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Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen in Österreich Ostern, das höchste Fest der Christenheit, in seiner vollen Tiefe und liturgischen Breite begehen. Mit großer Sicherheit höchstens noch eine Minderheit, und die schrumpft auch noch beständig. Der großen Mehrheit genügt ein Schokohase samt Nesterlsuche, wenn Kinder zur Stelle sind. Immerhin: Es gibt zweifellos bedauerlichere Überbleibsel von einstmals gesellschaftlich prägenden Hochfesten als deren Erinnerung in Form eines Familienfestes.
Europa ist bis heute der einzige tatsächlich säkulare Kontinent geblieben. In allen anderen Erdteilen spielen Religionen in der einen oder anderen Form eine die Gesellschaft und die Politik bestimmende, teils sogar wachsende Rolle. Einzig die Wirtschaft hat sich überall vom Primat der Religion befreit und ihre ganz eigene, höchst irdische Metaphysik begründet. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Offen ist, ob der Prozess der Säkularisierung in Europa unumkehrbar ist. Falls doch, dann wird eher nicht ein fröhlich lachender Papst dafür verantwortlich sein, dass Europa das Christentum neu für sich entdeckt. So ansteckend kann die gute Laune von Franziskus gar nicht sein.
Unwahrscheinlich ist auch, dass wir uns als Reaktion auf eine als feindlich eingestufte religiöse Offensive wieder verstärkt unseren eigenen christlichen Wurzeln zuwenden. Eher werden wir als Gesellschaft auf anderen Wegen und mit anderen Mitteln auf die umfassende Konfrontation mit einem fundamentalistischen Islam reagieren. Neben härteren Gesetzen womöglich auch mit einer konsequenten Fortsetzung der Säkularisierung.
Aber ausgemachte Sache ist ein solches Szenario natürlich nicht. Der aktuelle Boom von selbst ernannten Kulturbewahrern, die mit der Verteidigung von Nikolaus, Christkind und Co vor allem eigene, höchst irdische Zwecke verfolgen, wird dran sicher nichts ändern. Genau so wenig wie der Umstand, dass manche, die selten bis nie den Weg in die Kirchen finden, die politische Konkurrenz mit Vorliebe zur Durchsetzung christlicher Werte mahnen. Aber wahrscheinlich ist es im Hinblick auf den sozialen Frieden ein Fortschritt, wenn die Lehren einer Religion von möglichst vielen möglichst breit interpretiert werden und die irdische Handhabe der transzendenten Autoritäten von beschränkter Reichweite ist.
In der Lehre von Nächstenliebe und Solidarität mit den Schwachen, verbunden mit der Möglichkeit, zu gegebener Zeit und bei mangelnder Reue für eigene Vergehen zur Rechenschaft gezogen zu werden, steckt trotzdem unverändert das Zeug, eine bessere Welt zu bauen. Keine kluge Gesellschaft verzichtet freiwillig auf diesen Beitrag.