Zum Hauptinhalt springen

Boris und das Hamsterrad des Verderbens

Von Siobhán Geets

Politik

Auch im TV-Duell mit seinem Konkurrenten um den Posten des britischen Premiers hat Boris Johnson keine Antworten auf konkrete Fragen geliefert. Gewonnen hat es Außenminister Jeremy Hunt, doch das wird Johnson kaum schaden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

London/Wien. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie lange. Dass der nächste Premier Großbritanniens Boris Johnson heißen wird und nicht Jeremy Hunt, scheint so gut wie sicher. Mehr als zwei Drittel der Tory-Mitglieder, die per Briefwahl bis 22. Juli entscheiden sollen, wer Theresa May nachfolgen soll, wollen den Brexit-Hardliner. Doch bei den Abgeordneten regt sich Widerstand. Pro-europäische Konservative planen, Johnson unmittelbar nach seinem Amtsantritt per Misstrauensvotum zu stürzen. Der einflussreiche Hinterbänkler Dominic Grieve droht damit, die Partei zu verlassen, und Rory Steward, bis vor kurzem noch im Rennen um die Nachfolge Mays, erwägt sogar, eine neue Bewegung zu gründen.

Abgeordnete könntenMacht übernehmen

Um einen EU-Austritt ohne Abkommen zu verhindern, wollen einige Dutzend Tories die Macht im Brexit-Verfahren an sich reißen. Möglich wäre das durch eine Notfalldebatte, bei der sich die Abgeordneten vorübergehend die Hoheit im Unterhaus sichern könnten (normalerweise bestimmt die Regierung die Agenda). Sie fürchten, dass Johnson einen No-Deal- Brexit, den die meisten Abgeordneten ablehnen, ohne das Parlament durchziehen will. Auch bei der einzigen Fernsehdebatte zwischen den beiden Anwärtern um den Posten des Premiers am Dienstagabend beim Sender ITV schloss Johnson nicht aus, das Parlament im Sinne eines raschen Brexit vorübergehend auszuschalten. Diese Option vom Tisch zu nehmen sei "absolut bizarr".

Die Idee, das Parlament zu entmachten, stammt ursprünglich von Dominic Raab. Der Ex-Brexit-Minister, der bereits in einer der Vorrunden ausgeschieden ist, wollte damit verhindern, dass der Termin zum EU-Austritt noch einmal verschoben wird. Geschehen ist das schon zwei Mal, denn eigentlich hätte das Königreich die EU bereits am 29. März verlassen sollen. Doch die Abgeordneten im britischen Unterhaus wollen das Austrittsabkommen, das die Regierung mit der EU vereinbart hat, nicht annehmen - und Brüssel schließt Nachverhandlungen aus. An dieser Pattsituation hat sich auch in den vergangenen Monaten nichts geändert. Die Alternative ist ein No-Deal-Brexit, also ein Austritt ohne Abkommen.

Der würde zwar auch den verbleibenden Mitgliedstaaten schaden, für das Vereinigte Königreich wäre er aber verheerend. Bei einem Austritt ohne Abkommen würde das Königreich über Nacht zum Drittstaat, es müssten Zölle und damit auch Grenzkontrollen zwischen Großbritannien und der EU eingeführt werden. Besonders hart träfe es britische Bauern, die ihre Produkte dann nicht mehr in die EU exportieren könnten.

Das Dilemma mitdem harten Brexit

Auch wenn Johnson bei der Debatte der schwächere Kandidat war: Schaden wird ihm das kaum. Die meisten der 160.000 Tory-Mitglieder haben ihre Entscheidung wohl längst getroffen.

Dass Johnson es nicht so ernst nimmt mit den Fakten, scheint sie nicht zu stören. "Es gibt nur einen Weg, das Land aus dem Hamsterrad des Verderbens zu holen und das ist der Brexit", sagte Johnson - und bediente damit einmal mehr das alte Narrativ, dass schon alles gut wird, sobald man sich aus den Fängen Brüssels befreit hat.

Wie genau der ehemalige Bürgermeister Londons das Land am 31. Oktober aus der EU führen will, ist zweitrangig. Darauf spielte auch Hunt an, als er meinte: "Als Premier muss man den Leuten sagen, was sie hören müssen und nicht, was sie hören wollen." Am schwersten wog der Vorwurf Hunts, Johnson stelle seine eigenen Ambitionen vor das Wohl des Landes. In vielen Fällen nachweislich richtig ist Hunts Kritik, Johnson antworte nicht auf konkrete Fragen. Weder gab es eine Antwort darauf, ob er zurücktreten würde, wenn er den Brexit am 31. Oktober nicht liefern könne, noch war Johnson in der Lage zu erklären, wie er das dreimal im Parlament gescheiterte Brexit-Abkommen mit der EU neu verhandeln will, obwohl Brüssel wieder und wieder klar gemacht hat, dass es keine Nachverhandlungen geben wird. Was will der Mann, wofür steht Johnson nun genau? Man weiß es auch nach der TV-Debatte nicht.

Sicher ist, dass Johnson, Superstar der Parteibasis, in einem Dilemma steckt. Stellt er das Parlament kalt, riskiert er eine Verfassungskrise. Schwenkt er um auf einen weichen Brexit, bringt er den rechten Flügel der Tories gegen sich auf - und die Basis, die mehrheitlich für einen sofortigen EU-Austritt ist. Johnson kann darauf hoffen, dass das Parlament tatsächlich die Führung im Brexit übernimmt. Er könnte dann auf einen pragmatischeren Kurs umschwenken, ohne sein Gesicht zu verlieren. In den Abgeordneten fände Johnson einen willkommenen Sündenbock - und könnte als Tory-Superstar weitermachen.