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Blutiger Sommer im Baskenland

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Madrid - Seit die ETA am 21. Jänner mit der Ermordung des 47-jährigen Oberstleutnants Pedro Blanco Garcia die Ende des Vorjahres angekündigte Aufkündung des Waffenstillstands besiegelt hat, fielen ihrem Mordkommandos bereits zwölf Menschen zum Opfer. Der Dienstag in Zumarraga durch zehn Schüsse ermordete Stadtrat Manuel Indiano ist das letzte Opfer einer Reihe, in der kein Ende abzusehen ist. Das Jahr 2000 scheint das blutigste seit Beginn der Neunzigerjahre zu werden.


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In den ersten acht Monaten dieses Jahres war die spanische Polizei bereits mit mehr als 400 ETA-Anschlägen konfrontiert, mehr als im ganzen Jahr 1999 zusammengenommen, als 390 Anschläge und Vandalenakte in den baskischen Provinzen verzeichnet wurden.

Nach dem Madrider Anschlag mit einer Autobombe vom 21. Jänner setzte die ETA ihre heurige Mordserie ebenfalls mit einer Autobombe in der nordspanischen Stadt Vitoria am 22. Februar fort. Der sozialistische Politiker Fernando Buesa Blanco und einer seiner Leibwächter kamen bei dem Attentat ums Leben.

Am 7. Mai wurde in Andoian, einem Vorort der Stadt San Sebastian, der 62-jährige Journalist Jose Luis Lopez de Lacalle, der in der Franco-Zeit aus politischen Gründen im Gefängnis gesessen war, vor seinem Haus durch Schüsse niedergestreckt. Einige Wochen zuvor war ein Brandanschlag auf sein Haus verübt worden, was er mit den Worten "Die Franquisten haben mich eingesperrt, aber nie meine Familie angegriffen" kommentiert hatte.

Knapp ein Monat später, am 4. Juni wurde der 57-jährige Stadtrat Jesus Maria Pedrosa von der regierenden Volkspartei in der baskischen Stadt Durango auf offener Strasse durch mehrere Kopfschüsse ermordet.

Ihre Sommeroffensive startete die ETA mit einem Autobombenanschlag im Herzen Madrids. In einer belebten Einkaufsstraße wurden nach einer Bombenwarnung ein Mensch schwer und 9 weitere leicht verletzt. Die Guardia Civil nahm an, dass sie in eine Bombenfalle gelockt werden sollte.

Drei Tage später, am 15 Juli, wurde in Malaga der Stadtrat Jose Maria Martin Carpena (49) in der Nähe seiner Wohnung vor den Augen seiner Frau und seiner Tochter mit einem Genickschuss getötet.

Nur durch einen glücklichen Zufall - die Autobombe funktionierte nicht - entging die Nummer zwei der andalusischen Sozialisten, Jose Asenjo, am 19. Juli, unmittelbar vor dem Parteitag der PSOE, einem Attentat. Fünf Tage später hatte die Senatorin Pilar Aresti von der Volkspartei im baskischen Getxo ebensolches Glück. Die Autobombe vor ihrem Haus verletzte "nur" vier Menschen.

Einem Mordkommando fiel dann am 29. Juli der ehemalige Gouverneur der baskischen Provinz Guipuzcoa, Juan Mari Jauregui zum Opfer. In einem Cafe in Tolosa wurde der 49-jährige Sozialist, der aus Chile zu einem Urlaub in seine Heimat gekommen war, durch einen Genickschuss getötet. Er war schon 1995 einen Autobombenanschlag entgangen.

Und die baskische Blutserie riss nicht ab. Am 7. August starben bei der Explosion einer Autobombe in Bilbao vier mutmaßliche ETA-Terroristen. Das spanische Innenministerium nimmt an, dass das Kommando einen weiteren Politiker der Volkspartei im Visier hatte. Unter den Toten war der Chef des Kommandos Vizcaya, Patxi Rementeria. Der Sprengstoff dieser Autobombe stammte aus einem Raub, der im Vorjahr in der Bretagne für Aufsehen gesorgt hatte. In den Resten des Autos wurde auch eine Pistole gefunden, die beim Mord an Jesus Maria Pedrosa verwendet worden war. Auch in den Mord an Jose Maria Carpena dürfte dieses ETA-Kommando verwickelt gewesen sein. Auf diesen empfindlichen Rückschlag reagierte die ETA schon Tags darauf mit dem Mord an dem baskischen Unternehmerpräsidenten Jose Maria Korta. Korta galt als gemäßigter Nationalist, der sich für eine Beilegung der baskischen Frage durch Dialog eingesetzt hatte. Er wurde getötet als vor seinem Unternehmen eine Autobombe explodierte.

Am gleichen Tag wurde auch in Madrid in unmittelbarer Nähe einer Metro-Station eine Autobombe gezündet, die elf Verletzte forderte. Die ETA hatte vor der Explosion dieser 50-Kilobombe die Feuerwehr gewarnt.

Tags darauf folgte bereits der nächste Anschlag. In Berriozar, in der Nähe von Pamplona wurde der 46-jährige Leutnant Francisco Casanova Vicente durch einen Kopfschuss getötet, als er sein Auto vor seinem Haus abstellte. Sein elfjähriger Sohn fand die Leiche des Vaters. Casanova war der zweite Militärangehörige, der seit der Aufkündigung der Waffenruhe einem ETA-Mordkommando zum Opfer fiel.

Am gleichen Tag fanden in mehreren baskischen Stadten Anschläge auf öffentliche Einrichtungen statt.

Die spanische Öffentlichkeit reagierte empört auf die Erklärung der radikalen Baskenpartei Euskal Herritarrok (EH), die die Mitglieder des am 7. August umgekommenen ETA-Kommandos zu "Patrioten" hochstilisierte und eine öffentliche Aufbahrung der sterblichen Überreste verlangte. Gegen den Sprecher der Partei, Arnaldo Otegi, wurde ein Verfahren eingeleitet.

Am frühen Morgen des 20. August explodierte eine weitere Autobombe in Sallent de Gallego (Huesca). Es war dies der zweite ETA-Anschlag in diesem Ort innerhalb von zwei Jahren. Opfer wurden die 32-jährige Guardia Civil-Beamtin Irene Fernandez Pereda und ihr 22-jähriger Kollege Jose Angel de Jesus Encinas. Ihr Dienstfahrzeug war in die Luft gegangen, als sie gerade auf Patrouille fahren wollten. Irene Fernandez Pereda war die erste Frau unter 202 Polizeibeamten, die einem ETA-Anschlag zum Opfer fiel. Die Attentäter dürften sich nach Meinung des spanischen Innenministeriums nach dem Anschlag über die nahe Grenze nach Frankreich abgesetzt haben.

Wie nach den früheren Anschlägen protestierten auch nach diesem Attentat in zahlreichen spanischen Städten zehntausende Menschen gegen den ETA-Terror. An den Särgen der beiden Polizisten standen Regierungschef Jose Maria Aznar und der sozialistische Oppositionschef Jose Luis Rodriguez Zapatero in seltener Einmütigkeit. Die konservative Regierung Aznars bekundete angesichts der rasch nacheinander abfolgenden Anschläge ihre Bereitschaft, die Gespräche zum baskischen Regierungschef Juan Jose Ibarretxe von der gemäßigten Nationalistenpartei PNV wiederaufzunehmen.

Die spanische Polizei vermutet auch, dass die ETA noch mehr als drei Tonnen Dynamit, die in Frankreich geraubt wurden, zur Verfügung hat und ein Ende der neuen Anschlagsserie nicht abzusehen ist. Der jüngste Mordanschlag auf den 29-Jährigen Manuel Indiano, der erst seit sechs Monaten für die Volkspartei im Gemeinderat von Zumarraga saß, sind ein Indiz mehr, dass die ETA daran denkt, den Sommer 2000 zu einem neuen Blutsommer werden zu lassen.