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Brachialjustiz in Belfast

Von Kevin McElderry

Politik

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Es gehört nicht viel dazu, in Belfast zum Krüppel geschlagen zu werden. Andrew Peden hatte das Pech, den falschen Mann im Auto mitzunehmen. Als wenig später Maskierte mit Waffen und Knüppeln vor

seiner Wohnung standen, gab es kein Entkommen mehr. Das Rollkommando richtete Peden so übel zu, daß die Ärzte im Krankenhaus ihm beide Beine amputieren mußten und nur noch Stümpfe übrigließen.

Diese Verbrecher spielen sich als Richter, Geschworene und Henker zugleich auf", sagt Peden über seine Peiniger, Kämpfer einer protestantischen Miliz, die in diesem Teil der Hauptstadt Nordirlands

das Sagen hat. Der Freund, dem er den Platz in seinem Wagen angeboten hatte, hatte sich mit einem ihrer Kumpane angelegt. Das reichte aus, um an Peden ein nachdrückliches Exempel zu statuieren.

Einige Stadtviertel weiter sieht Maureen Kearney jedem Wochenende mit Bangen entgegen. Samstags nimmt die Katholikin und überzeugte Republikanerin zu Hause alle Uhren von den Wänden, denn an einem

Samstag abend im vergangenen Jahr starb ihr Sohn Andrew. Ein Kommando der katholischen Untergrundorganisation Irisch-Republikanische Armee (IRA) drang in seine Wohnung ein, wo der junge Vater gerade

seine neugeborene Tochter im Arm hielt, zerrte ihn hinaus und schoß. Andrew verblutete im Aufzug, während seine Mörder vor ihrer Flucht noch das Telefonkabel aus der Wand rissen. Warum ihr Sohn

sterben mußte, kann Maureen Kearney nur vermuten. Andrew, erinnert sie sich, habe einmal mit dem IRA-Chef in ihrem Wohnbezirk Streit gehabt. Zwei Wochen später war er ein toter Mann.

Daß Nordirlands Milizen auf beiden Seiten der Bürgerkriegsfront · hier die republikanische IRA, dort die unionistischen Milizen · mit rüden Methoden im jeweils eigenen Lager für das sorgen, was sie

als Ordnung ansehen, ist nicht neu. Da werden Kniescheiben oder Knöchel zerschossen, Wohnungen niedergebrannt, Baseball-Schläger, Eisenbarren oder mit Nägeln gespickte Stöcke geschwungen. Seit 1982

zählte die Polizei 2680 Fälle dieser Art Brachialjustiz, die jeweils zur Hälfte auf das Konto protestantischer und katholischer Milizen gingen. Seit ihrem historischen Kompromiß von Karfreitag

vergangenen Jahres halten die Bürgerkriegsparteien untereinander weitgehend Frieden. Dafür häuften sich Gewalttaten gegen Mißliebige in den jeweils eigenen Reihen.

"Es geht um Macht und Kontrolle", sagte Vincent McKenna von der Organisation Familien gegen Einschüchterung und Terror (Fait). Herrscht Frieden zwischen den Lagern, erklärt er, "haben die Leute nicht

mehr soviel Angst vor den Terrororganisationen in ihren Volksgruppen und beginnen, deren Autorität in Frage zu stellen. Diese Herausforderung wird mit äußerster Brutalität beantwortet." McKenna weist

darauf hin, daß sich nach dem ersten Waffenstillstand der IRA 1994 das Ausmaß der Terrorjustiz vervierfacht habe. Ähnlich sei es jetzt wieder.

"Der Krieg ist vorbei, jeder hat das akzeptiert", sagt Maureen Kearney. "Aber diese Verbrecher wollen die Macht über ihre Volksgruppen behalten. Wir leiden unter der Brutalität unserer angeblichen

Beschützer." Nach dem Mord an ihrem Sohn nahm die Polizei die mutmaßlichen Täter fest, mußte sie aber wieder laufenlassen. Unter den verängstigten Nachbarn fand sich niemand, der aussagen wollte. Wie

eingeschüchtert die Menschen sind, zeigte sich auch, als kürzlich drei Männer freiwillig bei der IRA zur Entgegennahme von Knieschüssen antraten in der Angst, es könnte ihnen sonst noch schlimmer

gehen. In einem anderen Fall zerschoß ein IRA-Kommando einem harmlosen 79jährigen das Knie. Die Vollstrecker hatten einen Kinderschänder abstrafen wollen und sich in der Wohnung geirrt.

Ein Friedensprozeß mit Schönheitsfehlern sei besser als gar keiner, meint der britische Premierminister Tony Blair. Ein schwacher Trost für Menschen wie Andrew Peden, dessen fünfjährige Tochter sich

vom Christkind neue Beine für ihren Vater wünschte, oder Maureen Kearney.