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Böses Omen für Chinas Reformer

Von WZ-Korrespondent Wu Gang

Politik

Der zukünftige Parteichef Xi Jinping stellt am Donnerstag die neue Führungsmannschaft der KP vor - die konservativen Kräfte haben sich offenbar durchgesetzt


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Peking. Es dauerte gezählte vier Minuten, dann fielen dem 86-jährigen Jiang Zemin bei der abschließenden Rede von Hu Jintao, seines Nachfolgers als Staatspräsident und Parteichef, die Augen zu. Hu lobt vor den 2270 Delegierten in der Großen Halle des Volkes in umständlichen Worten die Kommunistische Partei Chinas. Damit war deren 18. Parteitag nach einer Woche zu Ende gegangen, und der 69-jährige Hu räumte seinen Platz im Zentralkomitee. Ihm soll der um zehn Jahre jüngere aktuelle Vizepräsident Xi Jinping folgen, plangemäß soll er im März als Präsident vereidigt werden. Auch Li Keqiang, der designierte Nachfolger von Premierminister Wen Jiabao, hatte keine Probleme, in das neue Zentralkomitee gewählt zu werden.

Der "Shanghaier Zirkel" zieht die Fäden

Trotz der Spekulationen um größere innerparteiliche Mitbestimmung gab es nur wenige Wahlmöglichkeiten. Zunächst wurden die rund 200 Mitglieder des Zentralkomitees gewählt und zur Hälfte ausgetauscht, dann bestimmte jenes das neue 25-köpfige Politbüro, das wiederum den Ständigen Ausschuss wählte, also das eigentliche Machtzentrum. Wie viele Mitglieder dieses jetzt nun hat und um wen es sich im Endeffekt handelt, wird jedoch erst am Donnerstag bekanntgegeben, wenn sich Xi Jinping mit seiner neuen Führungsmannschaft vorstellen wird. Um das höchste Machtgremium gab es hinter den Kulissen ein heftiges Tauziehen, die Liste der potenziellen Kandidaten änderte sich im Verlauf des Parteitages ständig.

Nach übereinstimmenden Berichten dürften sich jedoch der sogenannte "Shanghaier Zirkel" um Altpräsident Jiang und damit die konservativen Kräfte durchgesetzt haben. Zum einen wurde der bisherige Vizepremier Wang Qishan zum Vorsitzenden der neu ernannten Disziplinarkommission gewählt, um sich künftig dem Kampf gegen die Korruption zu widmen. Der ehemalige Staatsbanker und Handelsexperte steht unter der Patronanz von Jiang.

Ein ernüchterndes Signal für alle Reform-Orientierten ist jedoch vor allem die offiziell noch nicht bestätigte Beförderung von Propaganda-Chef Liu Yunshan zum Chefsekretär des Zentralkomitees. Nach Angaben der "South China Morning Post" soll der Hardliner dadurch ein Schlüsselressort erhalten und Personalwechsel in der Führung sowie Interna der Partei beaufsichtigen. Liu ist seit 2002 Minister für Propaganda und hat sich vor allem durch seine drakonische Pressekontrolle und die Online-Zensur einen Namen gemacht.

Damit ist eingetreten, was chinesische Beobachter erwartet hatten: Parteipatriarch Jiang Zemin ist fest entschlossen, sich einen größeren Platz in der chinesischen (Partei-)Geschichte zu sichern, während Amtsinhaber Hu Jintao im lang anhaltenden Machtkampf unterlegen ist. Zwar färbte er seine Abschiedsrede bewusst noch einmal ideologisch und rief dazu auf, "die strategischen Gelegenheiten für Chinas Entwicklung in dieser wichtigen Zeit zu ergreifen und so weit wie möglich auszunutzen". Vor allem aber sollten sich die Parteimitglieder hinter das Zentralkomitee scharen und "das Banner des Sozialismus chinesischer Prägung hochhalten".

Disziplinarkommission wurde gekürt

Indes ist Hus ideologische Hinterlassenschaft minimal, nur seine Forderung nach einer ausgeglichenen und nachhaltigen Entwicklung mit dem Ziel einer "harmonischen Gesellschaft" findet sich als Leitgedanke in der Parteiverfassung wider. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jiang, der die sogenannten "Drei Vertretungen" und damit die kapitalistische Öffnung festhalten ließ, wird Hu in der Parteiverfassung jedoch nicht namentlich erwähnt. Über die anderen ideologischen Leitlinien, die im Rahmen des Parteitages beschlossen wurden, ist wenig bekannt - nur, dass erstmals in den Statuten die Bewahrung der Umwelt aufgenommen wurde.

Der Korruptionsskandal um den entmachteten Spitzenpolitiker Bo Xilai kam während der Sitzung nicht direkt zur Sprache, doch die Delegierten billigten die Arbeit der ausgehenden Disziplinarkommission nur allgemein. Dafür wurde eine neue Zentrale Disziplinarkommission mit über 100 Mitgliedern gekürt. Sie wird allgemein gefürchtet, da sie die einzige Institution innerhalb der KP ist, die darüber wachen soll, dass die Funktionäre keine Bestechungsgelder annehmen, ihre Pflichten nicht vernachlässigen und ihre Macht nicht missbrauchen. Nur sie hat Zugang zu allen Personalakten und die Macht, auch gegen hohe Funktionäre zu ermitteln.

Die Kommission ist eine Institution außerhalb des Justizsystems und dem Zentralkomitee der Partei gleichgestellt. Dem respektierten Krisenmanager Wang Qishan wird offensichtlich zugetraut, das schwierige Amt zu übernehmen, und er dürfte es wohl bald mit einigen heiklen Fällen zu tun bekommen. So wurde beispielsweise Ling Jihua, ein enger Vertrauter von Hu Jintao, trotz 94 Nein-Stimmen in das neue Zentralkomitee gewählt. Ling sorgte für einen Skandal, als er den Unfalltod seines Sohnes, der im Frühjahr mit einem Ferrari und zwei spärlich bekleideten Beifahrerinnen verunglückt war, vertuschen wollte.

Eine Überraschung, die zwar schon vorab durchgesickert war, gab es zum Abschluss des Parteitages dennoch: Hu Jintao trat nicht nur aus dem Zentralkomitee zurück, sondern legte auch sein Amt als Vorsitz der Zentralen Militärkommission nieder. Damit kann sein designierter Nachfolger Xi Jinping auch zum neuen Oberbefehlshaber über die Volksbefreiungsarmee werden. Von Experten war erwartet worden, dass Hu das Amt zumindest bis März 2013 ausüben würde, wenn sein Nachfolger offiziell vom Parlament bestätigt wird. Insbesondere durch den schwelenden Konflikt mit Japan sollen sich viele Militärs für seinen Verbleib ausgesprochen haben.

Hu bricht mit der Tradition seiner Vorgänger

Durch seine Entscheidung bricht Hu mit der Tradition seiner Vorgänger Deng Xiaoping und Jiang Zemin, die sich jeweils die Kontrolle über das Militär auch nach ihrem Rücktritt als Präsident sicherten. Speziell Jiangs Entscheidung galt als sehr unpopulär, da er die Machtbefugnisse seines Nachfolgers empfindlich einschränkte und ihn dadurch diskreditierte. Der imagebewusste Hu wollte offensichtlich weitere Kontroversen vermeiden und sich durch eine glatte Übergabe einen guten Ruf sichern. Beobachter gehen auch von einer großen Amtsmüdigkeit aus, die durch die Querelen im Zuge der Machtübergabe entstanden sein soll.

In Peking zeigt man sich über das Ende des Parteitages erleichtert, stellten doch die Sicherheitsmaßnahmen alles bisher Dagewesene in den Schatten. Xinhua nannte Peking einen "Festungsgraben", in dem alleine 1,4 Millionen Freiwillige mit roten Armbändern das Geschehen kontrollierten - Armee und Polizei noch gar nicht mitgerechnet. Brieftauben, Lenkdrachen und Luftballons durften etwa nicht fliegen. Sicherheitschef Zhou Yongkang bezeichnete die beispiellosen Maßnahmen im Parteimagazin "Wahrheitssuche" übrigens als "soziales Management mit chinesischen Besonderheiten".