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Eigentlich wäre der Beschluß des Nationalrates Ende Jänner nicht sonderlich bemerkenswert gewesen · Österreich beteiligte sich mit einer Garantie in Höhe von 50 Mill. Dollar an einem
internationalen Hilfsprogramm · ginge es nicht um die Krise in Brasilien und damit auch um zentrale Fragen im Zusammenhang mit dem Funktionieren der Finanzmärkte. 41 Mrd. Dollar ist es der
internationalen Staatengemeinschaft wert, den Brasilianern unter die Arme zu greifen · ein Kollaps der mittlerweile achtgrößten Volkswirtschaft der Welt mußte verhindert werden, sollte nicht die
dritte verheerende Finanzkrise in kürzester Zeit die gesamte Weltwirtschaft erfassen. Und unter der österreichischen Präsidentschaft hat auch die Europäische Union noch im Herbst ihre Unterstützung
für die Brasilien-Hilfsaktion zugesagt.
Absehbare Krise
In den letzten Jahren hatte sich Brasilien zu einer prosperierenden Volkswirtschaft entwickelt und war dabei, Anschluß an die industrialisierte, westliche Welt zu finden. Es gab kaum einen "Global
Player", einen international tätigen Konzern, der nicht zumindest ein Standbein im ressourcenreichen Land gesucht hätte. Überproportional vertreten waren immer die US-Konzerne, aber auch die Europäer
haben sich in den letzten Jahren stark engagiert. Und auch Österreich ist mit immer mehr Firmen in Brasilien vertreten. Doch in Folge der Wirtschaftskrisen in Südostasien und Rußland wurde auch die
aufstrebende Wirtschaft Brasiliens in den Strudel der Krise gerissen.
Eine Entwicklung, die absehbar war, ja geradezu erwartet werden mußte. Denn der Real, die brasilianische Währung, die fix an den Dollar gebunden war, galt bereits seit längerem als überbewertet. Das
Haushaltsdefizit stieg ständig und erreichte zuletzt mehr als acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Nicht zuletzt auf Grund der Hochzinspolitik der brasilianischen Regierung, die den Investoren in
Brasilien satte Gewinne bescherte.
Diese waren allerdings auch die ersten, die reagierten. Viele Mrd. Dollar wurden in kürzester Zeit aus dem Land abgezogen, die Krise kam voll zum Ausbruch.
Auf Kosten der Ärmsten
Im November vereinbarten Brasilien und der Internationale Währungsfonds das Hilfspaket im Umfang von 41,5 Mrd. Dollar. Die Regierung von Präsident Fernando Henrique Cardoso verpflichtete sich zu
Stabilität und rigorosen Sparmaßnahmen, stieß damit aber innenpolitisch auf Widerstand.
Als die zweitgrößte brasilianische Provinz Minas Gerais die Schuldenrückzahlung an den Zentralstaat aussetzte, war die feste Bindung des Real an den Dollar nicht mehr zu halten · der Kurs stürzte ins
Bodenlose.
Innerhalb kürzester Zeit verloren alle in Real ausbezahlten Einkommen mehr als ein Drittel ihres Wertes. Die Armen waren über Nacht noch ärmer, alles war wieder so wie vor fünf Jahren, vor der
Stabilisierung des Real.
Mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten kam aber auch die dringend notwendige Umsetzung der Agrarreform ins Stocken · soziale Unruhen stehen wieder auf der Tagesordnung und die soziale Lage wird
sich auf Grund der notwendigen Sparprogramme und der drohenden zusätzlichen Arbeitslosigkeit, das ist absehbar, weiter verstärken.
Nationalrat
Unter diesen Vorzeichen stand auch die Plenardebatte im Hohen Haus. Keiner der Redner schien wirklich überzeugt von den getroffenen Maßnahmen, doch nur FPÖ und Grüne sprachen sich gegen die
Teilnahme Österreichs an dem Hilfspaket zur Bewältigung der brasilianischen Finanzkrise aus. Der grüne Ökonom Alexander Van der Bellen verwies darauf, daß der erste Teil des Hilfspaketes nichts
genutzt habe und eine Beteiligung nicht sinnvoll sei, der FPÖ-Abg. Reinhard Firlinger gab sich überzeugt, daß das Geld wirkungslos verpuffen und damit nur "gutes Geld dem Schlechten nachgeworfen"
würde.
Demgegenüber vertraten sowohl die Hauptredner der Regierungsparteien, Alfred Gusenbauer und Günter Stummvoll, als auch der liberale Finanzsprecher Helmut Peter die Auffassung, daß die internationale
Staatengemeinschaft gar keine andere Alternative habe, denn eine weltweite Wirtschaftskrise würde niemandem helfen, auch nicht Österreich. Außerdem sei der Betrag von 50 Mill. Dollar
unverhältnismäßig gering und bedeute nur 0,34 Prozent der Hilfe, während der Anteil unseres Landes an den brasilianischen Importen fast doppelt so hoch sei.
Reformen
Darüber hinaus wurden aber von den Rednern auch nachhaltige Reformen für die Finanzmärkte und die internationalen Finanzinstitutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds gefordert. Eine
Forderung, die in letzter Zeit in Europa immer häufiger gestellt wird und zum einen mit der Dominanz der Amerikaner, aber auch mit der Erfolglosigkeit finanzpolitischer Maßnahmen zu tun hat. Immer
öfter hatten die restriktiven Sparprogramme des Internationalen Währungsfonds in den armen Ländern des Südens mehr Schaden als Nutzen gebracht, die Kluft zwischen arm und reich weiter verstärkt und
das Wachstum verlangsamt. Und auch im Fall Brasilien zeigte sich die Politik des IWF bisher nicht sehr glücklich.
Finanzminister Rudolf Edlinger, im Herbst noch als EU- Ratspräsident mit dieser Problematik befaßt, nahm den Ball bereitwillig auf. Natürlich müßten die internationalen Finanzstrukturen und -hilfen
überdacht werden. Es habe wenig Sinn, Programme zu erstellen, die nicht eingehalten werden können oder die auf die soziale Dimension von Konsolidierungsmaßnahmen keine Rücksicht nehmen. Hier müsse
sich die EU stärker engagieren und das sei nun mit dem gemeinsamen Euro auch leichter möglich.
Verhandlungen
Mittlerweile verhandeln Experten des Internationalen Währungsfonds mit der brasilianischen Regierung ein Zusatzabkommen zur ursprünglichen Kreditvereinbarung, das die veränderten Bedingungen
miteinbeziehen soll · erst wenn das auf dem Tisch liegt, soll die zweite Tranche des Kredits in Höhe von neun Mrd. Dollar ausbezahlt werden.
Die stabilitätspolitischen Vorgaben der Währungshüter sind umstritten, werden aber vermutlich auf den Finanzmärkten für mehr Ruhe sorgen. Die Investoren werden zurückkehren, die Börsen wieder zulegen
· nur der kleine Mann, und der ist in Brasilien bei weitem in der Überzahl, wird die Folgen der Krise noch lange spüren. Sei es, weil notwendige Reformen nun auf Jahre aufgeschoben sind oder weil es
eine Zeit brauchen wird, bis die Einkommen die ursprüngliche Kaufkraft wieder zurückgewinnen. Und tausende, sagen Wirtschaftsexperten, werden in Folge der Krise in den nächsten Wochen und Monaten
noch ihren Arbeitsplatz verlieren.Õ
Michael Klonfar ist Mitarbeiter der ORF-Parlamentsredaktion