Auf Arbeitsgruppen statt Demos setzen die Bewohner von Tuzla und Sarajewo.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Tuzla. "Mein Stolz und meine Würde sind verletzt. Ich will sie zurück." Emina Busuladzic, seit 38 Jahren bei der Spül- und Waschmittelfirma "Dita" in Tuzla beschäftigt, ist nicht resigniert. Sie kämpft. Busuladzic ist eine von 10.000 Arbeiterinnen und Arbeitern aus der nordbosnischen Stadt, denen durch die Pleite von fünf ehemals staatlichen Firmen die Arbeitslosigkeit droht. De facto sind diese Menschen aber schon längst ohne Job, sie erhalten schon seit mehr als zwei Jahren keine Löhne.
Dennoch gingen sie in die Arbeit, erzählt Busuladic: "Wir mussten unsere Fabrik schützen, um sie später selbst zu übernehmen. Wenn wir gegangen wären, wären sie zerstört worden." Jetzt steht "Dita" still. Der Aufsichtsrat tagte seit drei Jahren nicht, kein Direktor wurde bestellt. Die Arbeiterschaft hatten die staatlichen Institutionen schon seit Jahren davor gewarnt, dass die Firma den Bach runtergeht. Keine Reaktion. "Die Firmen wurden durch kriminelle Privatisierung zerstört. Die Politik hat sie in private Hand gegeben, die den neuen Eigentümern nur zur schnellen, persönlichen Bereicherung gedient haben." Schwere Vorwürfe erhebt sie gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats. Eines davon war der ehemalige Direktor der Hypo Alpe Adria Bank in Tuzla. "Er ist direkt verantwortlich", sagt die Arbeiterin. Die Hypo gewährte "Dita" einen Kredit, der wohl nie seine Bestimmung erfüllt hat. Ein Darlehen in Höhe von sieben Millionen Euro an "Dita" findet sich auch auf der Liste von problematischen Hypo-Krediten, die internationale Finanzprüfer beim Durchforsten der Finanzen der Balkan-Banken gefunden haben und die zahlreiche Medien 2012 veröffentlicht hatten. Doch das ist eine andere Geschichte.
Nachdem die Warnungen an die staatlichen Institutionen nicht gefruchtet hatten, hielten die Arbeiter in Tuzla wöchentlich einen Streik ab. Das ging mehrere Monate so. Anfang Februar schlossen sich den unzufriedenen Arbeitern auch andere frustrierte Bürger an, die mit ihrer Protestbewegung das ganze Land ansteckten. Mit "Bosnischer Frühling" wurden die Sozialproteste etikettiert, vor allem in internationalen Medien wurde rasch das System Dayton für die Misere im ethnisch geteilten Bosnien-Herzegowina verantwortlich gemacht. Mit dem Vertrag von Dayton wurde der Bosnien-Krieg 1995 beendet, den drei Völkern - Bosniaken, Serben, Kroaten - wurde Gleichberechtigung garantiert. Das Abkommen sollte den Krieg beenden, hat den Konflikt aber nur verlängert, bis jetzt. In dieser Zeit wurde das Land komplett heruntergewirtschaftet.
Langer Atem gefragt
Lokale Politiker wollten die jetzigen Demonstrationen instrumentalisieren, indem sie einen Konflikt der muslimischen Bosniaken, orthodoxen Serben und katholischen Kroaten herbeibeschworen. Doch die Bürger ließen sich nicht beirren. Zwar sind die Proteste weitestgehend beendet, doch in der Hauptstadt Sarajevo und in Tuzla formte sich eine konstruktive Form des Widerstands: das Bürgerplenum.
Die Plena haben weder die ethnische Zugehörigkeit noch Dayton zum Thema, sondern reale Forderungen an die Politik. In Tuzla sind vor allem Universitätsprofessoren und Arbeiter federführend bei der Organisation von mehreren Arbeitsgruppen. Die Belange der Arbeiter koordiniert etwa die "Dita"-Arbeiterin Busuladzic.
Was noch kommt, ist ein zäher Prozess: "Wenn diese Plena zu einer fixen Einrichtung autonomer, bürgerlicher Institutionen werden würden, wäre das sehr positiv für Bosnien-Herzegowina", sagt der bosnische Wissenschafter Jasmin Mujanovic. Denn ein Land mit einem sogenannten Demokratie-Defizit, in dem nach den Wahlen 16 Monate zur Regierungsbildung gebraucht werden und in vier Regierungsjahren nichts passiert, könne man nicht mehr direkte Demokratie nennen, kritisiert er. Werden die Bürger weiter ignoriert, könnte in Bosnien und Herzegowina eine ähnliche Entwicklung stattfinden wie in der Ukraine, wo die Orange Revolution vor zehn Jahren keine Verbesserung gebracht hat. "Die Situation in Kiew heute ist speziell und dazu wird in Bosnien nicht kommen. Aber wir können neue Proteste erwarten."