Zum Hauptinhalt springen

Bondevik von allen umworben

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Oslo - Ein großer Wahlverlierer - die Sozialdemokraten, denen ein Drittel ihrer Mandate und 10,6 Prozent ihrer Wähler abhanden kamen - und zwei große Gewinner - die konservative Partei Höyre, die 6,9 Prozent an Stimmen und 15 Mandate dazugewann und die Linkssozialisten, die 6,4 Prozent bei den Wählern und 14 zusätzliche Parlamentssitze erobern konnten - prägten die norwegische Parlamentswahl vom Montag. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg, dessen Partei noch immer die stärkste Fraktion stellt, will vorerst noch nicht aufgeben, die Opposition verlangt einen Wechsel.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Der Respekt vor dem Wähler gebietet einen Regierungswechsel" betonte Höyre-Parteichef Jan Petersen. Er kündigte Verhandlungen mit allen Parteien des bürgerlichen Lagers an. Es gilt in Oslo als offenes Geheimnis, dass er eine Koalition mit der christlichen Volkspartei eingehen will. Petersen strebt zwar selbst das Amt des Ministerpräsidenten an, er kann sich aber auch den früheren Premier Kjell Magne Bondevik als Premier vorstellen, der bei der Bevölkerung sehr beliebt ist. Dass die christliche Volkspartei aber ebenfalls leichte Verluste (-1,2 Prozent) eingefahren hat, schwächt Bondeviks Chancen etwas.

Aber auch der Wahlverlierer Jens Stoltenberg kann sich eine Zusammenarbeit mit Bondevik und seinen Christdemokraten sowie mit den aus dem Wahlen gestärkt hervorgegangenen Linkssozialisten, die sein Minderheitskabinett schon bisher unterstützt haben, vorstellen. Diese Koalition würde über 85 der 165 Mandate verfügen. Der sozialdemokratische Parteichef Thorbjörn Jagland meinte, dass Bondeviks Christdemokraten der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Sozialpolitik näher stünden als den Konservativen unter Petersen.

Bondeviks bisherige Aussagen deuten aber eher darauf hin, dass er eine Koalition mit den Konservativen mit Unterstützung der rechtspopulistischen Fortschrittspartei eingehen will, die bei der Wahl zwar leichte Stimmenverluste (0,6 Prozent) hinnehmen musste, aber ein Mandat gewann. Diese Parteienkoalition würde über 86 Mandate verfügen. Der rechtspopulistische Parteiführer Carl I. Hagen könnte nach Gerüchten für seine Unterstützung das Amt des Parlamentspräsidenten erhalten.

Die Koalitionsverhandlungen werden diese Woche beginnen und vermutlich bis zur Eröffnung des neuen Parlaments am 1. Oktober dauern.

Die Sozialdemokraten, die mit 24,4 Prozent das schlechteste Wahlergebnis seit 1924 einfuhren, versuchen nun, die Ursachen für ihr Wahldebakel zu orten. Warum der bisher stets stärksten Kraft des skandinavischen Landes die Wähler in Scharen wegliefen, obwohl sie eines der reichsten der Welt regieren konnte, in dem es dank Öl und Gas in der Nordsee Probleme wie Arbeitslosigkeit, Rentenfinanzierung oder wirkliche Armut nicht mehr gibt, bleibt zu analysieren.