Am Sonntag wählt Brasilien einen neuen Präsidenten, voraussichtlich den Rechtspopulisten Jair Bolsonaro.
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Rio de Janeiro. Jair Bolsonaro stand vor seinem Haus in Rio de Janeiro. Per Handy sprach er zu tausenden Menschen im Zentrum São Paulos, die kurz vor der Präsidentschaftswahl noch einmal für ihn demonstrierten. Viele trugen T-Shirts mit einem Motiv, das Bolsonaro in typischer Pose zeigt. Er formt die Hände zu Pistolen.
Bolsonaro ist für sein aggressives Auftreten bekannt. Aber nun drohte der Oberst der Reserve seinen Gegnern unverhohlen. "Es wird eine umfassende Säuberung geben", rief er. "Diese Leute werden sich unseren Gesetzen unterwerfen müssen. Oder sie hauen ab, oder sie gehen ins Gefängnis. Die roten Außenseiter werden aus unserem Vaterland verbannt."
Bolsonaro meinte die Anhänger von Brasiliens linker Arbeiterpartei (PT). Gegen deren Kandidaten, Fernando Haddad, tritt er am Sonntag zur Stichwahl um die brasilianische Präsidentschaft an. Alle Umfragen geben ihm einen komfortablen Vorsprung, zuletzt lag er bei 57 Prozent. So ungeheuerlich die Drohungen Bolsonaros waren, so schnell gingen sie wieder unter im Getöse eines Wahlkampfs der Grenzüberschreitungen.
Unternehmer, die Bolsonaro unterstützen, beauftragten gar die millionenfache Versendung von Lügen über Haddad. Sie erreichten die Empfänger über den Kommunikationsdienst WhatsApp, der bei diesen Wahlen ein entscheidendes Werkzeug war. Die Bolsonaro-Kampagne kreierte ein enormes Netzwerk an virtuellen Gruppen, deren Mitglieder stetig mit Propaganda versorgt wurden, die sie wiederum sofort mit ihren Kontakten teilen konnten.
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Brasilien in Kürze also von einem Mann geführt, der vor allem eines versprochen hat: Aufräumen. Mit den Kriminellen auf der Straße, der Korruption in der Politik, der "Gender-Ideologie" (wie er es nennt), den Quoten für Schwarze, den Indigenen-Reservaten, dem Umweltschutz sowie dem angeblichen Kommunismus, der das Land zersetze.
Am Dienstag bekräftigte Bolsonaro, dass Schluss sein müsse mit der Opferrolle von Schwulen, Schwarzen und Frauen. "Wir sind ein einziges Volk", sagte er. Dem Militär will Bolsonaro, selbst Oberst der Reserve, eine größere Rolle geben. Sein Vize-Kandidat ist ein General, ebenso sind mehrere Generäle für Ministerposten vorgesehen.
Das Christentum soll unter Bolsonaro mehr Gewicht bekommen, etwa in der Erziehung. Davon dürften die konservativen evangelikalen Kirchen profitieren, die stark für Bolsonaro warben. Dieser war 27 Jahre lang Abgeordneter in Brasília, aber Regierungserfahrung hat er nicht. Seine Bekanntheit erlangte er durch zahlreiche Beleidigungen und Drohungen, die er im Lauf der Jahre von sich gegeben hat. Ihr Ziel waren politische Gegner und Minderheiten, darunter häufig Homosexuelle.
Getrieben von dem Wunsch nach Veränderung
Während des Wahlkampfs rückten die horrenden Aussagen Bolsonaros jedoch in den Hintergrund vor dem Wunsch vieler Brasilianer nach einem radikalen Wandel. In deren Wahrnehmung ist Brasilien in Kriminalität und Korruption versunken. Tatsächlich scheint das politische System unfähig zu sein, etwa ein anständiges Bildungswesen aufzubauen. Bolsonaro hat zwar kaum Konzepte vorzuweisen, aber er verspricht einen Bruch mit diesem System. Außerdem repräsentiert er am extremsten die verbreitete Ablehnung der Arbeiterpartei PT.
Bolsonaro behauptet, dass dem Land bei einem Wahlsieg des PT eine Diktatur wie in Venezuela drohe. Das ist zwar Unfug, aber im Internet findet es millionenfach Widerhall.
Für die Wirtschaft hat Bolsonaro ultra-liberale Ideen. Er will Brasiliens Staatsbetriebe privatisieren und Arbeitnehmerrechte abbauen, um Investitionen zu ermuntern. Die immense Bürokratie möchte er verringern. Sie stellt ein großes Hindernis für ausländische Investoren dar. Auch deshalb begrüßt die Wirtschaft Bolsonaros Vorhaben. Bereits nach seinem Sieg im ersten Wahlgang sprangen die Börsenkurse in São Paulo nach oben. Und so hatte Bolsonaro in diesem Wahlkampf die Dynamik von Anbeginn auf seiner Seite.
In einigen Regionen Brasiliens herrscht ein wahres Bolsonaro-Fieber. T-Shirts mit seinem Konterfei sind Verkaufsschlager, es finden Autokorsos für ihn statt. Die Arbeiterpartei hat hingegen ihre einstige Mobilisierungskraft verloren. Ihr fehlt ein Mann wie Ex-Präsident Lula da Silva. Dieser sitzt seit April eine umstrittene zwölfjährige Haftstrafe wegen Vorteilsnahme ab. Bolsonaro hat ihm nun gedroht, im Gefängnis "zu verrotten".
Seine Ausfälle gegen die Arbeiterpartei wurden zuletzt heftiger. Gleichzeitig verspricht der Politiker, die Demokratie und ihre Institutionen zu respektieren. Demonstrativ maßregelte er seinen Sohn Eduardo, der gesagt hatte, dass das Militär den Obersten Gerichtshof schließen könnte, sollte dieser widerspenstig sein. Eduardo ist Parlamentsabgeordneter.
International dürfte Bolsonaros Umweltpolitik Besorgnis auslösen. Er hat angekündigt, die Umweltschutzbehörden zu schwächen, schlug etwa vor, just deren Polizisten zu entwaffnen, obwohl diese im Kampf gegen die Holzmafia enorme Risiken eingehen. Der Agrarindustrie will er mehr Spielraum geben. Sie ist eine der größten Bedrohungen für den Amazonaswald und die biologische Vielfalt Brasiliens, da sie riesige Flächen für die Rinderzucht und den Anbau gentechnisch manipulierter Pflanzen verbraucht. Sie setzt dabei massiv auf den Einsatz von Pestiziden.
Amazonas-Gebiet wird durch Bolsonaro gefährdet
Bolsonaro hat weiter angekündigt, "keinen Zentimeter mehr" für Indigenen-Reservate zur Verfügung zu stellen. Studien zeigen, dass die Ureinwohner zu den Garanten eines intakten Amazonaswaldes gehören. Bolsonaro interessiert das nicht, er setzt auf ein Wachstumsmodell, in dem ökologische Erwägungen fast keine Rolle spielen. Konsequenterweise denkt er über einen Austritt Brasiliens aus dem Pariser Klima-Abkommen nach. Es gefährde Brasiliens nationale Souveränität. Das Land gehört zu den zwölf größten Emittenten von Treibhausgasen, hat aber mit seinen Wäldern auch einen der größten CO2-Speicher.
Klimaschützer haben daher gute Gründe, sich vor einem Präsidenten Bolsonaro zu fürchten. In Brasilien haben unterdessen viele Menschen Angst vor dem wachsenden Klima der Intoleranz. Es wird befürchtet, dass rechte Gruppen gegen Linke und Minderheiten gewalttätig losschlagen.
Auf dem Land könnten Großbauern verstärkt gegen die Landlosenbewegung vorgehen, die ein häufiges Ziel der Hassreden Bolsonaros ist. In den Favelas dürfte sich die Polizei ermächtigt sehen, den Drogenkrieg noch rücksichtsloser zu führen. Bolsonaro hat Straffreiheit für Polizisten versprochen, die töten.
Die Linke steht perplex vor dieser Entwicklung und appelliert an die Wähler, die Demokratie nicht durch die Wahl Bolsonaros zu gefährden. Es scheint, dass die Mehrheit das nicht hören will. Brasilien steht ein politischer und gesellschaftlicher Schock bevor.