Es klingt so fantastisch, dass man es zunächst mit einem Science-Fiction-Film in Zusammenhang bringen würde. Doch tatsächlich ist es Wissenschaftern des Fraunhofer-Institutes für Rechnerarchitektur und Softwareentwicklung (FIRST) gemeinsam mit Neurologen vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin gelungen, ein Brain-Computer Interface (BCI) zu entwickeln, das sie vor einigen Wochen anlässlich der Messe CEBIT der Öffentlichkeit vorgestellt haben.
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Schon seit geraumer Zeit versuchten Forscher in den USA und in Europa ein System zu entwickeln, mit dem die Kommunikation zwischen dem menschlichem Gehirn und einem Rechner möglich wird. In dem gegenständlichen, vom deutschen Bundesforschungsministerium geförderten Projekt lag das Interesse der beiden leitenden Wissenschafter, Prof. Dr. Klaus-Robert Müller vom FIRST sowie Prof. Dr. Gabriel Curio von der Arbeitsgruppe Neurophysik am Berliner Universitätsklinikum Benjamin Franklin, daran, dass der Computer jene Signale, die mittels des Elektroenzephalogramms aus dem Gehirn der Versuchsperson empfangen werden, richtig umsetzt.
Die wissenschaftlichen Mitarbeiter nützten hierzu ein physiologisches Phänomen: Wenn ein Mensch einen Arm oder auch nur einen Zeigefinger hebt bzw. den Kopf dreht, so ändern sich bereits eine halbe Sekunde davor seine Gehirnströme. Dieses Phänomen wird als sogenanntes "Bereitschaftspotenzial" bezeichnet und beträgt nur wenige Millionstel Volt.
Doch die komplexen Vorgänge im Gehirn erzeugen in jeder Sekunde eine große Anzahl von Signalen. Aus diesem Grund war es für die am "Brain Computer Interface" tätigen Fachleute eine große Herausforderung, das gesuchte "Bereitschaftspotential" in der Informationsvielfalt eindeutig zu identifizieren. Die Spezialisten des Fraunhofer-Institutes, die für den Bereich "Intelligente Datenanalyse" zuständig sind, erarbeiteten für diesen Zweck eine Software, bei der Algorithmen mit bestimmten Testdaten "lernen", bestimmte Formen der Gehirntätigkeit zu erkennen.
Wie gestaltet sich nun so ein Versuch praktisch? - Jene Person, die aktiv daran teilnimmt, trägt eine Haube mit Elektroden auf dem Kopf, wo 128 Sensoren die Gehirnströme messen. Wenn nun die Person mit dem rechten oder mit dem linken Mittelfinger die vor ihr liegende Tastatur bedient, ist der Rechner nach etwas mehr als einer Viertelstunde in der Lage, jene Ströme im Gehirn zu erkennen, die für das Bewegen der linken bzw. rechten Hand verantwortlich sind. In weiterer Folge ist es dem Probanden nun möglich, seinen Cursor mit seinen Gedanken zu lenken. Natürlich ist dieser Versuch jetzt vereinfacht dargestellt, aber er lässt die Vielfalt zukünftiger Anwendungsmöglichkeiten erkennen, die auf Grund dieser Versuche möglicherweise schon bald realisierbar werden.
BCI in Autos
"Brain-Computer Interfaces können in Zukunft die Bedienung von Computern in hohem Maße vereinfachen, da sie Informationen, wie beispielsweise eine Bewegung nach links oder rechts, direkt dort abgreifen wo sie entstehen und somit eine intuitive Bedienung ermöglichen," analysiert Müller. Damit wäre es möglich, diese im medizinischen Bereich einzusetzen, wie beispielsweise zur Verbesserung von EEG-Daten, ebenso könnte diese Entwicklung auch als Kommunikationsform für schwer behinderte Personen benützt werden, die keine herkömmliche Form der Kommunikation mehr nützen können. Auch in anderen Bereichen wie zur Fahrerunterstützung im Autobau oder als neue Art von Computerspiel könnte diese Errungenschaft der Forschung erfolgreich eingesetzt werden.
Da an diesem Projekt auch die Klinik für Neurologie der Charité Berlin beteiligt ist, liegt gegenwärtig das Hauptinteresse auf dem medizinischen Sektor. Gelähmte Patienten etwa könnten das Brain-Computer Interface als eine Art "mentale Schreibmaschine" verwenden. Anderseits könnten damit auch Steuerungen für Prothesen verbessert werden.
Es läge aber auch der Gedanke nahe, gemeinsam mit den Automobilkonzernen die elektronischen Assistenzsysteme für den Lenker mit einem Brain-Computer Interface auszustatten, das jähe Brems- oder Lenkbewegungen "registriert", bevor das Manöver ausgeführt wird, und gleichzeitig die Sicherheitsvorkehrungen wie Gurtstraffung, Versteifung der Karosserie sowie letzten Endes auch die Airbagaktivierung einleitet.
Verbesserungen nötig
Die sechs Wissenschafter vom FIRST haben gemeinsam mit den drei Medizinern von der Berliner Klinik für Neurologie einen gewaltigen technologischen Schritt getan. Doch bis das Brain-Computer Interface alltagstauglich und vielseitig einsetzbar sein wird, sind Verbesserungen nötig. Ein wichtiges Anliegen ist
ihnen, die Bedienbarkeit zu vereinfachen. "In erster Linie müssen hierzu die Sensorik und die Hardware verbessert werden. Gegenwärtig dauern das Anbringen und die Justierung des klinischen EEG-Gerätes rund eine Stunde," erläutert Müller. Dieser Zeitraum ist für alltägliche Anwendungen nicht brauchbar.
"Aus diesem Grund arbeiten wir daher in diesem Zusammenhang an berührungslosen Sensoren," führt der leitende Wissenschafter FIRST weiter aus. Wäre das BCI im sicherheitstechnischen Bereich einsetzbar, also für Polizei und Nachrichtendienste interessant? "Prinzipiell ja", sagt Müller, "jedoch würde sich die moderne Datenanalyse dabei weniger zum 'Erkennen' von Mustern in der Gehirnaktivität, sondern vielmehr zum Erkennen von Mustern im Internetverkehr eignen, um Einbrüche in Computersysteme zu verhindern. Die Datenanalysetechniken, die dem BCI zugrunde liegen, können angepasst in den verschiedensten Kontexten verwendet werden."
Ethische Diskussion
Das FIRST ist derzeit ebenso an einem weiteren Projekt des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung beteiligt, bei dem speziell entwickelte Algorithmen unautorisierte Eingriffe in Computersysteme rechtzeitig ausfindig machen, um weitere illegale Aktivitäten zu verhindern. Ist es nun mit dieser erfolgreichen Forschungsarbeit gelungen, in den bisher unkontrollierten Raum der menschlichen Gedanken vorzudringen? "Wir haben ethische Fragen in unserem Team und ebenso in der Öffentlichkeit sehr intensiv diskutiert: Leider kann man den Missbrauch jeglicher positiver technologischer Entwicklung nicht von vornherein ausschließen," sagt Müller unter Verweis auf auf den primär wichtigen medizinischen Nutzen des BCI.