Der Graffiti-Forscher Norbert Siegl dokumentiert das Gekritzel auf den Wahlplakaten.
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"Wassermelone", ist FPÖ-Chef Norbert Hofer auf die Stirn geschrieben. Ein Kilogramm koste 0,99 Euro. "Lieber nicht", hat jemand Gernot Blümel, Landesparteiobmann der Wiener ÖVP, vorangestellt, und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ist ein Zettel mit "Ibiza Route schließen" über das Auge auf ihrem Wahlplakat geklebt. Mit Vandalismus habe das alles aber nichts zu tun, sagt dazu Norbert Siegl. Der Wiener Psychologe und Graffiti-Forscher dokumentiert seit 30 Jahren die "Hinterlassenschaften" auf den Wahlplakaten, wie er sie nennt. Worte wie "Schmierereien" oder "Verunstaltung" will er gar nicht erst in den Mund nehmen.
Es seien vielmehr zeitgeschichtliche Dokumente, Botschaften, die die Handschrift der österreichischen Seele tragen. "Sie zeigen auf, was den Österreicher zu einer bestimmten Zeit beschäftigt hat, welche Probleme er hatte", sagt Siegl im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Das ist sehr subtil ablesbar."
Bei den aktuellen Wahlplakaten zur bevorstehenden Nationalratswahl am kommenden Sonntag, den 29. September, sei "eine grafische Professionalisierung feststellbar", so Siegl. Das klassische, meist aufgesprayte Graffiti sei in den Hintergrund geraten. An dessen Stelle traten in Zettel, Folien oder Aufkleber gegossene Botschaften, die davor digital erstellt und hundertfach vervielfältigt worden waren.
Feindbild Nummer eins sei diesmal offenbar Herbert Kickl, sagt Siegl. Auf den Fotos des Ex-Innenministers (FPÖ) finden sich Hakenkreuze und Hitlerbärte, auf den FPÖ-Plakaten tauchte am häufigsten "Ibiza" auf. An zweiter Stelle stünden die Plakate von ÖVP-Chef Sebastian Kurz mit platzgreifenden Sätzen wie "Genug ist genug, Herr Kurz!"
"Lebendige Demokratie"
Weniger Interventionen als bei FPÖ und ÖVP gab es laut Siegl bei den SPÖ-Plakaten. Rendi-Wagner wurde zum Beispiel Hammer und Sichel ins Gesicht gezeichnet. Auf Neos-Plakaten war unter anderem "Kurz = Jesus" zu lesen. An den Plakaten der Grünen finde man wenig inhaltliche Kritik, so Siegl, Obmann Werner Kogler werde aber auch mitunter als "Öko-Sau" tituliert. Selbst die Plakatständer der KPÖ plus seien von Plakatabrissen und "Hinterlassenschaften" betroffen gewesen.
"Die große Ausnahme bezüglich Wahlplakaten war die Liste Jetzt, die von Vornherein diese Form der Wahlwerbung als Belästigung und Steuergeldverschwendung klassifizierte und viel in die Neuen Medien investierte", so Siegl. Es seien aber doch auch einige Aufkleber aufgetaucht, vor allem des Vereins gegen Tierfabriken, dessen Obmann Kandidat Martin Balluch ist - als Trägermaterial dienten die Plakate anderer Parteien.
Das Bedürfnis, sich über Plakatwände oder Dreieckständer mitzuteilen, habe eher "das linke Lager", sagt Siegl. Darüber, dass die Wahlplakate dadurch nicht mehr unbedingt die Botschaft verbreiten, die die ursprüngliche Intention war, sollte sich allerdings keine Partei ärgern. "Die Veränderungen der Plakate zeigen, dass die Menschen ein Interesse an der Politik haben und sich mitteilen wollen. Man sollte das als lebendige Demokratie sehen."