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Brasilien positioniert sich rechts

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Jair Bolsonaro: Für die einen ist er Retter eines abgestürzten Landes, für die anderen Totengräber für Menschenrechte.


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Brasilia. Es war eine Verzweiflungstat: "Die Krankenhäuser sind in einem katastrophalen Zustand, es gibt kaum Ärzte", hatten die Studenten im Frühsommer 2013 gerufen. Brasiliens damalige linke Präsidentin Dilma Rousseff befand sich im Umfragetief. Derweil waren mehr und mehr Brasilianer auf die Straßen geströmt, um gegen die miserable Lage im Gesundheitswesen zu demonstrieren.

Dabei stand doch gleichzeitig der Fifa Confed Cup an, ein Jahr später sollte die Fußball-WM folgen. Rousseffs Vorgänger und politischer Ziehvater, Lula da Silva, hatte diese Großereignisse und mit ihnen auch noch dann erst kommenden die Olympischen Spiele 2016 nach Brasilien geholt. Und Rousseff musste damit umgehen. So flossen die Steuer-Milliarden statt in die Infrastruktur, die Bildung oder Krankenhäuser eben in neue Stadien und die Kassen korrupter Baukonzerne und nicht weniger korrupter Politiker, die bei der Vergabe etwas zu sagen hatten.

Der medizinische Notstand riss derweil nicht ab. Schließlich bot Kuba seine Hilfe an. Das kommunistische Regime hat Erfahrung damit, Ärzte auszubilden und sie als Leiharbeiter über den ganzen Kontinent, um gutes Geld zu vermieten. Für die kubanischen Ärzte des Programms "Mais Medicos" (Mehr Ärzte) blieb nur ein kleiner Teil des Gehaltes, wenn sie den Auslandsaufenthalt nicht zu Flucht nutzten. Der Rest der rund 7,1 Billionen Reais flossen zwischen 2013 und 2017 in die Staatskasse der kubanischen Ein-Parteien-Diktatur. Der Mangel an Ärzten wurde kurzfristig ausgeglichen, die Proteste vor der WM ebbten ab. Für brasilianische Ärzte aber wurden die Jobs knapper.

Vor kurzem verkündete Brasiliens künftiger Präsident Jair Bolsonaro das Ende dieses Programms. Unter den Ärzten, so behauptet der Rechtspopulist, der am 1. Jänner das Präsidentenamt in Brasilien übernimmt, hätten sich auch Agenten und Provokateure des kubanischen Geheimdienstes befunden. Die Lücke, die die kubanischen Ärzte vor allem auf dem Land hinterlassen, sollen Brasilianer schließen.

Bei weitab gelegenen indigenen Gemeinden aber wächst die Furcht, dass es bald keine medizinische Versorgung mehr gibt. Neu ausgeschrieben wurden 8517 Stellen in 2824 Gemeinden und 34 Gebieten mit indigener Bevölkerung, die bisher mit kubanischer Hilfe besetzt wurden. Bisher lagen fast 9000 Anmeldungen vor, das hieße zumindest rechnerisch werden die Plätze mit brasilianischen Ärzten ersetzt werden können.

Der 63-jährige Jair Messias Bolsonaro beginnt gleich zu Beginn seiner Amtszeit damit, sich als Kämpfer gegen die lateinamerikanischen Linksregierungen und Diktaturen zu positionieren. Er füllt damit ein politisches Vakuum, denn sowohl viele überwiegend linksgerichtete Nichtregierungsorganisation als auch die internationale Staatengemeinschaft steht der schleichenden Links-Autokratisierung in Teilen Lateinamerikas weitegehend gleichgültig gegenüber. Erst kürzlich hat die nicaraguanische Regierung die Arbeitsgruppen der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) des Landes verwiesen. Die Regierung des autoritären, ehemals linken Präsidenten Daniel Ortega habe den Einsatz von zwei Arbeitsgruppen zur Stabilisierung des mittelamerikanischen Landes vorübergehend ausgesetzt.

Tatsächlich stehen nach der Epoche der von Bolsonaro selbst verherrlichten menschenverachtenden rechten Militärdiktaturen in Lateinamerika im vergangenen Jahrhundert inzwischen die linken Regime in Kuba, Nicaragua und Venezuela für Folter, Ausschaltung der Opposition, außergerichtliche Hinrichtung und Massenflucht.

Bolsonaros öffentliches Vorgehen gegen seine Amtskollegen in Caracas und Havanna, die er bewusst nicht zu seiner Amtseinführung eingeladen hat, ist auch ein Kalkül. Er selbst will den Makel des Diktaturfreundes auf seine innenpolitischen linksgerichteten Gegner übertragen. Die hätten mit dem Programm die kubanische Diktatur gestützt.

Die Familie Bolsonaro - drei seiner Söhne sind ebenfalls in der Politik tätig - hat sich zu politischen Taktierern gemausert.

Sohn Eduardo Bolsonaro gibt den Macho-Lautsprecher, der auch mal öffentlich die Wiedereinführung der Todesstrafe fordert. Vater Jair präsentiert sich anschließend als gemäßigter Vertreter und ruft seinen Sohn öffentlich zur Ordnung. Die Imagekorrektur hat ein klares Ziel: Die frauenfeindlichen, homophoben und rassistischen Sprüche der Vergangenheit sollen nicht mehr Bolsonaros Bild in der Öffentlichkeit dominieren.

Neuer Lieblingsgegner sind dafür die Nicht-Regierungsorganisationen: "Wir respektieren die Umwelt, aber, Leute, wir können mit dieser Bußgeld-Industrie nicht weitermachen. Es gibt bisher ein Dekret, das 40 Prozent der Strafgelder für Umweltsünder an NGOs weiterleitete, damit diese die Umwelt schützen. Was werden wir also mit diesem Dekret machen? Es abschaffen", kündigte Bolsonaro jüngst an.

Umweltschützer sehen damit das Land in eine Straflosigkeit bei Umweltvergehen abgleiten. Die ehemalige unabhängige Präsidentschaftskandidatin Marina Silva kritisiert Bolsonaro deshalb scharf: "Ich sehe eine große Gefahr bei den Themen soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz", sagte Silva. "Die Drohung des Präsidenten, das Übereinkommen von Paris zu verlassen, die Ablehnung, die UN-Klimakonferenz 2019 auszutragen, sind Anzeichen, aus denen wir schließen müssen, dass die Umweltplanung keine Priorität hat, dass die Aufrechterhaltung des Umweltministeriums eine Strategie sein könnte, um es durch Aushungern zu zerstören."

Zum symbolischen Knackpunkt der Umweltpolitik wird unter anderen das Indigenenreservat Raposa Serra do Sol. Das 2009 eingerichtete Schutzgebiet sei "das reichste Gebiet der Welt" und müsse "radikal ausgebeutet" werden, sagte Bolsonaro vor wenigen Tagen.

Reservat unter die Räder?

Brasiliens Oberstes Gericht hatte den Indigenen 2009 in einem aufsehenerregenden Prozess das 1,7 Millionen Hektar große Reservat zugesprochen. Weiße Siedler mussten das Gebiet damals verlassen. In dem Raposa-Reservat soll es Gold und Diamanten in großen Mengen geben, ebenso wie Erze und Mineralien. Besonders begehrt sind die weltweit größten Vorkommen des seltenen Schwermetalls Niob, das als Legierungszusatz Stahl widerstandsfähiger macht. Bolsonaro will Niob zum Exportschlager machen und das Land damit wirtschaftlich voranbringen.

Gleichzeitig warnen Menschenrechtsverteidiger und Umweltschützer aber vor der massiven Beschneidung der Rechte der dort lebenden Indigenen. "Die Pläne der neuen Regierung werfen düstere Schatten voraus: Sie ignoriert schon jetzt die Bedürfnisse der indigenen Bevölkerung und schwächt gezielt ihre mühsam errungenen Rechte", kritisierte Yvonne Bangert von der Gesellschaft für bedrohte Völker.

Ein Großteil der Brasilianer hat den ehemaligen Offizier aber wegen der Versprechen gewählt, die Wirtschaft des Lands voranzubringen und die Sicherheitslage nach 63.000 Morden allein 2017 zu verbessern.

Der Schutz des Regenwaldes, für den sich vor allem die internationale Staatengemeinschaft interessiert, ist für den Durchschnitts-Brasilianer, der mit der alltäglichen Kriminalität und der schwachen Wirtschaftslage zu kämpfen hat, nur ein Randthema.

Bundesrichterin Rosa Weber las Bolsonaro jüngst bei der Übergabe der Urkunde, die ihn als rechtmäßig gewählten Präsidenten des Landes bestätigte, schon einmal vorsichtshalber die Leviten: "Die Demokratie ist die stete Ausübung des Dialogs und der Toleranz, des Respekts vor dem Unterschied. Es geht nicht an, Minderheiten zu unterdrücken, noch weniger verfassungsmäßig errungene Rechte zu behindern."

Nachdem über Monate vor allem Prominente aus Kultur und Gesellschaft vor Bolsonaro warnten, mehren sich inzwischen auch unterstützende Stimmen. Ex-Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari, der Brasilien 2002 zum Weltmeistertitel führte, rief nach dem nationalen Titelgewinn von Palmeiras vor ein paar Wochen auf, dem gewählten Präsidenten eine Chance zu geben: "Ich denke, dass wir meinen Anordnungen folgend einen guten Weg beschritten haben. Und ich hoffe, dass unser Brasilien jetzt auch den Anordnungen unter dem neuen Präsidenten nachkommt."