Im Repertoire: die traditionell urbane Liebeslyrik Sevdah.
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Wien. Amira Medunjanin wird gerne als Botschafterin der bosnischen Musik bezeichnet. Sie gilt als Königin des kontemporären Sevdah, einer musikalischen Gattung der bosnischen Liebeslyrik. Am 18. Jänner wird sie im Theatersaal in der Längenfeldgasse, im 12. Bezirk, vor dem Wiener Publikum auftreten.
Medunjanin ist ein Star. Wegen ihrer revolutionären Art, Sevdah vorzuführen, wurde sie gar als Billie Holliday Bosniens bezeichnet. "Sie schafft es, das Gefühl von Sevdah über die Barrieren der Sprach- und Kulturunterschiede durch ihre Art und ihre einzigartige Stimme zu transportieren und allgemein verständlich zu machen", sagt Kemal Smajic, Veranstalter des Konzerts.
Musik des Adels oder der Armen?
Das Wort Sevdah bedeutet auf Türkisch Liebe und auf Arabisch schwarze Galle. Sevdah oder auch Sevdalinka ist im Grunde weitaus mehr als wehmütige Liebesmusik. Die musikalische Gattung ist ein Teil der Volksliteratur, die von Generation zu Generation weitervererbt wird. Entstanden ist sie vor etwa 500 Jahren auf dem Raum des heutigen Bosnien und Herzegowinas. Es handelt sich dabei um einfache Gedichte, die in der Anfangszeit vier bis acht Verse hatten. Über den Ursprung sind sich die Gelehrten uneinig. Während manche meinen, dass Sevdah vom feudalen Adel des Mittelalters stammt, sind andere der Meinung, dass es sich dabei um Gedichte der Armen handelt, welche von ihren fröhlichen und traurigen Gefühle erzählen.
Als "fieberhafte Sehnsucht" bezeichnet sie Medunjanin selbst auf ihrer Webseite. Romantische Melancholie in Dichtform, sagen Liebhaber. "Sevdah widerspiegelt die urbanen Geschichten um Liebe, Menschen und die Gesellschaft Bosnien und Herzegowinas. Es geht darum, die Wärme des Balkans musikalisch zu untermalen", sagt Veranstalter Smajic. Sein Plan ist es, die Kultur Bosnien und Herzegowinas in Wien vorzustellen. Das will er mit Musik erreichen. "Sevdah ist die reinste und schönste Form unserer Tradition", befindet er. "In Österreich leben über 100.000 Menschen aus Bosnien. Sie sind besonders gut integriert, beteiligen sich aber nur sehr rudimentär am allgemeinen Kulturleben in Österreich. Wir wollen einen kulturellen Austausch in Gang bringen", sagt er. Geplant sind drei Veranstaltungen pro Jahr. Im November 2013 veranstaltete er das erste Sevdah-Konzert und holte mit Damir Imamovic einen erfolgreichen Jung-Star der Szene nach Wien. Der Reinerlös der Konzerte fließt in seinem wohltätigen Verein "Futurebag", der bedürftige Kinder in Bosnien mit Schultaschen und Zubehör für ihren ersten Schultag ausrüstet.
Sevdah ist für Smajic eine intime Angelegenheit, darum sucht er sich kleinere Spielhallen aus. Das erste Konzert bot nur 280 Personen Platz. Für Medunjanins Konzert gibt es 550 Plätze, die Tickets sollen schon ausverkauft sein. "Wir wollen dieses Gefühl, welches bei den Konzerten entsteht, nicht stören", sagt er. Damit will er die These untermauern, dass Sevdah eine Lebensart ist. Viele Bosnier werden ihm zustimme, so wie der berühmte Schauspieler und Sevdah-Sänger Rade Serbedzija. "Sevdah muss man hören, aber auch fühlen. Es dreht sich nicht um den Text, der gesungen wird, sondern um das Gefühl, das die Lieder verbreiten", sagt er im Anschluss an ein Duett mit Medunjanin.
Und dieses Gefühl war zu jeder Zeit anders, als die Lieder entstanden sind. So kann man die unterschiedlichen Lieder durchaus als Streifzug durch die Geschichte des Landes begreifen. Die Texte konservieren die Atmosphäre und den gesellschaftlichen Stand einer Zeit, als ganz andere Sitten und Tugenden herrschten. Zur Entstehungszeit konnten sich junge, ledige Frauen und Männer nicht immer und überall treffen. Die Jugend hatte bestimmte Treffpunkte. Brunnen waren beliebte Orte, um das andere Geschlecht zu umwerben. Sevdah-Texte sind die aufbewahrten Kokettierversuche und aufgezeichnete Kommunikation der Jugend, vergleichbar mit heutigen Chats im Internet. Nicht nur waren die Probleme, die Sevdah verarbeitet, real, sondern auch viele der Personen, die darin vorkommen. In "Kolika je Dzenetica avlija" (Wie groß ist der Hof der Familie Dzenetic) wird beispielsweise die Schönheit von Mulija Dzenetic, die wirklich zwischen 1820 und 1860 gelebt hat, beschrieben.
Mehr als melancholische Liebesgedichte
Anfangs war Sevdah eine rein gesprochene Dichtform. Die musikalische Begleitung kam später. Erst mit der Zeit begann man, die Verse mit Begleitung des Saz, einem Langhalslautinstrument, musikalisch zu untermalen. Später kamen auch andere Instrumente dazu. Eine Revolution war die Verschmelzung des Akkordeons mit dem Sevdah, welches auch heute kaum aus der Sevdah-Musik wegzudenken ist. Zeitgenössische Interpreten verwenden auch Gitarren, Klavier oder Blasinstrumente als musikalische Untermalung.
Amira Medunjanins Konzert am Samstag wird zum Beispiel von einem Gitarristen, Bosko Jovic, und einem Kontrabassisten, Edvin Hadzic, begleitet. Das Tempo der Lieder ist eher langsam, schließlich sollen die Hörer die Musik absorbieren und genießen. Medunjanin streckt einzelne Verse und beeindruckt mit ihrer Stimm-Akrobatik.
Menschen, die Sevdah hören, hören also mehr als nur melancholische Liebesgedichte. Sie hören Geschichte und spüren durch die Musik das Leben einer längst vergangenen Ära.