Verhaltenskodizes können Bilanzskandale nicht verhindern. | Managerinteressen werden mehr berücksichtigt als Aktionärsinteressen. | Aufsichtsräte waren schon immer problematisch. Hat sich in Zeiten kodifizierter Corporate Governance daran nichts geändert? Manches schon, aber nicht unbedingt zum Besseren und schon gar nicht wegen der Kodizes.
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Was hatte man sich weltweit nicht alles von den "Codes of best Practice" erwartet: eine bessere Corporate Governance, mehr Verantwortung für Manager und eine strammere Fixierung der Basis für die Unternehmenskontrolle, nicht zuletzt im Aufsichtsrat.
Nach mehreren Revisionswellen der nationalen Kodizes stellt sich indessen Ernüchterung ein: Skandalwellen bis hin zur Subprime-Krise, deren Ursachen primär in unzureichender Unternehmenskontrolle liegen, haben in Frequenz und Amplitude nicht abgenommen. Die Verantwortlichen werden zumeist nicht angemessen zur Verantwortung gezogen.
Dass die Kodizes keine Verbesserung gebracht haben, überrascht nicht, wenn man ihr Zustandekommen betrachtet: Die intellektuelle Fundamentierung in Aussicht gestellter Änderungen wurde maßgeblich Personen übertragen, die Managerinteressen wesentlich näher stehen als Aktionärsinteressen.
So kam es zu weitgehend unverbindlichen Vorgaben, gesetzlich zwingende Bestimmungen sind deutlich in der Minderheit. Von der Abdingbarkeit der meisten Kodex-Regelungen wird hemmungslos Gebrauch gemacht, wenn die jeweilige Vorschrift aus Sicht der freien Aktionäre und der Allgemeinheit besonders dringend einzuhalten wäre.
Neue Zielvorgaben
Dennoch hat sich die Situation für den Aufsichtsrat geändert - allerdings nicht wegen der Kodizes. Beobachtbare Veränderungen beruhen letztlich darauf, dass nach dem Zusammenbruch des Ostblocks weltweit Renditeziele gegenüber bislang vorherrschenden Zielsetzungen von Großkonzernen immer mehr an Bedeutung gewannen.
Neben dieser grundsätzlich begrüßenswerten Entwicklung zeigen sich auch Schattenseiten. In dem Bestreben, die Vorteile der Beteiligung zu maximieren, wird oft eine uneingeschränkte Dominanz angestrebt. Minderheitsbeteiligungen werden seltener, Übernahmen mit möglichst weitgehender Einschränkung von Minderheiten immer häufiger.
Dies wurde erst durch entsprechende Veränderungen des Gesellschaftsrechts möglich. Paradigmatisch in diesem Zusammenhang ist vor allem anderen die Squeeze Out-Gesetzgebung vieler Länder, mittels derer Minderheitsaktionäre ausgeschlossen werden können. Stand früher die Abschirmung von Managern im Vordergrund des Aktienrechts, dominiert heute die ungestörte Ausplünderung durch den Hauptaktionär.
Damit wurde die alte Front zwischen Aktionären und Management in mehreren Fällen nur durch die neue zwischen Hauptaktionär und Streubesitz ersetzt. Dem mit der Institution Aufsichtsrat in offizieller Lesart verbundenen Ziel, aus Sicht aller Aktionäre effiziente Anreiz- und Kontrollmechanismen zu gewährleisten, kam man demgegenüber nicht näher. Vor allem Aufsichtsräte mit Mehrfachmandaten oder einem zeitraubenden Hauptberuf sind nach wie vor oft nicht in der Lage, Unternehmen wirksam zu kontrollieren. Die Anreize zu einer solchen Kontrolle sind schlecht - findet sie statt, profitiert der Kontrolleur kaum, unterbleibt sie, unterbleiben auch gravierende Sanktionen.
Düstere Aussichten
Es ergeben sich auch keine Hoffnungsschimmer für eine Besserung in der Zukunft. Diversifizierte Privatanleger, denen durchgerechnet jenseits von Staatsbeteiligungen alle Aktiengesellschaften gehören, haben weltweit keine Lobby.
Da sie zudem über steuerliche Fehlanreize in immer mehr Ländern aus direkten Aktieninvestments gedrängt werden und die Verwalter mittelbarer Aktienanlagen sich üblicherweise nicht als ambitionierte Eigentümeragenten erweisen, werden die dem Gemeinwohl kompatiblen Interessen von Minderheitsaktionären die politische Wahrnehmbarkeitsschwelle schon bald endgültig unterschreiten. Ob es dann noch neue Kodex-Revisionen geben wird, spielt keine Rolle mehr. Aufsichtsräte werden sich, wenn nichts gänzlich Unerwartetes passiert, jedenfalls nicht auf große Neuerungen einstellen müssen.
Prof. Leonhard Knoll ist freier Consultant und lehrt an der
Universität Würzburg.
Ein ausführlicher Beitrag zu dem
Thema erscheint auch im
"Aufsichtsrat aktuell" des
Linde Verlags.
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