Ermordete Politiker, gewalttätige Drogenbanden und randalierende Lehrergewerkschaften. Mexikos Parlamentswahl am Sonntag wird schon im Vorfeld von Gewalt überschattet.
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Mexiko-City. Ulises Fabián Quiroz hätte sich am Sonntag der Wahl zum Bürgermeister von Chilapa im Bundesstaat Guerrero stellen sollen. Chilapa liegt nur etwa eine Autostunde entfernt von Ayotzinapa, wo vergangenen September 43 Lehramtsstudenten verschwanden und mutmaßlich ermordet wurden. Doch es wird gar nicht erst zur Abstimmung über Fabián Quiroz kommen: Der junge Kandidat der ehemaligen Staatspartei PRI wurde am 1. Mai mitsamt seinem Wahlkampfteam von einer Gruppe bewaffneter Männer auf der Bundesstraße am Weiterfahren gehindert und durch mehrere Kopfschüsse getötet.
Er ist damit einer von 19 Politikern und Wahlkampfhelfern, deren politische Ambitionen in diesem Wahlkampf mit dem Tod endeten. Drahtzieher dieser Morde, konzentriert auf die Bundesstaaten Oaxaca, Guerrero und Michoacan, sind meist lokale kriminelle Gruppierungen, die durch den jeweiligen Kandidaten oder Politiker ihre Position bedroht sehen. Die Aufklärungsrate derartiger Verbrechen geht gegen null, was unter anderem auf die Verstrickung lokaler Sicherheitskräfte mit den kriminellen Banden zurückzuführen ist. Auch über diese Fälle nur zu berichten, kann lebensgefährlich sein: Seit dem Jahr 2000 wurden laut der nationalen Menschenrechts-Kommission CNDH in Mexiko 100 Journalisten ermordet, mehr als 20 gelten als vermisst.
500 Kongress-Abgeordnete, 17 Landtage, neun Gouverneure und mehrere hundert Bürgermeister werden am Sonntag in Mexiko gewählt. Die Wahlen werden trotz aller Widrigkeiten und Gewalttaten stattfinden - erst kürzlich gab es etwa eine Schießerei zwischen der Bundespolizei und einem Drogenkartell, bei dem 42 Mitglieder des Kartells und ein Polizist getötet wurden.
Doch nicht alle wollen an der Abstimmung teilnehmen. Teile der Bevölkerung boykottieren die Wahl: Radikalisierte Gruppen der Lehrergewerkschaften CNTE und SNTE beschädigten in den vergangenen Tagen Wahllokale und verbrannten öffentlich Wahlzettel, um gegen die Abhaltung der Wahlen zu protestieren. Kern ihres Protests ist ein Forderungskatalog, in dem sie von der Bundesregierung verlangen, die 2013 approbierte Bildungsreform rückgängig zu machen. Und obwohl die Regierung hinsichtlich des Herzstücks der Reform - eine Zulassungsprüfung sowie laufende Evaluierungen von Lehrern - bereits einlenkte, dauern die Proteste an.
Für die Regierungspartei PRI und vor allem für Staatspräsident Enrique Peña Nieto entscheidet der Ausgang dieser Wahlen maßgeblich über die zweite Hälfte der sechsjährigen Amtszeit: nach aktuellen Umfragen liegt die PRI derzeit bei rund 30 Prozent der Wählerstimmen, bräuchte also einen Koalitionspartner, um eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer zu erreichen.
Eine Neuauflage der 2012 als großer Wurf präsentierten Koalition "Pakt für Mexiko" von PRI, der konservativen PAN und der linken PRD, mithilfe derer groß angelegte Reformen in den Bereichen Bildung, Telekommunikation, Energie und Steuern abgesegnet wurden, scheint unwahrscheinlich. Schafft es die PRI nicht, eine mehrheitsfähige Koalition zu bilden, könnte das zu einer Blockadesituation in der Abgeordnetenkammer führen, die im schlimmsten Fall bis 2018 andauert.
Angesichts der unzähligen Herausforderungen, denen sich das Land stellen muss - die organisierte Kriminalität, das hohe Ausmaß an Straflosigkeit, das defizitäre Bildungssystem, das zu schwache Wirtschaftswachstum, um nur einige zu nennen -, wäre das wohl die denkbar ungünstigste Lösung für das Land.