Zwei Millionen Menschen gingen gegen die frisch wiedergewählte Staatschefin Rousseff auf die Straße.
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Brasilia. Rios Flaniermeile "Avenida Atlantica" war vollgepackt mit Menschen und in Sao Paulo strömten die Demonstranten auf die traditionsreiche "Avenida Paulista". Ihr Anliegen war das gleiche, wie das der insgesamt zwei Millionen Menschen in weiteren 40 brasilianischen Städten: "Dilma raus!", forderten sie. Und es dürfte erst der Auftakt einer Serie von Demonstrationen und Protesten gegen die linksgerichtete Präsidentin Dilma Rousseff gewesen sein. Die sozialen Netzwerke explodieren, quellen über mit Protesten gegen Rousseff.
Weite Teile der brasilianischen Gesellschaft machen die Präsidentin persönlich für den Korruptionsskandal rund um den staatlichen Erdölkonzern "Petrobras" verantwortlich. In dem Skandal um Bestechungsgelder in Höhe von rund 185 Millionen Euro droht auch die Glaubwürdigkeit der Linkspolitikerin und die der regierenden Arbeiterpartei zu versanden. Rousseff hatte sich während ihrer ersten Amtsperiode als Vorkämpferin gegen Korruption präsentiert und dabei auch zahlreiche Mitglieder ihres eigenen Kabinetts vor die Tür gesetzt. Doch im Zuge der Ermittlungen rund um das ausgeklügelte System von Schmiergeldzahlungen, die bei Vertragsabschlüssen in Form von Provisionen nicht nur aber vor allem an ihre Arbeiterpartei flossen, gerät auch Rousseff ins Visier der Kritiker.
Das schadet nicht nur dem Ansehen des Amtes, sondern auch Rousseff selbst. Die Präsidentin gilt zwar als spröde, aber bisher als nicht käuflich. Doch nun mehren sich die Indizien, dass Rousseff doch nicht so ahnungslos war, wie sie es noch im Wahlkampf im Oktober zu vermitteln suchte. Auch ihre Attacke auf die Medien, die den Skandal aufdeckten, wirkt im Rückblick alles andere als glücklich. Nicht die Medien hatten gelogen, sondern Rousseff selbst hat offenbar die Unwahrheit gesagt, als sie von einer Schmutzkampagne sprach.
Mittlerweile sind viele Befürchtungen bestätigt und Rousseffs Image ist stark angeknackst. Die Wut ist in der Bevölkerung groß, der Skandal immer noch nicht ganz aufgedeckt. Rousseffs Kabinett versprach in einer ersten Reaktion ein härteres Vorgehen gegen Korruption, prompt wurde am Montag ein ehemaliger Petrobras-Manager in seinem Haus festgenommen. Allerdings wurde er schon vor einem Jahr für drei Wochen in U-Haft gesteckt. Das Versprechen, jetzt endlich aufzuräumen, empfanden viele Demonstranten als Hohn.
Die schärfsten Kritiker fordern nun eine Amtsenthebung Rousseffs, weil sie sich durch die illegale Parteienfinanzierung einen entscheidenden Wahlkampfvorteil erschlichen habe. Soweit geht die politische Opposition allerdings nicht, wohl wissend, dass auch in ihren eigenen Reihen Schmiergeldempfänger sitzen. Rousseff hatte die Wahlen gegen ihren bürgerlichen Herausforderer Aecio Neves knapp gewonnen.
Vor allem im armen Nordosten konnte Rousseff so viele Stimmen einfahren, dass der im wirtschaftsstarken Süden um Sao Paulo dominierenden Opposition nur die Rolle des Verlierers blieb. Und genau im Süden schwillt der Widerstand gegen Rousseff nun gewaltig an, fühlen sich die Menschen in Sao Paulo, Rio de Janeiro und Belo Horizonte doch um ihren vermeintlichen Sieg gebracht. Allerdings wurden an diesem Wochenende auch im armen Nordosten Demonstrationen gemeldet. In Salvador gingen tausende Menschen auf die Straße.
Rousseff unter Druck dürfte dringende Reformen scheuen
Rousseffs Fehlstart in ihre zweite Amtszeit, die erst im Jänner begann, bringt die Präsidentin in die Bredouille. Innenpolitisch gerät sie zwischen die Fronten: Sie muss der Opposition Zugeständnisse machen, andererseits darf sie ihr traditionell linkes Klientel nicht allzu sehr enttäuschen. Rousseff dürfte deshalb dringend notwendige, unpopuläre Reformen scheuen, um nicht noch weitere Massenproteste zu riskieren. Dabei braucht das Land unbedingt neue wirtschaftliche Impulse. Es wird erwartet, dass Brasilien ansonsten heuer in eine Rezession schlittert. Die brasilianische Währung Real hat seit Jahresbeginn 22 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren und die Inflation ist auf einem Zehn-Jahres-Hoch.
Außenpolitisch könnte eine angeschlagene Rousseff das Machtgefüge innerhalb Südamerikas ins Wanken bringen. Die Opposition fordert von ihr vor allem gegenüber den schweren Menschenrechtsverletzungen in Venezuela eine härtere Gangart gegenüber der Regierung des sozialistischen Präsidenten Nicolas Maduro. Der konnte sich trotz aller Eskapaden bislang immer auf die Rückendeckung aus Brasilia verlassen. Venezuelas Absturz von einem sozialistischen Vorzeigemodell hin zu einem schreckenden Beispiel geistert auch durch Brasilien. "Wir wollen kein zweites Venezuela werden", riefen die Demonstranten in Sao Paulo.