolitikerin Maria Corina Machado sagte dem TV-Sender CNN: "In mehr als 20 Städten sind die Bürger heute auf die Straßen gegangen und haben die Respektierung ihrer Rechte gefordert. Ich bin stolz auf meine Generation." Das Vorgehen der Regierung zeige, wie der Staat seinen ganzen Machtapparat gegen die eigenen Bürger einsetze. "Wo sind die Stimmen jetzt, wer bewacht die Stimmen? Wer sorgt dafür, dass sie nicht verschwinden?", fragte die Abgeordnete.
Vicente Diaz, einziger Vertreter der Opposition im Wahlrat, blieb der Proklamation des neuen Präsidenten demonstrativ fern. Diaz, wie seine vier Kolleginnen für die Kontrolle des Wahlvorganges zuständig, erklärte zuvor öffentlich, es habe Unregelmäßigkeiten gegeben.
Die Opposition veröffentlichte im Internet unterdessen Fotos und Videos von Vorgängen, die Manipulationen und Verstöße des Regierungslagers dokumentieren sollen. Videos zeigen, wie bewaffnete Milizen der Sozialisten vor einem Wahllokal in die Luft schießen. Es gibt Fotos, die Urnen voller Zettel am Straßenrand zeigen. Andere zeigen Soldaten, die Wahlzettel verbrennen. All diese Bilder nähren den Verdacht, dass es bei der Wahl nicht korrekt zugegangen ist.
Um aber aus Hinweisen und Meldungen handfeste Beweise zu machen oder sie als Fälschungen zu entlarven, müssten diese überprüft werden. Die Organisation Amerikanischer Staaten hatte sich am Montag hinter die Forderung von Capriles gestellt und angeboten, unabhängige Experten zur Überprüfung des Ergebnisses zur Verfügung zu stellen.
Doch da hatte der Wahlrat mit seiner Entscheidung schon Fakten geschaffen. Der offizielle Wahlsieger Maduro rief die Opposition auf, mit Demut anzuerkennen, dass die Revolution noch Jahrzehnte andauern werde. "Mehrheit ist Mehrheit, das muss man respektieren", sagte Maduro, der am Freitag vereidigt werden soll. Ecuadors Präsident Raffael Correa, zur Zeit auf Deutschland-Besuch, forderte seine lateinamerikanischen Amtskollegen auf, am Freitag zur Vereidigung nach Caracas zu reisen.