Frauenministerin Damares Alves ist zurzeit die umstrittenste Politikerin Brasiliens. Sie gilt als evangelikale Ideologin der Regierung von Präsident Bolsonaro und will aus dem größten Staat Südamerikas ein urchristlich geprägtes Land machen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brasilia. "Sie sehen vor sich die schönste Ministerin Südamerikas", scherzt Damares Alves bei der Begrüßung in Brasilia. Dass die 54-Jährige ausländische Journalisten empfängt, ist außergewöhnlich. Die zurzeit umstrittenste Politikerin Brasiliens gibt ihre Interviews meist dem inzwischen immer größer gewordenen Netzwerk evangelikaler TV-Sender, die der neuen Regierung politisch nahestehen und deren Zuschauer die Wahlbasis der neuen brasilianischen Regierung bilden.
Alves trägt ihre dunklen Haare jetzt deutlich kürzer. Die Anspielung auf die neue Frisur ist eine Reaktion auf Spekulationen in den brasilianischen Medien: Hat sich die alleinstehende Familienministerin extra für die Dating-App Tinder ein neues Outfit verpasst? Dort ist sie zwar nicht unterwegs, dafür aber ganz offen auf Suche nach einem neuen Lebensgefährten. Als evangelikale Pastorin unterstellte sie linken Feministinnen, sie seien hässlich, konservative Frauen dagegen schön. Bei Damares Alves ist selbst ein neuer Haarschnitt eine Kampfansage.
"Sie haben Angst vor uns"
Die neue brasilianische Regierung um den rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro ist seit Jahresbeginn im Amt. Damares Alves gilt als so etwas wie die ideologisch-emotionale Seele des "Bolsonarismus". Die evangelikale Pastorin hat einen klaren Plan. Sie will aus Brasilien ein rechtskonservatives, urchristlich geprägtes Land machen. "Ich bin eine von den konservativen, christlichen Frauen, die in dieser Nation unterdrückt, ignoriert und vergessen wurden", sagt Alves. Von der Diktatur einer linken Minderheit in den Medien, den Universitäten, der Nichtregierungsorganisationen, wie sie glaubt. "Nun bin ich an der Macht und das stört einige. Wir sind eine ungewöhnliche Regierung für ungewöhnliche Zeiten."
Als Alves jung war, wurde sie verspottet, weil sie auf die einzige evangelikale Schule ging. "Heute sind 50 Prozent der Schüler evangelikal. Heute gibt es vier evangelikale Minister, aber das ist normal, denn wir stellen 30 Prozent der Bevölkerung", sagt die Frauenministerin. Und Alves weiß genau, wie die für Bolsonaro so wichtigen Gläubigen ticken. Sie polarisiert und elektrisiert die Massen, wenn sie davon schwärmt, dass Buben wieder blaue und Mädchen wie rosa Kleidung tragen sollen. Das Video von dieser Szene bei ihrer Amtseinführung ging um die Welt und wurde auch in Brasilien scharf kritisiert. "Ich hätte vielleicht auch das Wörtchen ,auch‘ hinzufügen sollen", räumt sie heute ein. Es ist allerdings nicht die einzige polemische Äußerung, die auf Kritik stößt. Immer wieder spricht Alves auch davon, dass es keine Gleichheit der Geschlechter geben könne, denn Männer und Frauen seien nun mal nicht gleich.
In den riesigen Arenen der evangelikalen Kirchen stößt sich allerdings niemand an solchen Positionen. Dort erntet Alves als Pastorin ausschließlich Zustimmung für ihre erzkonservativen Ansichten. Sie trägt dabei meistens eine einfache Bluse. Sie sieht dann aus und redet wie die Nachbarin von nebenan. "Ich habe zu 20.000 Menschen in der Kirche gesprochen. Wenn diese Leute damit nicht einverstanden wären, wären sie aufgestanden und gegangen. Aber sie sind geblieben", sagt sie.
Dass die evangelikale Bewegung in Brasilien einen derartig großen Zulauf verzeichnen, hängt auch mit dem schleichenden Bedeutungsverlust der katholischen Kirche zusammen, der trotz oder gerade wegen des ersten lateinamerikanischen Papstes die Gläubigen in Scharen weglaufen. Aus der Sicht der evangelikalen Kirchen ist Franziskus links. Er will mit seiner Umweltenzyklika die Erde nicht mehr antasten, dabei steht doch in der Bibel: "Macht Euch die Erde untertan." Und Franziskus schweigt zu den linken Diktaturen in Kuba, Venezuela und Nicaragua, was diese als Zustimmung auslegen. Die evangelikale Kirche fülle eine Lücke aus, die die katholische hinterlasse, sagt Alves. "Die Leute brauchen keine Priester, die acht Jahre Latein lernen, sondern die ihren Glauben wiederbeleben."
"Bolsonaro ist kein Rassist"
Mit Inbrunst verteidigt Alves auch ihren Präsidenten, der in der Vergangenheit mit homophoben Sprüchen ("Lieber ein toter als ein schwuler Sohn") oder frauenfeindlichen Parolen gegenüber einer linken Politikerin aufgefallen ist ("Sie sind zu hässlich, um vergewaltigt zu werden"). "Sie nennen ihn homophob, aber er hat schwule Freunde. Sie nennen ihn rassistisch, aber er hat schwarze Freunde", sagt sie. Und der Präsident schätze, dass ihr Ministerium eine LGBT-Abteilung habe. Bolsonaro habe in Wahrheit nichts gegen Schwule oder Feministinnen, sondern nur etwas gegen die Ideologie, die dahinterstehe. Einer Einstellung, die Buben das Recht nehmen wolle, "Prinzen", und Mädchen, "Prinzessinnen" zu sein. Die Zeiten der "Entprinzessisierung" seien nun aber vorbei, stattdessen will die 54-Jährige den Eltern die Autorität über die Erziehung ihrer Kinder zurückgegeben.
Alves Weg in die Politik begann als Pastorin, Anwältin und später als Beraterin in einer Regionalregierung. Ihre Ernennung als Familien- und Frauenministerin begreift sie nun als einen Auftrag zur Korrektur des linken Zeitgeistes der Jahre unter den linken Präsidenten Lula da Silva (2003 bis 2011) und Dilma Rousseff (2011 bis 2016).
Sie werde bedroht, weil sie sich für Frauen einsetze, die nicht abtreiben wollen, sagt Alves. Weil sie gegen Kindesmissbrauch und Prostitution kämpfe. "Wer ist also gegen mich: Pädophile, Korrupte, Banditen, Frauenhändler, Kinderhändler, Abtreibungsaktivisten. Ich bin Präsidentin der Bewegung Brasilien ohne Drogen, also ist auch die Drogenmafia gegen mich." Damares Alves strebt einen kulturellen Wechsel an. Es gäbe nicht nur in Brasilien das falsche Verständnis, dass Menschenrechtsaktivisten nur links seien. Das sei aber falsch. "Auch rechte Aktivisten haben das Recht auf Schutz und Respekt. Und ich bin eine rechte Menschenrechtsaktivistin."
In jedem Fall ist Alves auch eine Überzeugungstäterin. Wenn sie über die brasilianische Linke spricht, hebt sie drohend den Zeigefinger. Dabei wirbelt ein kleines freischwebendes goldenes Kreuz am Ende ihrer Halskette hin und her. Beim Thema sexueller Missbrauch schießen ihr die Tränen in die Augen, auch wenn keine TV-Kameras im Raum sind.
Alves ist nach eigenen Angaben Opfer sexuellen Missbrauchs. Zwei Pastoren hätten sie als Mädchen missbraucht. Der Erste habe ihr gesagt, sie sei selbst schuld. Damals hatte sie Angst, dass ihr Vergewaltiger den Vater umbringe, wenn sie über das Erlebte spreche. Als junges Mädchen sei sie verzweifelt auf einen Baum geklettert mit der Absicht sich das Leben zu nehmen, dann habe sie das Gesicht Jesu gesehen und von diesem Plan abgelassen. Wenn sie heute von ihrem Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Buben und Mädchen spricht, bricht ihr die Stimme weg. Ein missbrauchtes Mädchen sei eine zerstörte Frau, sagt sie.
"Recht auf Entwicklung"
Alves kann wegen des Missbrauchs keine Kinder bekommen. Stattdessen hat sie vor vielen Jahren ein kleines indigenes Mädchen adoptiert. Lulu. Brasilianische Medien behaupteten damals, juristisch sei nicht alles einwandfrei zugegangen, sprechen gar von einer Entführung. Die Vorwürfe stammen vom Volk der Kamayurá aus den Tiefen des Amazonas. Alves kontert in den sozialen Netzwerken mit Bildern eines lachenden jungen Mädchens mit Zahnspange. Die biologischen Eltern könnten sie regelmäßig besuchen, es sei kein Gesetz verletzt worden. Heute ist ihre Adoptivtochter erwachsen, engagiert sich für Minderheiten. Lulu macht nicht den Eindruck, als sei sie unglücklich.
Alves ist als Ministerin auch für den Schutz der Menschenrechte der indigenen Völker im Amazonas mitverantwortlich, die in ökologisch wertvollen Reservaten leben. Die sind im Visier der Agrar-Lobby, um neue große Flächen für eine ganz auf Expansion ausgerichtete industrielle Lebensmittelproduktion zu gewinnen. Die indigenen Völker hätten ein Recht auf medizinische Versorgung und Zugang zu Bildung, findet Alves. "Es gibt indigene Frauen, die sterben bei einer Geburt." NGOs und Indigene würden ihnen das Recht auf Entwicklung verweigern, sie würde lieber sterben, als ihnen mögliche Hilfe zukommen zu lassen.