Der Ökonom Christian Helmenstein über den Crash der Weltwirtschaft und wie Österreich damit fertig wird.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der Ökonom Christian Helmenstein steht er vor der Herausforderung, die größte Wirtschaftskrise seit 1929 zu deuten. Vieles ist unklar und schwer zu prognostizieren. Trotzdem plädiert der Chefökonom der Industriellenvereinigung dafür, schon heute den Blick auf eine Zeit nach der Krise zu richten.
"Wiener Zeitung": Wie schätzen Sie die jüngste Prognose des Internationalen Währungsfonds ein, der für Österreich einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 7 Prozentpunkte prognostiziert?Christian Helmenstein: Nach unserem Modell prognostizieren wir eine Schrumpfung von 7,6 Prozent. Das bedeutet: Am Ende des Jahres 2020 wird voraussichtlich ein Wirtschaftseinbruch stehen, der doppelt so stark ausfällt wie jener der Jahre 2008/2009.
2008/2009 betraf die Krise vor allem die Finanzwirtschaft, diesmal trifft es die Realwirtschaft.
Dabei ist neu, dass diesmal der Dienstleistungssektor massiv betroffen ist. Ich möchte aber eines betonen: Es ist klüger, kurzfristig einen größeren Schaden in Kauf zu nehmen, um mittel- und längerfristig die Schäden zu minimieren. Abgesehen davon, dass es ethisch sehr fragwürdig wäre, Menschenleben gegen ökonomische Schäden aufzurechnen.
Wie kann man die Weltwirtschaft wieder hochfahren?
Das wird derzeit durch zwei Dinge erschwert: Einerseits durch die Tatsache, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis Waren etwa aus China wieder nach Europa oder in die USA verschifft werden können. Ein weiteres Problem ist die Sequenzierung des Wiederhochfahrens. In Asien ist es bereits erfolgt, Europa folgt als Nächstes, aber in den USA wird es noch einige Zeit dauern, bis an ein Ende des Lockdowns zu denken ist. Diese Asynchronität bringt enorme Probleme. Ein weiterer Gedanke dazu - und der kommt aus der Neo-Keynesianschen Welt: Es gibt so etwas wie ein Gesetz des Minimums.
Was meinen Sie damit?
Es hilft nichts, wenn Sie zwar produzieren können, aber Sie haben keine Nachfrage. Niemand kauft Ihre Produkte. Umgekehrt: Angenommen, Sie haben Nachfrage, aber Ihnen fehlen die Arbeitskräfte oder bestimmte Bauteile für das Produkt, das sie produzieren. Oder: Sie können Ihre Produkte nicht exportieren, weil Ihre Lkw nicht über die Grenze fahren dürfen. Dieses Prinzip kann man in der jetzigen Situation auch auf die Weltwirtschaft anwenden: Solange sich etwa die USA nicht erholt haben, kann die Weltwirtschaft insgesamt sich nicht erholen - weil die Konsumenten fehlen.
Ihr Kollege vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, meinte in einem Interview mit der Wochenzeitung "Zeit", dass die Corona-Krise zu einer Art Deglobalisierung führen könnte - wobei er selbst das Wort "Deglobalisierung" als "zu radikal" bezeichnet hat.
Man muss zwei Phänomene auseinanderhalten: Das eine ist ein unvertretbares Klumpenrisiko. Das wird man angesichts der Erfahrungen mit dieser Krise angehen. Da werden sich die weltwirtschaftlichen Strukturen verändern - aber nicht in der Form, dass jetzt das Ende der Globalisierung anbricht - ganz im Gegenteil. Wir werden sogar mehr Globalisierung, mehr Internationalisierung sehen. Denn die Portfolio-Theorie besagt, dass man ein Klumpenrisiko durch eine stärkere Diversifikation - also mehr Standorte in allen möglichen Ländern und Kontinenten - vermindert.
Sehen Sie einen möglichen zukünftigen Wettbewerbsvorteil für Länder wie Österreich, die bisher ganz gut durch diese Krise gekommen sind?
Absolut. Diesen Wettbewerbsvorteil sehe ich in der Komplementarität von öffentlichen und privaten Leistungsqualitäten. Die private Leistungsqualität - man könnte auch sagen: die Rendite auf privatwirtschaftliche Investitionen - ist umso höher, je besser die öffentliche Hand funktioniert.
Was bedeutet das konkret?
Angenommen, es geht um eine Fabrik. Ihre Fabrik kann optimal laufen, aber wenn vor Ihren Werkstoren die Straßen schlecht sind und Chaos herrscht, was machen sie dann? Sie sind also, um erfolgreich zu sein, auf die Qualität der öffentlichen Leistungserbringung angewiesen. Je besser beide Faktoren miteinander verzahnt und aufeinander abgestimmt sind, desto höher ist die gesamtwirtschaftliche Produktivität und damit auch die private betriebswirtschaftliche Rentabilität.
Hat man in den vergangenen Jahren in den Unternehmen zu stark auf Effizienz gesetzt und das Risiko-Element unterschätzt?
Absolut. In den vergangenen 25 Jahren hat man sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik sehr stark auf den Ertrag - sprich: die Beiträge zum Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum - geachtet und außer Acht gelassen, dass in einer unsicheren Welt der Faktor Risiko eine Rolle spielt.
Wie verändert sich die Weltwirtschaft durch die Pandemie?
Wir werden gerade Zeugen einer säkularen Story, nämlich der Rückverlagerung des ökonomischen Gravitätszentrums von den USA und Europa hin zum asiatischen Raum. Das bedeutet, dass wir in die historische Normalität zurückkehren. So wie die Krise als Katalysator für weitere Prozesse dient: Denken Sie an die Digitalisierung.
Kann man die Krise in Österreich für Innovationsschritte nutzen?
Eine Investitionsoffensive würde helfen. Wenn man etwa in klima- und ressourcenschonende Technologien investiert. Jeder länger anhaltende Aufschwung in Österreich war stets davon geprägt, dass wir eine investitions-getragene Konjunktur hatten, weil Investitionen zu mehr Beschäftigung führen. Das werden wir übrigens bitter nötig haben, weil wir schon jetzt sehr viele Arbeitslose haben. Wie kann ein Aufschwung gelingen? Mehr Beschäftigung bedeutet eine höhere Lohnsumme. Dadurch steigt der Konsum. Und ganz am Ende profitiert wieder der Staat, denn der Fiskus freut sich über ein höheres Steuer- und Abgabenaufkommen. Für eine Feinsteuerung könnte er Sonderabschreibungen für Digitalisierungsanstrengungen oder Klima- und Ressourcenschutz anbieten.
Wie sieht es im Tourismus oder im Einzelhandel aus?
E-Commerce war ja bereits vor der Corona-Krise ein ernstes Problem für den stationären Einzelhandel. Der Shutdown hat diese Sparte wie eine Keule getroffen. Der Einzelhandel ist aber beschäftigungsintensiv, ich fürchte, dass viele Beschäftigte in diesem Bereich nicht mehr in ihre angestammten Jobs zurückkehren können werden. Ich bin auch in Sorge, dass in vielen Fällen aufgrund der geringeren Qualifikationen der Beschäftigten in diesen Bereichen Weiterbildungsprogramme nicht in vollem Umfang greifen können. Beim Tourismus bin ich optimistischer: Ich glaube, dass er in drei oder vier Jahren eine Chance hat, wieder das alte Niveau zu erreichen.
Eine zentrale Frage wird sein: Wer wird am Ende für den Schaden aufkommen?
Es ist wichtig, schon heute zu kommunizieren, wohin der Pfad der Konsolidierung der Staatsfinanzen nach der Krise führen wird. Das ist ganz wichtig für die Erwartungshaltung der Menschen: Gehen sie nachher wieder mit Optimismus an die Gestaltung der Zukunft? Oder müssen sie fürchten, dass sie eine Last schultern müssen, die auf Jahre auf sie drücken wird?
Meiner Ansicht nach gibt es drei Optionen. Option eins: deutliche Steuererhöhungen, um die zusätzlichen Staatsausgaben abzudecken. Option zwei: Ausgabenkürzungen. Option drei: eine langsame Rückkehr zu einem ausgeglichenen Budget nach dem Ende der Krise. Ich bin ein Verfechter dieses dritten Weges, ich glaube nicht, dass die budgetäre Belastung durch Covid-19 so groß ausfallen wird, dass wir Sondersteuern benötigen werden.
Nehmen wir an, wir würden 10 Prozentpunkte mehr Staatsverschuldung aufbauen. Dann würde es ausreichen, 2023 zu einem ausgeglichenen Budget zurückzukehren. Wir könnten diese 10 Prozentpunkte zusätzlicher Staatsverschuldung mit einer Rate von 2 bis 3 Prozentpunkten pro Jahr abbauen, ohne dass wir Sparmaßnahmen setzen müssten, sondern indem wir danach wieder ein ausgeglichenes Budget erreichen würden. Man friert die Staatsschuld ein, bei - hoffentlich - wieder vernünftigem Wirtschaftswachstum. Damit sinkt der Anteil der Schulden am Bruttosozialprodukt, ohne dass dies besondere Schmerzen verursacht.
Die anderen beiden Optionen kommen keinesfalls in Frage. Und das erklärt sich von selbst: Sparprogramme würden die Verunsicherung der Bevölkerung massiv erhöhen. Die Menschen brauchen jetzt die Sicherheit, dass dieser gut funktionierende Sozialstaat - und er beweist sich ja jetzt gerade - erhalten bleibt. Und Steuererhöhungen würden die Wirtschaft, kaum, dass sie sich nach der Krise hoffentlich erholt hätte, wieder abwürgen.