Festnahme in Großbritannien. | Ermittlungen in Serbien und Bosnien. | London/Wien. Auf dem Flughafen Heathrow holte die Vergangenheit Ejup Ganic ein. Das ehemalige Mitglied des bosnischen Kriegspräsidiums wurde in London auf Basis serbischer Haftbefehle wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen festgenommen.
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Ganic soll laut britischer Polizei bis zu seiner Anhörung am 29. März im Gefängnis des Gerichts von Westminster bleiben. Emir Ganic, Sohn des Ex-Präsidenten, erklärte jedoch, dass sein Vater gegen eine Kaution von 200.000 britischen Pfund vorübergehend freigelassen werde. In den Fall habe sich die eng befreundete britische Ex-Premierministerin Margaret Thatcher eingeschaltet, teilte Emir bosnischen Zeitungen mit. Thatcher habe ein ganzes Team von Anwälten geschickt.
Ganic wurde bereits am Freitag in London kurzzeitig festgenommen. Sarajevo negierte dies zunächst und sprach von Lügen. Ganic selbst meldete sich im bosnischen Fernsehen und erzählte, dass dies alles "in Belgrad orchestriert" worden sei. Bei seinem Ausreise-Versuch klickten schließlich die Handschellen.
19 Haftbefehle
Nach der Festnahme fielen die Reaktionen der Bosniaken scharf aus. "Hier wird unserem Kriegs-Widerstand der Prozess gemacht", erzürnte sich Haris Silajdzic, muslimisches Mitglied des dreiköpfigen Präsidiums Bosniens. Sein Land werde die "Ehre des Widerstandes gegen die Aggression" verteidigen.
Erwartungsgemäß anders die Reaktionen in der Republika Srpska, einem Teil Bosnien-Herzegowinas: Nebojsa Radmanovic, serbischer Vertreter im Staatspräsidium, betonte, dass sich alle mutmaßlichen Kriegsverbrecher, egal welcher Nation, vor Gericht verantworten müssten. Das für Kriegsverbrechen-Ermittlungen zuständige Amt teilte mit, dass selbst Auftraggeber von an Serben verübten Kriegsverbrechen nicht mehr sicher seien.
Die serbischen Behörden hatten Anfang 2009 Haftbefehle gegen 19 bosnische Staatsbürger wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen erlassen - darunter Ganic, der in den Jahren 1997 bis 1999 sowie 2000 bis 2001 Präsident der Bosniakisch-Kroatischen Föderation war.
Er soll zu Beginn des Bosnien-Kriegs im Mai 1992 den Befehl für einen Angriff auf Soldaten der damaligen Jugoslawischen Volksarmee (JNA) gegeben haben. Den JNA-Einheiten wurde unter UNO-Schutz der ungehinderte Abzug aus Sarajewo zugesagt. Die Armee nahm den damaligen Präsidenten Alija Izetbegovic quasi als Geisel an der Spitze des Abzugskonvois mit. Als jedoch Izetbegovic in Sicherheit war, eröffneten muslimische Polizisten und Freischärler das Feuer. Den Befehl soll laut serbischer Justiz Ganic erteilt haben. Nach variierenden Angaben wurden 18 bis 42 Männer getötet und mehr als 70 verletzt.
Tauziehen um Prozess
Unterdessen begann ein Tauziehen zwischen Belgrad und Sarajewo, wo dem in der serbischen Stadt Novi Pazar geborenen Ganic ein etwaiger Prozess gemacht werden solle. Der Fall "Dobrovoljacka ulica", wie sich die Straße in Sarajewo nannte, in der der Angriff auf die Soldaten stattfand, wird seit Jahren auch von der bosnischen Staatsanwaltschaft untersucht. Sowohl Belgrad als auch Sarajewo wollen einen Auslieferungsantrag stellen.