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Boom am Bosporus -Wirtschaft der Türkei auf dem Weg nach oben

Von Susanne Güsten

Wirtschaft

Eine Spezialität der Wirtschaft in der Türkei sind spektakuläre Achterbahn-Fahrten von Boom zu Krise und wieder zurück. Zurzeit geht es gerade steil nach oben. Nach einer schweren Krise vor drei Jahren jagt in diesen Tagen ein positiver Rekord den anderen. Die Börse erklimmt immer neue Höchststände, das Wachstum liegt mit rund 5% weit über dem der westeuropäischen Volkswirtschaften, die Inflation ist auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren. Höchste Zeit auch für ausländische Investoren, ihr Engagement am Bosporus wieder zu verstärken, sagt die Regierung in Ankara.


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Vor fast genau drei Jahren begann die schwerste Wirtschaftskrise in der Geschichte des Landes: Banken gingen reihenweise Pleite, tausende Unternehmen mussten aufgeben, hunderttausende Menschen wurden arbeitslos. Im Jahr 2001 schrumpfte die Wirtschaft um fast 10%. Nur mit einer Milliardenhilfe vom Internationalen Währungsfonds (IWF) konnte der Staatsbankrott abgewendet werden. Der IWF verpflichtete die Türkei dabei zu einem strikten Sparkurs und grundlegenden Reformen. Der Bankensektor wurde neu geordnet, viele Staatsbetriebe verkauft, der Einfluss der Politiker auf die Wirtschaft zurückgedrängt.

Das IWF-Programm wirkt. Im vergangenen Jahr sank die Teuerungsrate noch unter die vom IWF angestrebte 20%-Marke - die erreichten 18,4% sind für eine ganze Generation von Türken ein noch nie dagewesenes Erlebnis: Die Inflation ist jetzt so niedrig wie seit 28 Jahren nicht mehr.

Starkes Exportwachstum

Andere Indikatoren sind ebenfalls positiv. Die türkischen Exporte stiegen im vergangenen Jahr stark, die Industrieproduktion zeigte ebenfalls nach oben, und die Istanbuler Leitbörse erreichte in den ersten Tagen des neuen Jahres den höchsten Stand seit vier Jahren. Seit den letzten Parlamentswahlen im November 2002 sind die Börsenkurse um mehr als 90% gestiegen. Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan brachte jetzt ein Gesetz ins Parlament ein, das die Abschaffung der vielen Nullen bei der Türkischen Lira vorsieht. Derzeit ist ein Euro rund 1,75 Mill. Lira wert - nach der für das nächste Jahr geplanten Währungsreform im nächsten Jahr wären es nur noch 1,75 Lira.

Erdogan bemüht sich, die Aufwärtsentwicklung als Erfolg seiner Regierung zu verkaufen. Wirtschaftsexperten sind aber der Ansicht, dass die Kehrtwende vor allem dadurch geschafft wurde, dass Erdogans Regierung nach ihrem Machtantritt Ende 2002 die Finger vom IWF-Programm ließ. Das ist neu für ein Land, in dem die Politiker die Wirtschaft lange als Mittel zur Finanzierung von Wahlgeschenken und zur Versorgung von Freunden, Verwandten und Günstlingen betrachteten. Auch wenn Erdogans Regierung sagt, die alten Zeiten seien überwunden, trauen Unternehmer und Investoren den Politikern nicht so recht über den Weg. Eine jetzt beschlossene Pensionsanhebung zum Beispiel wurde von den Märkten mit Skepsis aufgenommen, weil die Mehrausgaben durch Einsparungen bei staatlichen Investitionen finanziert werden sollen.

Besonders die Ende März anstehenden Kommunalwahlen lassen einige Wirtschaftsvertreter populistische Entscheidungen zu Lasten der Konjunktur erwarten, sagt der Journalist Zülfikar Dogan.

Selbst bei strikter Einhaltung der IWF-Vorgaben hat die Türkei noch einen weiten Weg vor sich, bis ihre Wirtschaft westeuropäisches Niveau erreicht hat. Größtes Handicap ist die in den letzten Jahrzehnten aufgetürmte Auslandsverschuldung von knapp 140 Mrd. US-Dollar (110,6 Mrd. Euro). Diese Summe zwingt den Staat, sich zu hohen Zinsen immer neues Geld zu leihen. Die Privatisierung weiterer Staatsbetriebe kommt nicht recht voran. Auch die Korruption, der Terrorismus und die Nähe der Türkei zum Krisengebiet Naher Osten und zum Kriegsgebiet in Irak machen der Wirtschaft zu schaffen. Die Lage in Irak bietet aber auch Chancen für türkische Unternehmen. Anders als ihre Konkurrenten in Deutschland oder Frankreich dürfen türkische Firmen an den Ausschreibungen der amerikanischen Besatzungsmacht für milliardenschwere Projekte zum Wiederaufbau Iraks teilnehmen. Besonders im Bausektor rechnen sich die Türken gute Chancen aus. Für die türkische Wirtschaft dürfte die Achterbahn-Fahrt zumindest in nächster Zeit weiter nach oben führen.