Anhänger von Premier Siniora befürchtenEinschüchterung. | UNO-Tribunal | zur Mord-Aufklärung als Streitpunkt. | Beirut. Bei einem Doppelanschlag auf zwei Busse nördlich von Beirut sind am Dienstagmorgen drei Menschen ums Leben gekommen, 18 wurden verletzt. Der Anschlag ereignete sich auf einer dicht befahrenen Straße unweit des Bergortes Bikfaya. In der Kleinstadt haben die Gemayels, eine der einflussreichsten christlichen Familien des Landes, ihren Wohnsitz. Erst im vergangenen November war Industrieminister Pierre Gemayel, der Sohn des früheren libanesischen Präsidenten Bachir Gemayel, erschossen worden.
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Bomben gegen neue Massenproteste
Der Anschlag ereignete sich unmittelbar vor dem zweiten Jahrestag der Ermordung von Expremierminister Rafik Hariri. Die Massenproteste nach diesem Attentat hatten im Frühjahr 2005 zum Sturz der damaligen prosyrischen Regierung geführt.
Vor zwölf Monaten waren Hunderttausende in Gedenken an Hariri an dessen Grab auf dem Märtyrerplatz in Beirut geströmt - ein Vorhaben, was die Täter dieses Jahr offenbar verhindern wollten.
"Es handelt sich um den erneuten Versuch, mit Blut und Unterdrückung den Libanon kontrollieren zu wollen", erklärte Sozialministerin Neila Mouawad, die dem von Hariris Sohn Saad und Premierminister Fouad Siniora geführten, Syrien-kritischen "14. März"-Bündnis angehört.
In Bikfaya hat nicht nur die von Pierre Gemayels Großvater gegründete Kataib-Partei ihren Sitz, auch die mit Syrien verbündete Syrische Nationale Sozialistische Partei (SNSP) unterhält hier ein großes Büro. Nach dem Mord an Gemayel im November vergangenen Jahres kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der beiden Gruppen.
Der bis Anfang 2006 mit der Aufklärung des Mordes an Hariri und mehr als einem Dutzend weiterer Anschläge betraute Sonderermittler der Vereinten Nationen, Detlev Mehlis, hatte nach dem Attentat auf Gemayel Syrien-treue Gruppierungen wie die SNSP für den Mord verantwortlich gemacht. "Ich gehe davon aus, dass das Ziel des Gemayel-Attentats darin bestand, das geplante UNO-Tribunal zur Aufklärung des Hariri-Mordes zu verhindern. Und diese Leute werden sicher nicht auf halbem Wege halt machen", sagte der Berliner Oberstaatsanwalt im November vergangenen Jahres.
Ziel der von Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah und Exgeneral Michel Aoun initiierten Proteste sind die Abhaltung von Neuwahlen und die Bildung einer "Regierung der nationalen Einheit". Kern des Konflikts mit der Regierung Sinioras ist das Statut für ein internationales Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Hariri und fünf weiteren antisyrischen Politikern und Publizisten. Während Siniora auf die schnelle Einrichtung des UNO-Gerichts drängt, erheben Nasrallah und Aoun rechtliche Vorbehalte gegen das Statut, das die libanesische Souveränität unterhöhle.
Schon seit dem Wochenende hatten Anhänger Hariris und seiner christlichen Verbündeten - Falange-Chef Samir Geagea und Ex-Präsident Amin Gemayel - mit Lautsprecherwagen und Flugblättern zur Teilnahme an der Großkundgebung am Valentinstag geworben. Doch der erneute Anschlag - allein 2005 kam es zu mehr als einem Dutzend Bombenattentaten - dürfte viele Regierungssympathisanten von der Fahrt zum Märtyrerplatz abhalten. Da das Gelände direkt an das im Dezember errichtete Protestcamp der Opposition angrenzt, sind Zusammenstöße nicht ausgeschlossen.
Sieben Tote bei Protesten im Jänner
Bei konfessionell geprägten Krawallen waren im Jänner sieben Menschen getötet und fast 300 verletzt worden. Neben innerchristlichen Auseinandersetzungen kam es vor allem zu Zusammenstößen zwischen schiitischen Anhängern der Hisbollah und sunnitischen Gefolgsleuten Hariris und Sinioras. Seither hat sich die innenpolitische Lage in dem Viermillioneneinwohnerland aber wieder entspannt. So berichteten libanesische Zeitungen am Wochenende, dass die Einrichtung eines Komitees zur Annäherung von Opposition und Regierung unmittelbar bevorstehe.
Unter Federführung von Parlamentspräsident Nabih Berri, einem Nasrallah-Vertrauten, sollten Vertreter beider Seiten in mehren Gesprächsforen zusammenkommen, um die strittigen Fragen zu klären. Neben dem internationalen Tribunal sind das die Abhaltung von Neuwahlen für das Parlament, Präsidentenwahlen und die Bildung einer Regierung unter Einschluss der Oppositionsparteien. Kurz vor dem Rücktritt der fünf schiitischen Minister aus dem Kabinett Sinioras im November vergangenen Jahres hatte Berri die wichtigsten Politiker des Landes zu "Nationalen Beratungen" zusammengerufen, die jedoch an der Frage des internationalen Tribunals scheiterten.
Die nun bekannt gewordene neue Gesprächsinitiative und der erwartete Beirut-Besuch von Amr Moussa, dem Generalsekretär der Arabischen Liga, machen Hoffnung auf einen Ausweg aus der Krise. Doch der Anschlag kurz vor dem Jahrestag des Hariri-Mordes könnte die stille Annäherung zwischen den politischen Gegnern genauso schnell wieder zunichte machen.