Ägyptens Regierung schließt einen schnellen Machtwechsel aus. | Armee etabliert sich als politische Ordnungsmacht. | Demonstranten fordern schnellen Rücktritt Mubaraks. | Kairo/Wien. Der Tahrir-Platz in Kairo war Symbol des friedlichen Kampfes der Ägypter für Demokratie, umso dramatischer dann die Szenen, die sich am Mittwoch Nachmittag abspielten: 4000 Anhänger des autokratischen Präsidenten Hosni Mubarak und Gegner des Regimes lieferten sich plötzlich wilde Straßenschlachten.
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Steine flogen, Knüppel und Eisenstangen und andere Metallteile kamen zum Einsatz, zahllose Verletzte wurden in die Spitäler gebracht. Regierungsanhänger warfen Steinblöcke von den Hausdächern. Einige attackierten Journalisten, denen sie vorwarfen, die Unruhen in Ägypten geschürt zu haben.
Rückkehr der Polizei
Die Anhänger Mubaraks waren zum Teil beritten und versuchten mit Kamelen die Versammlung der Oppositionellen zu sprengen. Molotow-Cocktails wurden geworfen, Steine aus den Straßen gerissen und als Waffen verwendet. Die Angst vor einem Blutbad ging um, hunderte Mubarak-Gegner wurden verletzt in Sicherheit gebracht. Die Armee, die überall in der Stadt Barrikaden und Posten errichtet hat, griff nicht direkt in die Tumulte ein. Manche Soldaten gaben allerdings Warnschüsse in die Luft ab. Wie der TV-Sender CNN erfuhr, soll die Polizei, die zuletzt völlig aus dem Straßenbild verschwunden war, von der ägyptischen Regierung wieder zum Einsatz gebracht werden.
Im Kairoer Stadtteil Mohandesien gingen unterdessen mehrere zehntausend Anhänger des Regimes auf die Straße. Sie riefen: "Wir lieben Präsident Mubarak."
Zuvor hatte der wankende Machthaber in einer TV-Ansprache angekündigt, im September nicht mehr als Präsident Kandidieren zu wollen. Auch den Gang ins Exil lehrt er ab. "Dieses Land ist meine Heimat, und hier werde ich sterben" - ein Wunsch, den ihm viele Ägypter lieber heute als morgen erfüllen wollen. Mubarak-Puppen baumelten schon bei den Demonstrationen am Dienstag von eilig gezimmerten Galgen. Viele junge Menschen wollen den sofortigen Rücktritt des Diktators, der das Land ihrer Ansicht nach viel zu lange regiert hat. "Mubarak, Saudi-Arabien wartet auf dich", skandierten sie auch am Mittwoch.
Der Präsident, der 30 Jahre lang keinen Widerspruch duldete, hat nun ein offenes Ohr für die Forderungen der Opposition. Von Washington, der Armee und dem Volk unter Druck gesetzt, tauscht Mubarak Regierungsmitglieder aus, will eine neue Verfassung ausarbeiten lassen und die Zusammensetzung des Parlaments ändern.
Die Zugeständnisse machen auf viele Oppositionelle keinen Eindruck. Die von Mubarak verbotenen Muslimbrüder etwa wollen das Regime so schnell wie möglich kippen und die gesamte Polizeiführung aus dem Land jagen. Der Oppositionelle Ayman Nour, der Jahre im Gefängnis verbracht hat, weil er es gewagt hatte, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, ist ebenfalls unversöhnlich: Das, was Mubarak angeboten habe, reiche nicht. Auch Mohammed ElBaradei, der ehemalige IAEO-Chef, der als Sprecher der Opposition auftritt, verlangt den Rücktritt Mubaraks. Und zwar bis spätestens am Freitag.
Die ägyptische Regierung hat die Forderungen nach einem sofortigen Machtwechsel abgelehnt. Ein solches Vorgehen würde die krisenhafte "innere Lage in Ägypten" weiter anfachen, so Außenminister Hossam Zaki. US-Präsident Barack Obama hatte Hosni Mubarak zuvor aufgefordert, einen weitreichenden Übergang schnell einzuleiten. Zudem verurteilte Weiße Haus die Gewalt auf dem Tahrir-Platz. Man sei "tief besorgt über Angriffe auf Medien und auf friedliche Demonstranten", so ein Sprecher.
In Kairo sind nicht wenige Oppositionelle der Ansicht, dass ein schrittweiser Rückzug Mubaraks das Beste für das Land wäre. Dabei handelt es sich eher eine pragmatische Entscheidung als um ein Zeichen von Sympathie für den Dauerregenten. Die Bedächtigen gehen davon aus, dass die Armee als einziger stabiler Machtffaktor die Zügel in die Hand genommen hat und dass die Militärs einen allzu raschen Umsturz nicht gutheißen.
Die Armee regiert
Tatsächlich will die ägyptische Armeeführung die politische Macht offenbar nicht einer selbsternannten Übergangsregierung übergeben. Die Generäle gaben sich bereits am Mittwoch betont staatstragend. Sie riefen die Demonstranten auf, die Proteste einzustellen und nach Hause zu gehen, um "die Rückkehr zu Sicherheit und Stabilität" zu ermöglichen. "Sie sind auf die Straße gegangen, um Ihre Forderungen auszudrücken, und Sie können jetzt zum normalen Leben zurückkehren", so ein Sprecher. Möglicherweise wollte das Militär bereits im Vorfeld verhindern, dass Mubarak-Anhänger und -Gegner aneinandergeraten.
Die Zugeständnisse Mubaraks auf der einen Seite und die Anweisungen der Armee auf der anderen interessieren viele Demonstranten nicht. Sie verlangen, dass ihr Feindbild Mubarak sofort verschwindet. Der kommende Freitag sei "Tag des Abgangs", mit einer Großdemonstration nach dem Freitagsgebet will der harte Kern der Demonstranten das bestehende System mit einem letzten Kraftakt hinwegfegen. Der Aufmarsch, so heißt es, soll alle bisher dagewesenen Proteste in den Schatten stellen.