Die Subsahara-Länder sind auf dem besten Wege, das einstige Image vom Armenhaus der Welt abzulegen - aber noch gibt es viel zu tun.
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Die Wirtschaftsprognosen geben Anlass zur Hoffnung: Viele afrikanische Staaten haben erfolgreiche Schritte zur Einführung und Festigung rechtsstaatlicher Strukturen geschaffen. Trotz latenter innenpolitischer Spannungen scheint der Weg nachhaltiger Konsolidation vorgezeichnet, auch wenn pauschale Beurteilungen von künftigen Chancen und Risiken der rund 40 Staaten südlich der Sahara (Subsahara) kaum se-riös möglich sind: Zu unterschiedliche Voraussetzungen - Rohstoffausstattung, demographische Entwicklungen, politische Strukturen - gestalten langfristige Entwicklungsprognosen, die über bloße Trendanalysen hinausgehen, schwierig.
<p>Die politische und wirtschaftliche Stabilität hat jedenfalls deutlich zugenommen, so das Fazit einer Untersuchung der deutschen Commerzbank 2012. "In den größeren Städten bildet sich eine Mittelschicht, die zunehmend qualitativ höherwertige Produkte nachfragt. Hiervon werden auch der Dienstleistungssektor und insbesondere die Finanzwirtschaft profitieren", sagt Rainer Schäfer, einer der Studienautoren.<p>
Ressourcen-Raubbau
<p>Dabei ist Subsahara-Afrika (ohne Südafrika) die einzige Weltregion, in der die Armut seit 1990 zugenommen hat: Zwar ist das reale Pro-Kopf-Einkommen gewachsen, doch auch die absolute Zahl der Armen stieg um über 100 Millionen Menschen. Die vorherrschende Subsistenzwirtschaft ist immer weniger in der Lage, wachsende Bevölkerungsgruppen zu ernähren - verdrängt durch agrarische Großbetriebe unter internationaler Leitung, Raubbau an Ressourcen und immer neue (regionale und globale) Abhängigkeiten.<p>Immer noch verfügen fast zwei Drittel der Bevölkerung über weniger als zwei US-Dollar (USD) täglich, jeder fünfte gilt als unter- oder mangelernährt. Die Lebenserwartung liegt bei 54 Jahren, rund 40 % haben keine ausreichende Wasserversorgung, knapp 70 % fehlen angemessene sanitäre Verhältnisse. Krankheiten (Ebola, Aids, Malaria, Tuberkulose), Gewalt, Korruption und die politische Instabilität von zahlreichen "Failed States", in denen die Regierungsautorität nichts mehr gilt, machten weite Teile Subsahara-Afrikas bis Ende der 1990er - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung - zu humanitären und ökonomischen Katastrophengebieten, die ohne dauerhafte Nahrungsmittelhilfe als nicht überlebensfähig galten.<p>Bis 2050 dürfte sich die Zahl der Menschen von heute knapp einer Milliarde auf dann zwei Milliarden verdoppelt haben. "Die größte Herausforderung für Subsahara-Afrika liegt in der demographischen Entwicklung", argumentiert Florian Witt, Abteilungsleiter Afrika der Commerzbank. "Das aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums zunehmende Arbeitskräftepotential kann nur durch die Schaffung zusätzlicher Jobs aufgefangen werden." Einen fix entlohnten Job haben derzeit jedoch nur 20 Prozent der arbeitsfähigen Männer und Frauen. Allein zwischen 2010 und 2020 werden zusätzlich rund 120 Millionen junge Menschen auf den ohnehin überfüllten Arbeitsmarkt drängen.<p>Ohne besseres Leben für alle drohen nicht nur gewalttätige Konflikte, sondern auch ein unverändert hohes Bevölkerungswachstum: Denn Menschen entscheiden sich erst dann für kleinere Familiengrößen, wenn sie Chancen erhalten, ihr Leben mit Hilfe von Bildung und Einkommen individuell zu entfalten, besagt ein aktuelles Discussion Paper des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung (2016).<p>Und diese Jobs gibt es durchaus, wenn auch oft erst am Reißbrett. Die Region durchlief, zumindest partiell, seit Beginn des 21. Jahrtausends die längste Wachstumsperiode seit den 1960er Jahren: Mehrere afrikanische Länder zählen mittlerweile zu den schnellst wachsenden Volkswirtschaften weltweit, so unterschiedliche Ursachen dafür es auch geben mag. Die Republik Südafrika wurde 2011 den "BRICS"-Staaten zugereiht, Nigeria - mittlerweile drittgrößtes Filmproduktionszentrum der Welt ("Nollywood", in Anlehnung an die indische Filmmetropole "Bollywood" rund um Bombay) - hat es sogar in die "Next-Eleven" geschafft, eine aufstrebende Staatengruppe, die nach Goldman Sachs die Weltwirtschaft schon demnächst nachhaltig hätte prägen können, wäre nicht die Finanzkrise dazwischen gekommen.<p>Hauptgrund für die positiven Perspektiven ist die steigende Nachfrage nach Rohstoffen, vor allem aus asiatischen Staaten. Öl, Gold, Kupfer und Kaffee zählen zu den Exportschlagern. Mittelfristig gelten - laut Weltbank - jährliche Wachstumsraten von 6 Prozent als realistisch, zumindest für rohstoffreiche Staaten wie Kenia, Nigeria und Südafrika.<p>Die perfekte Entwicklungsstrategie ist freilich noch nicht gefunden. Als aktuelle Erfolgsmodelle des Subkontinents gelten etwa Botswana, Ruanda, Tansania und Ghana, die jedoch unterschiedliche Erfolgshistorien und Rezepte aufweisen. Botswana gilt als Beispiel, dass der vielzitierte "Ressourcen-Fluch" - gemeint ist die ausschließliche Wirtschaftsorientierung auf Abbau und Verkauf von Ressourcen - kein Entwicklungshindernis darstellen muss, wenn staatliche Steuerungsmechanismen funktionieren.<p>
Pilotprojekt Tansania
<p>Ruanda wiederum, zwei Jahrzehnte nach dem Genozid, punktet mit Einschulungsquoten von 97 %, einem funktionierenden System der Krankenversicherung und erfolgreichem Vorgehen gegen Korruption: Das Land liegt heute im Korruptionsindex auf Platz 55, noch vor den EU-Staaten Italien und Griechenland, arbeitet in der Hauptstadt Kigali an einer Skyline Marke Singapur und ist dabei, sich - entsprechend seiner "Vision 2020" - als High-Tech- und Wirtschaftszentrum Zentralafrikas zu etablieren: Nicht unbedingt zur Begeisterung der rund 63 % der Bevölkerung, die weiterhin unter der Armutsgrenze lebt .<p>Tansania bekämpft Armut ganz anders: Jede Mutter erhält monatlich 18 US-Dollar dafür, dass ihre Kinder regelmäßig zur Schule gehen - ein Pilotprojekt, dem in den nächsten Jahren 200 Millionen Euro für weitere Sozialprogramme mit Hilfe zur Selbsthilfe folgen sollen, wie der deutsche Journalist Alexander Demling in "SpiegelOnline" kürzlich skizzierte: Auch Ghana scheint dem Rohstoff-Fluch zu entkommen: Ein Gutteil der Öleinnahmen des westafrikanischen Staates muss zweckgebunden der Infrastruktur und der Landwirtschaft zugutekommen, was sogar im Internet nachverfolgbar ist - erfolgreiche Ansätze einer nachhaltigeren Entwicklungspolitik, die nicht mehr vorrangig die Eliten der Subsahara stärkt.<p>Vorsichtiger Optimismus ist angesagt: Noch basiert das Wachstum vor allem auf gestiegenen Rohstoffpreisen und erhöhten ausländischen Direktinvestitionen, vor allem aus der Volksrepublik China, deren Wirtschaftspolitik jedoch derzeit selbst am Scheideweg steht. Doch die Demokratisierung des Subkontinents schreitet voran, allen Rückschlägen zum Trotz, die teils weitreichende Schuldenerlässe bewirkt haben. Islamistischer Terrorismus ist derzeit nur im Grenzbereich zum nördlichen Afrika ein Entwicklungshindernis. Die Beendigung zahlreicher Bürgerkriege schuf neuen Optimismus und bewirkte Investitionsfreude auf allen infrastrukturellen Ebenen.<p>Die Disparitäten werden jedoch nicht kleiner, ganz im Gegenteil: Zum einen verstärken sich, auf regionaler und nationaler Ebene, die Ungleichheiten zwischen zahlenmäßig kleinen, extrem reichen Oberschichten und der großen Bevölkerungsmehrheit, die sich meist vorwiegend aus Teens und Twens zusammensetzt - nicht wenige davon immer öfter mit besserer Ausbildung, aber selten mit besseren Lebensperspektiven.<p>Zum anderen sind städtische Zentren, allen voran die Hauptstadtregionen, wesentlich entwicklungsstärker als dünn besiedelte, agrarisch dominierte, ländliche Räume. Für einen Großteil der Probleme findet sich dort die Ursache: Zwei Drittel der Bevölkerung Subsahara-Afrikas leben auf dem Land, die meisten von ihnen als Kleinbauern und Tagelöhner. Die durchschnittlichen Kinderzahlen pro Frau liegen deutlich höher als in den Städten. Und die Verarbeitung von Agrarprodukten unterbleibt zumeist, was den Import von teuren Lebensmitteln bedingt.<p>Nach wie vor verfügt bloß jeder siebte Bewohner der ländlichen Gebiete südlich der Sahara über einen funktionierenden Stromanschluss. Bei aller punktuellen Wachstumseuphorie sind die Entwicklungshemmnisse für globalen Take-off also nicht wegzudiskutieren: Meist niedriges Bildungsniveau, mangelnde Infrastruktur, Korruption und bürokratische Hürden bremsen immer noch zu oft die wirtschaftliche Entwicklung des Subkontinents.<p>
Mobiler Alltag
<p>Die ungenutzten natürlichen Voraussetzungen sind Subsaharas größter Trumpf, künftige Autarkie in Nahrungs- und Energieversorgung ist kein Ding der Unmöglichkeit. Der Kontinent verfügt über mehr als ein Viertel der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Fläche, die durch die Einführung moderner Anbaumethoden wesentlich produktiver bewirtschaftet werden könnte. Schon einfache Bewässerungssysteme sollten die Erträge von Kleinbauern um bis zu 50 Prozent erhöhen, erneuerbare Energieträger sind im (sub)tropischen Naturraum ausreichend vorhanden und bieten sich als dezentrale Lösungen an - ohne die Notwendigkeit teurer Großkraftwerke, die aufwändige Netze zur nationalen Stromversorgung benötigen.<p>Die technischen Möglichkeiten für eine regenerative, dezentralisierte Energieversorgung gelten als weit entwickelt, sodass Afrika über weitere Leapfrogging-Effekte (dt. "Bockspringen", das Überspringen technologischer Entwicklungsstufen) die fossile Ära sogar übergehen könnte - nicht das erste Mal, wie das Beispiel Telekommunikation zeigt. Nie wäre es gelungen, die Menschen wie in Europa über den ganzen Kontinent an klassische, leitungsgebundene Telefonnetze anzuschließen, doch mobiles Telefonieren gehört heutzutage längst zum Alltag: mit allen Vorteilen - vom Internetzugang bis zur Möglichkeit, Bankgeschäfte dort zu verrichten, wo es keine Banken gibt.<p>Bocksprünge in eine nachhaltige Zukunft mögen anstrengend sein - aber sie können funktionieren.
Günter Spreitzhofer, geb. 1966, ist Lektor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien.