Serie an Niederlagen macht Boris Johnson zu schaffen. Wie viel Rückhalt hat der britische Premier bei den Tories noch?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
North Shropshire war immer fest in Tory-Hand, seit fast 40 Jahren entsandte der ländliche Wahlkreis durchgängig einen konservativen Abgeordneten nach Westminster. Mit Freitagfrüh ist die Vorherrschaft gebrochen, die liberale Kandidatin Helen Morgan siegte mit einem deutlichen Vorsprung von 6.000 Stimmen.
Die Nachwahl in Mittelengland war nötig geworden, weil der konservative Abgeordnete Owen Paterson nach gut 24 Jahren im Parlament wegen einer Lobbyismus-Affäre zurücktreten musste. Niemand Geringerer als Premier Boris Johnson, im Volksmund "BoJo" genannt, hatte sich im November eingeschaltet und versucht, ein Disziplinarverfahren gegen den Parteifreund zu stoppen.
Diese jüngste Niederlage erhöht den politischen Druck auf Johnson ganz beträchtlich, es war eine Denkzettel-Wahl und es war der Mann in Downing Street 10, der klar abgestraft werden sollte. Johnson ist so unbeliebt wie noch nie, Politologen rätseln, ob er sich noch lange an der Regierungsspitze wird halten können.
Was die Briten auf die Palme bringt, ist, dass der ursprünglich wohlwollend belächelte und allseits gemochte Spaßvogel in eine Parteispenden-Affäre verwickelt ist. Was aber noch viel schwerer wiegt, ist der Umstand, dass Johnson zuletzt offenbar bei mehr oder weniger opulenten Partys anwesend war, während für den Rest der Bevölkerung strikte, von Johnson selbst beschlossene Lockdown-Bestimmungen galten.
Diese Skandale entfalten vor dem Hintergrund genereller, schmerzhafter Fehlentwicklungen ihre Wirkung. Wegen der Folgen von Brexit und Corona-Pandemie bleibt die wirtschaftliche Erholung aus, Probleme bei Lieferketten führen zu Sorgen, dass die Briten zu Weihnachten auf den Braten verzichten müssen und auf dem Trockenen sitzen könnten. Als Johnson sich vor drei Wochen in einer Rede mit Moses verglich und lange über die Zeichentrickfigur Peppa Wutz schwadronierte, war das Verständnis gering.
Glaubwürdigkeit ist dahin
Auch in den eignen Reihen: Als Johnson zuletzt im Parlament die generell verpflichtende 3G-Regel für öffentliche Veranstaltungen durchbringen wollte, rebellierten fast 100 Tories und stimmten gegen die Verschärfungen. Johnson brachte sein Vorhaben nur mit Hilfe der Opposition durch: eine Demütigung.
Jetzt stellt sich die Frage, ob Johnson noch die Mehrheit seiner Tories hinter sich hat. Sicher kann er sich nicht sein, vor allem, wenn neue Restriktionen im Kampf gegen die anrollende Omikron-Welle nötig werden. Johnsons Berater haben ihn gewarnt, dass man bis Weihnachten womöglich mit einer Million Neuinfektionen pro Tag rechnen müsse - sowie täglich mit mehreren tausend Neuzugängen in den Spitälern. Doch wie kann einer glaubwürdig notwendige Maßnahmen verhängen, wenn er sich offenbar selbst am wenigsten daran hält?
Die britische Politologin Melanie Sully weist darauf hin, dass Johnson "keine klare Gefolgschaft" habe, eine "Ein-Mann-Show" sei, die nie ein breites Netzwerk aufgebaut habe. Ein Politiker, der zwar bei den Parteimitgliedern, nicht aber bei den Parlamentariern beliebt sei. Er habe das Premiersamt erhalten, weil er einst als Macher und Siegertyp geeignet erschien, so Sully.
"Die Brexiteers mögen Johnson auch nicht wirklich, haben sich aber gedacht, dass er der Beste dafür sein würde, das Vereinigte Königreich aus der EU zu führen", so Sully gegenüber der APA. Diese Hardliner hätten nun eine neue Gruppe gebildet, die für persönliche Freiheit und damit gegen Corona-Regeln auftritt und Johnson künftig bei wichtigen Vorhaben blockieren könnte.
Laut Sully hat der britische Premier derzeit nur eine Option: Er muss sich nach außen radikal wandeln, die Macht teilweise abgeben und zu einer Art Mission zurückfinden - den Briten also vermitteln, "wofür er eigentlich da ist und wofür die Konservative Partei steht".
Nach Johnsons Rückschlägen im Parlament und in North Shropshire ist davon auszugehen, dass die Rebellen in den Weihnachtsferien über ihr weiteres Vorgehen beraten werden. Wendet sich das Blatt für Johnson nicht, wird es ein Misstrauensvotum geben. Schatzkanzler Rishi Sunak und Außenministerin Liz Truss stehen angeblich schon für eine mögliche Nachfolge bereit.
Eine beobachtet die Entwicklungen mit sichtlichem Vergnügen: Theresa May - jene Politikerin, die sich als Premier der Jahre 2016 bis 2019 selbst ständig mit rebellierenden Abgeordneten herumschlagen musste.