Zum Hauptinhalt springen

Brasilien auf dem Weg zum Gottesstaat

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Evangelikale gewinnen in Brasilien an Einfluss. Priester rufen zur Wahl des Rechtspopulisten Bolsonaro auf.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Brasilia. Wenn Michelle Reinaldo (38) in diesen Tagen vor die Kamera tritt, darf ein Kleidungsstück nicht fehlen. Die Ehefrau des rechtspopulistischen Präsidentschaftskandidaten Jair Bolsonaro (63) trägt ein schwarzes Hemd mit einem Kreuz darauf. Es ist nicht die einzige Anspielung der Bolsonaros auf ihre Nähe zu den christlich-fundamentalistischen Kirchen in Brasilien. Der ehemalige Fallschirmjäger der brasilianischen Armee lässt keinen Zweifel daran, welchen Stellenwert er Gott in seiner Präsidentschaft einräumen lassen will. Bolsonaros Slogan lautet vielsagend: "Brasilien über alles und Gott über allen." In seinen Wahlkampfspots zitiert er Bibelverse, noch wichtiger aber ist der Schulterschluss mit und die Rückendeckung von Edir Macedo, dem Gründer der evangelikalen "Universalkirche", dessen Privatvermögen inzwischen auf rund eine Milliarde Dollar geschätzt wird und der ein Imperium von über tausenden Gotteshäusern in Brasilien steuert.

Sein Neffe Marcelo Crivella ist bereits dem Ziel ein gutes Stück näher gekommen. Seit gut zwei Jahren ist Crivella, zugleich Bischof der evangelikalen "Universalkirche vom Reich Gottes", Bürgermeister der Stadt Rio de Janeiro. Und er nutzt die Macht, um seiner Glaubensgemeinschaft im Kampf um die Vorherrschaft gegen die katholische Kirche und die afrikanischen Glaubensrichtungen strategische Vorteile zu verschaffen. Jüngst lud er 250 Teilnehmer, allesamt Vertreter evangelikaler Kirchen, zu einem Geheimtreffen in seinem Amtssitz. Nicht ohne eine Nachrichtensperre zu verhängen: Keine Fotos, keine Videos, keine Statements sollten nach außen dringen, der Termin in seinem Amtssitz fand sich in keiner Agenda. Crivella und seine Gotteskrieger wollten Ende Juli unter sich sein und einen Pakt für die Zukunft schmieden, der da unausgesprochen lautet: die endgültige Machtübernahme in Rio, Stadt der Christus-Statue und des Karnevals. Crivella folgt der Marschroute, dass "nur ein evangelikales Brasilien die Heimat retten" könne. Inmitten der tiefen wirtschaftlichen Krise, in der sich das Land befindet, finden solche Aussagen immer mehr Anhänger.

Aber Crivella und seine Mitstreiter um das Reich Gottes sprachen nicht über den besten Weg, um ins Himmelreich zu gelangen, sondern über ganz profane Dinge wie Steuerbefreiungen, kostengünstige chirurgische Eingriffe für Kirchenmitglieder oder die Verlegung von Bushaltestellen direkt vor die Eingangstüren der inzwischen tausenden evangelikalen Kirchengebäude in Rio de Janeiro. Der Weg zu Gott und zur Macht, das wissen die Manager der umsatzstarken evangelikalen Kirchen, führt vor allem über die Geldbörse und Privilegien. Die Grundsteuer, von denen der Evangelikale Crivella seine Kirchen befreien will, hatte der Bürgermeister Crivella zuletzt für alle anderen Bürger massiv erhöht. Das Milliardenvermögen der Kirchen beruht auf einem einfachen Prinzip: Nahezu alle evangelikalen Kirchen verlangen von ihren Gläubigen rund zehn Prozent ihrer Einkünfte als "freiwillige" Spende. Crivellas "Universalkirche" hat es so zu einer der reichsten Kirchen Brasiliens gebracht.

Was in Rio de Janeiro bereits vollzogen ist, könnte schon bald in ganz Brasilien Realität werden: eine kulturelle und gesellschaftspolitische Wende an der Spitze des Staates. Mit dem rechtspopulistischen Jair Messias Bolsonaro, den man den Donald Trump Südamerikas nennt, weil er mit gezielten Tabubrüchen gegen Homosexuelle und Frauen einen erfolgreichen Internetwahlkampf führt und große Teile der evangelikalen Kirche hinter sich weiß.

"Der Einfluss der Evangelikalen auf die Gesellschaft wächst"

Eine Erhebung des Online-Dienstleisters UOL auf der Grundlage der Daten der Wahlbehörde TSE ergab, dass sich bei der Wahl 2018 mehr Kandidaten mit religiösem Hintergrund um ein politisches Amt bewerben als noch im Jahr 2014. Und von diesen religiösen Kandidaten machen diejenigen evangelikalen Glaubens den größten Anteil aus. "Der Einfluss der Evangelikalen auf die Gesellschaft wächst weiter", sagt Jan Woischnik von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rio de Janeiro. "Die parteiübergreifende Fraktion evangelikaler Politiker, die Bancada Evangélica, ist im Kongress sehr gut organisiert." Die Lobby-Fraktion Gottes trägt auch den Spitznamen "BBB" (Boys, Balas, Biblias), der sich auf ihre Wurzeln in der Agrar- und Waffenlobby sowie der evangelikalen Kirchen bezieht.

Der gottesfürchtige Block zählte zuletzt 203 Mitglieder (davon 199 im Abgeordnetenhaus, 4 Senatoren) und stellte damit gut ein Drittel des Parlaments.

Im Präsidentschaftswahlkampf zielt Bolsonaro auf die stetig wachsende Zahl evangelikaler Christen in Brasilien, die bereits knapp ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Brasiliens evangelikale Kirchen sind wahre Umsatzmaschinen und steuern auf Expansionskurs.

Universalkirchen-Gründer Macedo besitzt neben anderen Medienunternehmen auch den zweitgrößten TV-Sender des Landes "Rede Record". Dort sehen die Gläubigen pompöse Gottesdienste in Arenen mit gepolsterten Sitzen, Showmastern und Berichten von Wunderheilungen. Macedo nutzt sein Medienimperium, um damit seine Kirche zu unterstützen. Sein Sender finanzierte eine Kino-Hommage über sein eigenes Leben, in den Kirchen wurden Gratistickets an die Gläubigen verteilt.

Inzwischen greifen die evangelikalen Kirchen auch nach den Schulen. In Rio de Janeiro ließ Crivella dort Werbeveranstaltungen seiner "Universalkirche" abhalten.

Und sie suchen gezielt nach prominenter Unterstützung. Kürzlich schloss sich Ex-Weltfußballer Ronaldinho Gaucho der Splitterpartei PRB (Republikanische Partei Brasiliens) an. Sie gilt als politischer Arm der evangelikalen "Universalkirche vom Reich Gottes" und ist ganz nebenbei politische Heimat von Crivella. Mit seiner breiten Anhängerschaft vor allem in den Armenvierteln Brasiliens und in den sozialen Netzwerken wird Ronaldinho Gaucho ein wichtiger Markenbotschafter für die Universalkirche und ihre Partei. Und seit wenigen Tagen ruft Ronaldinho natürlich auch zur Wahl Bolsonaros auf. Der Fußballer Neymar übrigens auch.