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Bomben · und was nun?

Von Erwin Lanc

Politik

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Die kreditgebenden Industrienationen haben durch eine harte Haltung gegenüber Jugoslawien in den achtziger Jahren (im Pariser Klub) wesentlich zum Verfall der Einkommen im Jugoslawien nach Tito

und zur Unzufriedenheit der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit beigetragen.

Das war Wasser auf die Mühlen der Nationalisten der Teilrepubliken, die die jeweils andere Nationalität für den wirtschaftlichen Verfall verantwortlich gemacht und die Eigenstaatlichkeit propagiert

haben, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken.

Zur Herausbildung und völkerrechtlichen Anerkennung der ehemaligen Republiken der jugoslawischen Föderation zu eigenen Staaten haben die VN zugestimmt. Dabei wurden bereits wesentliche Grundsätze des

Völkerrechts verletzt:

es gab keine international anerkannten oder zwischen den Nachbarn verhandelte Grenzen (Serbien, Vukovar)

es gab keinen Schutz für ethnische Minderheiten in den Verfassungen der neugegründeten Staaten (Kroatien, Krajinaserben)

was hätte vor Ausbruch der Gewalt alles vereinbart werden können, um die völkerrechtliche Anerkennung zu bekommen, was nachher unmöglich war!

Mehr noch: außer verbalen Verurteilungen hat die Völkergemeinschaft die Aufhebung der durch die jugoslawische Verfassung von 1974 den Albanern im Kosovo eingeräumte Autonomie durch Milosevic-

Jugoslawien hingenommen. Boykottmaßnahmen wurden gegen Jugoslawien wegen seiner Haltung gegenüber Bosnien verhängt. Ansonsten brauchte man Milosevic für Dayton.

Die sanften Albaner wurden gelobt, nicht unterstützt. Mehr als Empörung über polizeiliche und militärische Repressionen war nicht vorrätig. Erst als sich Albaner zu bewaffnen und in der UCK zu

sammeln begannen, kam die OSZE · mit Zustimmung von Milosevic · in den Kosovo.

Der Vertragsentwurf von Ramboullet, ausgarbeitet von EU, USA und Rußland, sollte den Waffengang zwischen Serben und Albanern beenden und die Autonomie für Albaner wiederherstellen. Dabei wurde

offenbar auf die Einbindung der UCK mehr Wert gelegt als auf die in Bewaffnung und Zahl viel bedeutendere jugoslawische Armee. Vor allem aber sollten fremde Truppen der NATO auf jugoslawischem

Territorium des Kosovo stationiert werden, was Souveränitätseinschränkung und Ende freier Entscheidung in der Frage der Autonomie der Albaner bedeutet hätte.

Obwohl man schon die Vertreibungspolitik des serbisch geführten Jugoslawiens von Bosnien her kannte und der Militäraufmarsch im Kosovo Bände sprach, glaubte man in NATO und EU, bei Rückgriff

auf Bombardements Serbiens und Montenegros das Jugoslawien Milosevic' "in die Knie zwingen" zu können.

Vorläufiger Gipfel aller versäumten oder falschen Handlungen war dann die, die Albanervertreibung eher beschleunigende, jedenfalls nicht verhindernde Bombardierung "strategischer Ziele und

Infrastruktureinrichtungen" in Jugoslawien.

Die Bomben haben alles andere als Milosevic und seine Menschenrechte mißachtende Politik getroffen. Das serbische Syndrom, gegen eine feindliche Welt bestehen zu müssen, wurde gestärkt. Die serbische

Opposition, wie Djincic, wird vom "Abwehrpatriotismus" lahmgelegt. Milosevic kann sich auf ehemalige Gegner wie Draskovic und Seselij stützen und damit die Tatsache verwischen, daß seine

postkommunistische Partei bei den letzten Wahlen die absolute Mehrheit verloren hat.

Die Bomben der NATO fallen aber auch gegen jedes Völkerrecht. Weder die UNO noch die OSZE als Regionalorganisation haben einem Krieg gegen Jugoslawien zugestimmt und die NATO mit der Kriegführung

beauftragt.

Im Gegensatz zu Bosnien ist der Kosovo ein Teil des jugoslawischen Staatsgebietes. Wenn es auch angesichts von Mord und brutalster Vertreibung und somit flagranter Verletzung aller

Menschenrechte durch Jugoslawien schwer fällt: Die Bombardierung Jugoslawiens ist ein ebenso flagranter Bruch des Völkerrechts. Wer den Teufel mit dem Belzebuben austreiben will, muß scheitern; es

sei denn, die USA und ihre großen Verbündeten in der NATO wollen Völkerrecht und die UNO so behandeln, wie einst das nationalsozialistische Deutschland den Völkerbund.

Wenn sich auch bei Saddam Hussein und Milosevic die Feder sträubt: Entweder die UN bestimmen Sanktionen gegen internationale Menschenrechtsbrecher oder die NATO ändert ihren Vertrag auf "out of area"-

Einsätze und läßt sich von den UN zum Weltrichter und Polizisten zugleich bestellen.

Derzeit vertreibt Jugoslawien unvermindert und ungehindert brutal die Albaner aus dem Kosovo.

Derzeit bombardiert die NATO Jugoslawien und vernichtet einen beträchtlichen Teil der Infrastruktur und produzierenden Industrie, bei "Fehlzündungen" auch Zivilisten.

Derzeit gibt es im Kosovo keine für Albaner wirksame Bekämpfung der jugoslawischen Armee und Miliz durch die NATO.

Derzeit wird in abstoßender Weise diskutiert, wer in der NATO und in Europa wieviel albanische Flüchtlinge aufzunehmen bereit ist.

Derzeit wird von der NATO dementiert, daß sie Bodentruppen zur Bekämpfung der jugoslawischen Armee in den Kosovo entsenden will.

Daraus ergibt sich:

Es ist auch die Vertreibung oder Versklavung der zweiten Hälfte der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo, mit allen Folgen für die humanitäre Hilfe an diese geschundenen Menschen, zu erwarten.

Am Ende stünde ein menschenleerer Kosovo,

ein beträchtlich zerstörtes Serbien,

in seinem ethnischen Gleichgewicht gestörtes Mazedonien,

ein destabilisiertes Montenegro

und ein durch Vertriebene national aufgeheiztes Albanien.

Es gilt zu retten, was noch zu retten ist.

Es genügt nicht, den jugoslawischen Osterangeboten auf Waffenstillstand ein NATO-Nein und die Fortsetzung der Bombardierung entgegenzusetzen.

Es muß ein klares Waffenstillstandsangebot der kriegführenden NATO-Staaten geben.

Die sofortige Einstellung der Vertreibungen wäre Grundvoraussetzung. Die Überwachung im Kosovo wäre durch Luftaufklärung möglich. Einzelheiten des Waffenstillstandes wären im Kosovo zu

verhandeln; eine zusätzliche Kontrollmöglichkeit.

Unter Verantwortung der UN wäre die Entwaffnung der Restbevölkerung und eine Polizeitruppe aufzustellen, die Menschenrechtsschutz garantiert und mit den Ethnien zusammenarbeitet. Der nächste Schritt

wäre die Rückführung der Vertriebenen.

Parallel dazu ist mit allen Staaten des Balkans ein Plan zum Wiederaufbau und zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung dieser Region zu erarbeiten.

Nur Hoffnung der Menschen auf ein auch materiell menschenwürdiges Leben wird jene Kräfte in Jugoslawien und anderen Balkanstaaten stärken, die diese Region in eine Zukunft ohne Haß, Krieg, Mord und

Zerstörung führen wollen.

P. S.: Und wer noch immer glaubt, Österreich muß in die NATO und Neutralität und Solidarität schließen einander aus, der soll mit jenen Österreichern reden, die wieder einmal den Nachbarn in Not

helfen, ohne Völkerrecht zu brechen und das Leben österreichischer Soldaten aufs Spiel zu setzen. Die Gebeine der im bosnischen Okkupationskrieg und in zwei Weltkriegen im ehemaligen Jugoslawien

sinnlos geopferten Österreicher brauchen keinen Nachschub.