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Brasiliens Kirche kehrt "Lula" den Rücken

Von Klaus Hart

Politik

"Unsere Warnungen und Voraussagen haben sich leider bestätigt: An der Staatsspitze grassiert die Korruption", sagt Weihbischof Odilo Pedro Scherer, der Generalsekretär der Brasilianischen Bischofskonferenz. Dabei klingt die Feststellung alles andere als triumphierend: "Diese Enthüllungen sind peinlich für Brasilien und schmerzlich für das Volk, das in die Lula-Regierung so große Hoffnungen setzte."


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Tag für Tag erfahren die Brasilianer aus parlamentarischen Untersuchungsausschüssen mehr über ein raffiniertes System von Abgeordneten-Bestechung, Machtmissbrauch und Mittelabzweigung aus Staatsbetrieben. Nach Einschätzung von politischen Beobachtern handelt es sich um die größte Korruptionsaffäre in der Geschichte Brasiliens.

Mehr als 40 Minister und andere hohe Staatsfunktionäre aus der Arbeiterpartei PT von Staatschef Luis Inacio "Lula" da Silva haben bereits ihre Posten verloren. Dieser musste sich notgedrungen von engsten Vertrauten im Präsidentenpalast trennen, darunter auch von seiner "rechten Hand", dem bisherigen Chefminister Jose Dirceu, sowie von PT-Parteichef Jose Genuino und PT-Schatzmeister Delubio Soares.

Kritiker fordern indes, dass die Aufklärung weiter geht. Beinahe täglich pocht die Bischofskonferenz auf schonungslose Ermittlungen, gerade durch die Bundespolizei, weil zu befürchten sei, dass Hauptschuldige und Drahtzieher straffrei davonkommen. Die brasilianischen Sozialbewegungen sehen die mit großen Hoffnungen verbundenen Politik "Lulas" als gescheitert an. Der Präsident habe die mit hohem PR-Aufwand geführte "Schlacht um die öffentliche Meinung" verloren.

Die Korruption der Besten

"Die Lula-Regierung ist am Ende", analysiert Pedro Stedile, der Anführer der auch von den Kirchen in Europa stark unterstützten Landlosenbewegung MST ("Movimiento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra").

Noch im Jahr 2002 hatte der Befreiungstheologe Leonardo Boff begeistert Lulas Wahlkampf-Karawane durch ganz Brasilien begleitet - an der Seite von nicht wenigen Korrupten, wie er jetzt schockiert feststellen musste. "Die Korruption der Besten ist die schlimmste, die es gibt", sagt er heute, das alte lateinische Sprichwort "corruptio optimi pessima" zitierend. Ausführlich beschreiben die Medien des Landes, wie die Präsidenten-Familie die Freuden des Lebens "im Palast" in vollen Zügen genießt. Ebenso den steilen Aufstieg von Lula-Sohn Fabio zum Teilhaber der größten privaten Telefongesellschaft Telemar.

Der Koordinator der brasilianischen Sozialseelsorge, Alfredo Goncalves, nennt es einen "Schlag ins Gesicht" der verarmten Massen, wenn jetzt bekannt wird, wie auf Geheiß der PT-Auftraggeber Millionen, stets in bar und meist in schwarzen Geldkoffern, zu dubiosen Empfängern durchs Land transportiert wurden. Ausgerechnet die so genannte Partei der Ethik habe die Stufenleitern hinauf zur Welt des Luxus und der Bestechung im Eiltempo erklettert.

Bevölkerung revoltiert

"Schwarze Kassen, Bestechung, Kauf und Verkauf von Stimmen und Einfluss wurden normale Praxis", klagt Goncalves. Das Volk sei darüber immer noch perplex. Die vollmundigen Regierungsreden aber können die Betrügereien der Staatsspitze nicht länger überdecken. Militante Proteste gegen die Regierung mehren sich: Auf Lulas Regierungstross werden Eier und Steine geworfen; in den Städten brennen Autoreifen auf Hauptverkehrsstraßen; die Militärpolizei knüppelt Demonstranten nieder.

Angesichts dieser Krise warnte Lula zuletzt die Opposition vor den Gefahren für die immer noch sehr störanfällige Wirtschaft. Prompt wurden die Forderungen nach einem Amtsenthebungsverfahren und seinem Rücktritt leiser. Teilen der Elite graut offenbar auch vor dem Gedanken, dass Lula durch seinen Vize und Verteidigungsminister, den als unberechenbar geltenden Milliardär und Großunternehmer Jose Alencar ersetzt werden könnte. Alencar ist Ehrenpräsident der rechtskonservativen Sekten-Partei PL (die mit der obskuren "Igreja Universal do Reino de Deus" verbandelt ist). PL-Chef Valdemar Costa Neto musste am Montag unter Korruptionsverdacht sein Mandat als Abgeordneter niederlegen. Damit aber rückt nun auch Lulas Vize in die Schusslinie.KAP