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Brasiliens Kandidaten eint die linke Vergangenheit

Von WZ-Korrespondentin Susann Kreutzmann

Politik

Rousseff war während Diktatur der Militärs Guerillera, Serra im Exil. | São Paulo. Sie treten als Konkurrenten auf. Dennoch haben Brasiliens Präsidentschaftskandidaten, die sich am Sonntag der Wahl stellen, mehr gemeinsam als es auf den ersten Blick scheint: Sie haben alle eine linke Vergangenheit. | Dilma - heraus aus Lulas Schatten


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"Was ich an Dilma am meisten bewundere, ist ihre Lebensgeschichte", sagt Präsident Lula da Silva über seine ehemalige Ministerin und wahrscheinliche Nachfolgerin. Und in der Tat, die Lebensgeschichte der 62-jährigen Dilma Rousseff ist auch für brasilianische Verhältnisse ungewöhnlich. Rousseff stammt aus einer angesehenen Mittelklassefamilie aus Belo Horizonte. Ihr Vater kam in den 30er Jahren aus Bulgarien nach Brasilien. Nach dem Militärputsch 1964 schloss sie sich als junge Studentin der linken Untergrundgruppe Colina (Comando de Libertação Nacional - Kommando für Volksbefreiung) an und wurde eine der führenden Köpfe. Später stieß sie zur VAR-Palmares (Vanguarda Armada Revolucionária Palmares - Vorhut der Revolutionären Armee Palmares). Dort war sie an der Planung von bewaffneten Banküberfällen und Entführungen beteiligt. Unklar ist, ob sie auch selbst an diesen Aktionen teilgenommen hat. Rousseff bestreitet dies. "Es war eine andere Zeit, Brasilien war anders. Es gibt keine Ähnlichkeit mit dem, was ich heute über das Leben denke", sagt sie rückblickend. 1970 wurde Rousseff inhaftiert, musste drei Jahre im Gefängnis bleiben und wurde dort auch gefoltert. "Als ich aus dem Gefängnis kam, wusste ich, der größte Wert ist, in einer Demokratie zu leben", sagt sie zu ihrer Biografie.

Nach ihrer Haftentlassung ging sie in den Süden des Landes, nach Porto Alegre. Dort war ihr damaliger Ehemann und Mitkämpfer, Carlos Araújo, inhaftiert. 1977 kam die gemeinsame Tochter Paula zur Welt. Doch erst nach dem Ende der Militärdiktatur 1985 konnte Rousseff ihr Ökonomiestudium abschließen. Sie engagierte sich weiter politisch, arbeitete in der Stadtverwaltung Porto Alegres und wurde später Energieministerin des Bundesstaates Rio Grande do Sur. Damals wurde auch Lula da Silva auf die energische Ministerin, die immer einen Laptop unter dem Arm hatte, aufmerksam. 2002 nach seinem Wahlsieg machte er sie zur Überraschung vieler Parteifreunde zur Energieministerin Brasiliens und 2005 als Kanzleramtsministerin zu seiner engsten Vertrauten. Dort koordinierte Rousseff die Arbeit von 38 Ministern verschiedener Parteien. Ihr Temperament wird von Mitarbeitern als "explosiv" beschrieben. "Nicht mein Temperament, sondern meine Aufgabe ist schwierig", erwidert Rousseff darauf. In dieser Zeit schob sie viele wichtige Sozialprogramme der Regierung Lula und das 218 Milliarden Euro schwere Investitionsförderprogramm PAC an.

2008 erkrankte Rousseff an Lymphdrüsenkrebs. Sie machte ihre Krankheit öffentlich und trug eine Perücke. Viele Brasilianer zollten dieser menschlichen und konsequenten Haltung Respekt.

Der Unermüdliche

José Serra galt noch nie als großer Sympathieträger, dafür aber als harter Arbeiter, der noch bis weit nach Mitternacht Akten studiert. Als Gouverneur des Bundesstaates São Paulo hat er die wirtschaftliche Entwicklung angekurbelt und Infrastrukturprojekte angeschoben. Deshalb setzen die Wahlkampfstrategen vor allem auf die Kompetenz ihres Kandidaten, der auf 25 Jahre in der Politik zurückblickt. So verspricht Serra, sparsam mit den Steuergeldern der Bürger umzugehen und in das zwar kostenlose, aber marode öffentliche Gesundheitswesen zu investieren.

Doch auch innerhalb seiner Partei PSDB werden immer wieder Störfeuer gegen den oftmals autokratisch agierenden Serra laut.

Serra wurde 1942 in São Paulo als Kind kalabrischer Einwanderer geboren. Der Sohn eines Obst- und Gemüsehändlers gab sich im Wahlkampf volksnah und erinnerte an seine Kindheit auf dem städtischen Markt.

Als Student schwärmte der 18-jährige Serra von der kubanischen Revolution und schloss sich der linken Studentenbewegung an. Nach dem Militärputsch 1964 in Brasilien flüchte er in die bolivianische Botschaft, wo er drei Monate bis zu seiner Ausreise ausharren musste. Später lebte Serra mit seiner Familie im Exil in Chile, Bolivien, Frankreich und den USA, wo er auch sein Ökonomiestudium beendete. 1977 kehrte Serra nach 14 Exiljahren nach Brasilien zurück und begann seiner politische Karriere. In den folgenden Jahren war er Abgeordneter, Senator und später Gesundheitsminister in der Regierung Fernando Henrique Cardoso. Er schob kostenlose Impfkampagnen an und errichtete Zentren für Familiengesundheit.

Die Konsequente

Die 52-Jährige Marina Silva wird durch Authentizität und Unbeugsamkeit ihren Wählern sympathisch. Ihr ist es zu verdanken, dass der Umweltschutz mehr politisches Gewicht bekommen hat. Im Amazonasgebiet geboren und dort in ärmsten Verhältnissen aufgewachsen, tritt Silva als Präsidentschaftskandidatin für die brasilianischen Grünen an. In den Umfragen kommt sie auf rund zehn Prozent der Stimmen- ihre Vorgänger erreichten nicht einmal ein Prozent. 25 Jahre war Marina Silva Mitglied von Lulas Arbeiterpartei, erst als Abgeordnete, dann als landesweit jüngste Senatorin und später als Umweltministerin. Als Lula da Silva aus dem Amazonas ein "zweites China" mit riesigen Straßennetzen und Industrieanlagen machen wollte, trat sie 2008 aus Protest zurück.