Der Architekt, Literat, frühere Belgrader Bürgermeister und serbische Dissident Bogdan Bogdanovic berichtet über sein Leben und seine Arbeit.
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Wiener Zeitung: Herr Bogdanovic, war Ihre frühe Hinwendung zum Bau von Denkmälern gegen Krieg und Vernichtung eine Art Flucht vor den Dogmen der sozialistischen Moderne, vor den Zwängen des jugoslawischen Architektur- und Bauwesens? Bogdan Bogdanovic: Dogmen bestanden ja auch in der jugoslawischen Kunstwelt. Bis weit in die 60er Jahre herrschte in unserem Land noch immer der sozialrealistische Kanon vor, demzufolge die heimischen Künstler figurale Monumente zu schaffen hatten, später auch abstrakte Denkmäler - aber stets mit einer belehrenden Tendenz. Ihre Werke sollten immer etwas sehr Bedeutsames vermitteln. Dagegen hatte ich ganz einfach begonnen, mich mit Formen zu spielen. Ich hatte den Wunsch, meine Monumente so zu bauen, dass sie nicht als Monumente erscheinen. Ich wusste, ich fühlte, dass unser Volk müde war von Kriegserinnerungen, von den Bildern des Schreckens. So waren meine lyrischen oder sogar ein bisschen humorvollen Denkmäler etwas vollkommen Neues, das auch von der westlichen Presse sehr positiv aufgenommen wurde. Für viele Kollegen waren meine archetypischen, anthropologischen Memorialbauten mit ihrer ungewöhnlichen Symbolik allerdings gänzlich unverständlich, ja inakzeptabel. Doch für Tito und für die jugoslawischen Spitzenkommunisten waren sie ein willkommener Nachweis der künstlerischen Eigenständigkeit des Landes gegenüber der sowjetischen Kulturhegemonie. Wenn ich mich recht erinnere, war es eine italienische Zeitung, die damals über meine Gedenkstätte im mazedonischen Prilep schrieb: "Titos Lektion für Chruschtschow". Das war sicher ein Mitgrund dafür, dass ich mir damals vieles erlauben konnte.
Trotzdem waren Sie weit davon entfernt, die sehr zweifelhafte Position eines "Staatskünstler" einzunehmen.
Ich war seit meiner Zeit bei den Partisanen Mitglied der Kommunistischen Partei, galt aber immer als Verdächtiger: "Was macht er da, was will er bloß, was denkt er nur?" Und ich war ja tatsächlich ein schlechter Kommunist. All jene, die mich damals verdächtigten, sind heute übrigens keine Kommunisten mehr. Viele von ihnen haben heute lange Bärte und sind Tschetniks, Nationalisten geworden. Ich aber bin geblieben, was ich war: ein schlechter Kommunist, aber mit Überzeugung - ein überzeugter Linker. Unter Tito war die KP in zwei Lager, ja in zwei Welten geteilt: in eine proeuropäische Gruppe, eine klare Minderheit, zu der sich auch die Surrealisten zählten, und in eine prosowjetische Mehrheit. Eigentlich waren das ja die Russophilen, die halt auch Kommunisten geworden sind - sehr, sehr altmodische Russophile. Sie standen für eine kommunistische Orthodoxie, die der kirchlichen Orthodoxie recht ähnlich war.
Tito hat die beiden Lager immer wieder gegeneinander ausgespielt. Wenn die Russophilen zu stark oder zu aggressiv wurden, erlaubte er uns Eurolinken etwas mehr Kritik - aber genauso auch umgekehrt. Der politische Spielraum war dabei aber der einer Kabarettbühne, denn die Grenzen dieser Spielsituation zu überschreiten und wirklich etwas verändern zu wollen, etwa zu versuchen, das System zu demokratisieren, provozierte ziemlich grobe Gegenschläge Titos gegen die sogenannten Liberalen. "Liberal" war unter den konservativen Kommunisten das Schimpfwort für die Proeuropäer, für die schlechten Kommunisten.
Wie kam es dann aber, dass Sie 1982 für vier Jahre zum Bürgermeister von Belgrad gewählt wurden?
Das war reiner Zufall. Die Idee, mich in dieses Amt zu hieven, hatte Ivan Stamboliæ, ein Pro-Europäer, der damals Vorsitzender der serbischen KP war. Die alte Parteigarde war darüber allerdings von Anfang an nicht besonders begeistert. Ich war ein Artist, ein Bohèmien, aber kein seriöser Typ, der in dieses patriarchale System gepasst hätte. Ich konnte als Surrealist natürlich nichts anderes als ein surrealistischer Bürgermeister sein. Anfangs wurden meine Späße von den gewöhnlichen Leuten auch ganz gut aufgenommen. Aber bald setzte eine schreckliche Propaganda aus der Partei gegen mich und vor allem gegen Stamboliæ ein. Dahinter standen nicht zuletzt geheimnisvolle Business-Ideen. Das Wort Business gab es damals zwar noch nicht, aber die Business-Leute waren schon im Sozialismus halbe Verbrecher. Stamboliæ hatte wohl gehofft, mit der Wahl meiner Person etwas gegen die zunehmende Korrumpierung des Systems tun zu können. Und ich hatte ursprünglich gedacht, ich könnte als Bürgermeister zur Sicherung meiner alten Dorfschule in Mali Popoviæ beitragen, in der ich für meine Studenten von der Belgrader Universität halb legal, halb illegal einen privaten Unterricht für die Philosophie der Architektur organisiert hatte - was den ständigen Anfeindungen der Nomenklatura ausgesetzt war. Nur wenige Jahre später hat man uns aus der Dorfschule vertrieben - und Stamboliæ wurde 2000 von Miloeviæs Schergen entführt und ermordet.
Lassen Sie uns zu Ihren Denkmälern zurückkehren. Wie kommt es, dass ein Kommunist und Atheist wie - zumindest der junge - Bogdan Bogdanovic einen so metaphysischen, ja geradezu spirituellen Zugang zur Baukunst gefunden hat? Ich muss Ihnen gestehen, dass ich vor meinem ersten Auftrag für ein Denkmal, nämlich auf dem sephardischen Friedhof in Belgrad, nie daran gedacht hatte, an so etwas zu arbeiten. Ich empfand Denkmäler geradezu als lächerlich, was natürlich ein schlechter und denkbar ungünstiger Einstieg in die Materie war.
Dann aber, als ich mit den Arbeiten endlich anfangen musste, sagte ich mir: Beschäftige dich doch einmal mit der jüdischen Symbollehre. So tastete ich mich an die Kabbala heran, die mich bald zu faszinieren begann und immer mehr vereinnahmte. Auf einmal offenbarte sich mir eine neue, eine Parallelwelt, in der alles, was wir im Diesseits sagen, in einer religiösen Interpretation etwas Jenseitiges bedeuten kann. Außerdem wirkte der sakrale jüdische Symbolismus umso stärker auf mich, als ich ungläubig war, wie schon mein Vater und mein Großvater. Ich konnte bis dahin also nicht ahnen, wie viel Bedeutendes für einen neugierigen Menschen in der Welt der religiösen Vorstellungen und Bilder steckt.
Andererseits war mir der Judaismus schon seit Kindheit vertraut. Denn ich besuchte ein Gymnasium unweit des sephardischen Viertels von Belgrad, und wir hatten drei oder vier jüdische Mitschüler in der Klasse. Wir verstanden uns sehr gut, sie waren interessant und anregend. Es ist ja kein Zufall, dass viele große Philosophen Juden sind, denn ihre Existenz, ihre Weltanschauung ist in ein ganzheitliches System eingebettet - und von solchen Systemen bin ich immer sehr beeindruckt. Ich kann also sagen, dass ich durch meine Beschäftigung mit der jüdischen Esoterik anfing, vieles zu sehen, das später meine ganze Arbeit und, wenn Sie so wollen, auch mein Leben stark beeinflusst hat.
Die Offenheit Ihrer Formensprache, die Mehrdeutigkeit Ihrer Symbolik hat nicht immer dazu geführt, dass Ihre Gedenkstätten von Tätern und Opfern gleichermaßen akzeptiert wurden. Im Gegenteil - die Denkmäler brachten mitunter beide Seiten gegen Sie auf.
Ja, so war es auch bei meiner Blume aus Beton in Jasenovac...
Wo das kroatische Ustascha-Regime im Zweiten Weltkrieg zigtausende Serben, Juden und Roma vernichtete...
Das Denkmal dort steht dermaßen evident an einem Ort des Schreckens, dass jeder Versuch, die Grausamkeiten in Form einer Gedenkstätte zu reproduzieren, lächerlich, elend, nichtig gewesen wäre. Man musste in die reine Metaphysik vordringen, und mein Zugang lautete: Es muss ein Denkmal für das Leben sein und dafür, dass das Verbrechen letztendlich doch nicht gesiegt hat. Es war wichtig, der unzähligen Opfer pietätvoll zu gedenken, aber genauso bedeutsam war es auszudrücken, dass das Leben weitergeht.
Dennoch gab es von Anfang an Kritik und Misstrauen - zunächst von kroatischer Seite: "Wieso baut ein Serbe das Denkmal?!", und so weiter. In Zagreb wurden sogar Flugblätter verteilt, die zur Zerstörung des serbischen Denkmals auf kroatischer Erde aufriefen. Doch als sich die Gestalt der Gedenkstätte abzuzeichnen begann, wurde es ruhiger unter den Kroaten, denn die meisten erkannten, dass das Denkmal in keiner Weise rächerisch war: Es war eine Blume und nicht etwa die Figur eines Geköpften. Nun regte sich aber die serbische Seite auf: "Das ist eine Vertuschung der Wahrheit! Wo bleibt da das Verbrechen?!" Wir erhielten sogar zu Hause anonyme Telefonanrufe. Ein Anrufer fragte: "Sag mal, für wen hast du diese Blume errichtet? Für die Ustascha?" Ich antwortete: "Nein, im Gegenteil, für die Opfer." "Aber wo bleiben da die Opfer?! Man muss doch sehen können, wer wen getötet hat! Ein Dolch muss dort sein, er muss im Leib stecken." Und ich fragte: "Ja, gut, aber woran würde man erkennen, dass der Ermordete ein Serbe ist?" Daraufhin schwieg der Anrufer und legte auf.
Das Bedürfnis nach Eindeutigkeit, das Verlangen nach rationalistischen Erklärungen Ihrer surrealistischen Denkmäler schien sehr groß gewesen zu sein. Welche Interpretationen haben Sie den Auftraggebern, Ihren Mitarbeitern oder auch dem Publikum angeboten?
Da galt es zu unterscheiden: Für die politischen Kommissionen, für die Gremien musste ich immer eine, sagen wir, ernsthafte Theorie parat haben. Ich war unermüdlich, wenn es darum ging, eine offizielle Erklärung nach der anderen zu erfinden - und sie gleich wieder zu vergessen.
Auf der anderen Seite waren alle Besprechungen mit meinen Steinmetzen, mit einfachen Arbeitern, aber auch mit Bewohnern immer sehr verspielt. Meine Phantasie wurde von ihnen sofort begriffen und aufgenommen.
Bei einem Projekt in Bosnien habe ich einmal Zaungästen zugehört, die schon während der Bauarbeiten einander erzählten, was dies und das bedeuten würde. Das waren phantastische Ideen und ich habe sie sofort übernommen, ja, ich habe sie dann zur Eröffnung des Denkmals vielen anderen Interessierten erzählt. Das war das Schöne an den offenen Formen, an der offenen Symbolik. Symbole sind prinzipiell etwas Offenes, etwas Lebendiges, niemals Fixiertes.
Wenn jemand fragt, was ein Symbol bedeutet, was es sagen will, dann ist das eine falsche Frage. Was du darin siehst, das ist das, was zählt. Und daher glaube ich, dass meine Monumente noch immer interessant sind - auch für Leute, die gar nicht wissen, welche historischen Beweggründe zu ihrer Errichtung geführt haben. Sie sind für sich genommen interessant, besonders für Kinder, denn viele Gedenkstätten sind Spielplätze geworden. Das größte Kompliment aber, das ich je bekommen habe, erhielt ich in Wien, wo mich eine Dame aus Jugoslawien ansprach und dabei etwas verlegen lachte: "Herr Bogdanovic, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ich muss es Ihnen sagen. Mein Vater und meine Mutter haben mich auf Ihrem Partisanenfriedhof in Mostar geschaffen." Das habe ich als höchste Auszeichnung empfunden, denn das war schon etwas sehr Archaisches. Auch in den griechischen Tempeln der Antike trafen sich ja Männer und Frauen, um an diesen heiligen Orten Kinder zu zeugen.
Die Partisanennekropole, in der bosnische, serbische und kroatische Widerstandskämpfer gemeinsam bestattet sind, war später aber auch ein Ort nationalistischer Exzesse. Der Bürgerkrieg in Mostar nahm 1992 mit einer Bombenexplosion in Ihrer Gedenkstätte seinen Ausgang!
Was umso tragischer war, als Mostar bis dahin wirklich eine Stadt des absoluten Gleichklangs der Nationen und Konfessionen war. Es gab dort einen panjugoslawischen Patriotismus, der weder mit der Monarchie, noch mit Großserbien, noch mit Großkroatien etwas zu tun hatte. Mostar war ein Ort der Solidarität - und somit ein historisches, ja ein anthropologisches Denkmal dafür, dass die Menschen am Balkan unabhängig von ihrer politischen oder religiösen Überzeugung gleichberechtigt und glücklich zusammenleben konnten.
Diese Vielfalt an Kulturen war etwas Großartiges. Wenn man vom Meer in die Berge aufbricht, ist man bereits nach wenigen Stunden in einem völlig neuen Kulturraum. Danach erreicht man die großen Flüsse, die Save, die Donau, und ist schon wieder in einer ganz anderen Region. Ich liebte und verstand Jugoslawien als ein europäisches Musterbeispiel des Multikulturalismus. Aber die offizielle Politik unseres Landes, vor allem in Serbien, dachte anders und schürte den Nationalismus. Auch der kroatische Nationalismus war sehr finster, aber die serbischen Nationalisten verstanden Jugoslawien als nichts anderes als eine Erweiterung Großserbiens. Solche Gedanken sind auch nach den Bürgerkriegen nicht verschwunden, es gibt sie noch heute.
Warum sind Sie und Ihre Frau nach den jahrelangen Drangsalierungen durch das Miloevic -Regime 1993 ausgerechnet nach Wien geflohen?
Wir brachen damals nicht direkt nach Wien auf. Ksenija und ich gingen, wie alle Serben, zunächst nach Paris. Außerdem konnten wir damals besser Französisch als Deutsch. Wir wurden sehr freundlich, sehr feierlich empfangen, auch auf höchster Ebene. Doch bei unserer ersten Begegnung mit dem sogenannten Belgrader Kreis, mit den jugoslawischen Immigranten in Paris erlebten wir einen wahren Schock: Das waren lauter Vollbärte, Tschetniks, Nationalisten, die uns furchtbar schikanierten. Uns war sofort klar: "Aus Paris wird nichts, wir sehen uns nach etwas anderem um."
Da meldete sich mein Belgrader Jugendfreund Milo Dor: "Was habt Ihr denn in Paris verloren? Kommt doch nach Wien!" Und so kamen wir in diese Stadt, in der wir uns sehr schnell wieder- und zurechtgefunden haben, von deren Ambiente wir uns angezogen fühlen und wo wir sehr angenehm aufgenommen wurden.
Zur Person
Bogdan Bogdanovic wurde 1922 in Belgrad geboren und lebt heute in Wien. Er kämpfte im Zweiten Weltkrieg bei den jugoslawischen Partisanen, studierte danach Architektur und arbeitete als Assistent am Lehrstuhl für Urbanismus an der Universität Belgrad. 1951 gewann er den Wettbewerb für ein Denkmal am sephardischen Friedhof in Belgrad; bis in die 80er Jahre realisierte er 20 weitere Gedenkstätten gegen Krieg und Vernichtung, verteilt über ganz Jugoslawien.
Ab 1964 lehrte Bogdanovic als Professor an der Fakultät für Architektur in Belgrad, 1970 wurde er zu deren Dekan gewählt. Er war Vorsitzender des Jugoslawischen Architektenverbands und Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, aus der er 1981 aus politischen Gründen demonstrativ austrat. Dennoch wurde er im Jahr darauf zum Bürgermeister von Belgrad gewählt.
Ab 1976 organisierte Bogdanovic für seine Studenten einen alternativen Architekturunterricht in einer alten Dorfschule nahe Belgrad, die vom Regime angefeindet und schließlich zerstört wurde. 1987 entlarvte er in einem 60-seitigen offenen Brief den eben nach der Macht greifenden Slobodan Milosevic und dessen Gefolgsleute als engstirnige Kriegstreiber und zog sich aus allen Ämtern und Funktionen zurück. Nach weiteren regimekritischen Stellungnahmen begann eine wahre Hetzjagd auf den serbischen "Vaterlandsverräter" Bogdan Bogdanovic, der er sich nach Jahren der inneren Emigration 1993 durch die Flucht ins Ausland entzog. Seither sind in den Verlagen Wieser und Zsolnay sechs seiner Bücher auch auf Deutsch erschienen.
Bis 2. Juni 2009 ist im Architekturzentrum Wien die Ausstellung "Bogdan Bogdanovic. Der verdammte Baumeister" zu sehen. (Architekturzentrum Wien - Alte Halle Museumsplatz 1, 1070 Wien, mehr unter: www.azw.at).
Katalog zur Ausstellung: "Bogdan Bogdanovic. Memoria und Utopie in Tito-Jugoslawien", erschienen im Wieser Verlag, 33 Euro."Architektur der Erinnerung. Die Denkmäler des Bogdan Bogdanovic", Dokumentarfilm von Reinhard Seiß, als DVD erschienen im Verlag Anton Pustet, www.verlag-anton-pustet.at, 29 Euro.Reinhard Seiß ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.
Siehe Museumsstücke vom 30. April 2009