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Brasilien feiert 500. Geburtstag

Von Karin Finkenzelle

Politik

Sao Paulo - Den Brasilianern wird im Allgemeinen ein eher geringes Nationalbewusstsein nachgesagt - die Euphorie bei Fußballspielen ausgenommen. Zu verschieden sind in dem größten südamerikanischen Staat Herkunft, Kultur und Lebensweise der gut 160 Millionen Bewohner, die sich aus den Nachkommen von Indios, Europäern und ehemaligen Sklaven aus Afrika zusammensetzen. Doch im Jahr 500 nach der Ankunft des Portugiesen Pedro Alvares Cabral an der Ostküste Brasiliens lässt die brasilianische Werbeindustrie kaum eine Gelegenheit aus, an die gemeinsame Geschichte zu erinnern. Kritische Stimmen gehen dabei fast unter.


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Schon morgens unter der Dusche kommt die Seife aus einer Flasche mit der Aufschrift "Brasil 500 Anos", die Zeitungen bringen fast täglich Sonderseiten zum Thema; auch der Bus trägt den Aufkleber mit der magischen Zahl. In einem Einkaufszentrum in der Stadtmitte von Sao Paulo haben die Dekorateure das Aufeinandertreffen von Portugiesen und Ureinwohnern mit überlebensgrossen Stoffpuppen nachempfunden: die "Wilden" tragen furchterregende Gesichtszüge und gefährlich hervorstehende Zähne, die Neuankömmlinge feine Kleider, Ritterrüstungen und ein strahlendes Lächeln.

Laut der offiziellen Geschichtsschreibung gelangten am 22. April 1500 mehr als tausend Seefahrer auf dreizehn portugiesischen Schiffen unter Cabrals Kommando an die Küste des heutigen brasilianischen Bundesstaates Bahia. Im Gegensatz zu Mexiko und den Andenstaaten, wo die spanischen Kolonialherren als Eroberer kritisiert werden, betrachten die Brasilianer die Ereignisse von 1500 bis heute als Entdeckung.

"In Brasilien wurde das Wort Entdeckung beibehalten, da auch nach der Unabhängigkeit Mitglieder des portugiesischen Krone weiterregierten. Deshalb war es nicht möglich, mit der kolonialen Vergangenheit zu brechen", sagt Istvan Jancso, Hochschullehrer für brasilianische Kolonialgeschichte an der Universität von Sao Paulo. Erst 1889 wurde Brasilien Föderative Republik. Anlässlich der 500-Jahr-Feiern betonen brasilianische Politiker und Medien besonders gerne die Einheit des Landes und die Homogenität seiner Bevölkerung, die als die gemischteste der Erde gilt. Dabei ist die vielbeschworene "democracia racial", die seit 1946 auch in der Verfassung verankert ist, im Alltag keineswegs Realität. Je dunkler die Hautfarbe, desto niedriger der soziale Status. "Brasilien ist ein Land, in dem die Diskriminierung allgegenwärtig ist", urteilt die Historikerin Laura de Mello e Souza. Die Sklaverei sei zwar schon vor über hundert Jahren abgeschafft worden, "aber noch immer haben wir das Problem der Ungleichheit nicht gelöst".

Die sozialen Unterschiede klaffen enorm

Offiziellen Angaben zufolge müssen in Brasilien 46 Millionen Menschen mit weniger als 70 Reales (rund 570 Schilling) im Monat auskommen. 40 Prozent der Ärmsten verfügen über sieben Prozent, die zehn Prozent der reichsten Brasilianer über 50,6 Prozent des Volkseinkommens. Es ist nicht ungewöhnlich, dass leitende Angestellte eines Unternehmens 120mal so viel verdienen wie ein Hilfsarbeiter. Die (weiße) Mittelschicht leistet sich oft ein bis zwei (dunkelhäutige) Hausangestellte. Und nicht nur das: einige Reiche haben so viel Geld, dass sie ihre beste Gardarobe nach Paris in die Putzerei schicken.

Den Indios reicht`s

Aus Protest gegen Unterdrückung und eine Geschichtsschreibung, welche die Entdeckung Brasiliens als Glücksfall preist, hat die staatliche brasilianische Indianerbehörde Funai die Teilnahme an den offiziellen Festveranstaltungen im Süden des Bundesstaates Bahia abgesagt, die für den 22. April geplant sind.

Viele andere Indianer-und Landlosenverbände werfen der Regierung vor, die Bauern, Indianer und Schwarzen von den Feiern fern halten zu wollen. Sie wollen die Veranstaltungen dazu nutzen, um auf "500 Jahre Leid und Ungerechtigkeit" aufmerksam zu machen, wie Valmir Assuncao, der Chef der Landlosenbewegung MST im Bundesstaat Bahia, mitteilte.

Am Donnerstag demonstrierten etwa 400 Indios aus verschiedenen Regionen in der Hauptstadt Brasilia gegen die offiziellen 500-Jahr-Feiern und marschierten in Kriegsbemalung und mit Pfeil und Bogen bewaffnet zum Kongress. "Wir wollen als Volk respektiert werden, das als erstes Herr dieses Landes war", betont Nailton Muniz von den Pataxo-Indianern. "Wir wollen, dass die Weissen lernen, auch eine andere Gesellschaftsform zu respektieren."

Das wird wohl noch eine Weile dauern: Der Bundesstaat Bahia forderte 2000 Landlose am Montag auf, die Stadt Porto Seguro bis zu den offiziellen Feierlichkeiten zu verlassen. Sie hatten dort zu Wochenbeginn des viertes Jahrestages des schlimmsten Bauernmassakers in der Geschichte des Landes gedacht.

In der fein aufgeputzten Stadt werden am Samstag der brasilianische Präsident Fernando Henrique Cardoso und sein portugiesischer Kollege Jorge Sampaio erwartet.