Adolf Hitlers Geburtsstätte als "Haus der Verantwortung".
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Symbole besitzen Macht und Anziehungskraft. Das Hakenkreuz steht seit Beginn des Nationalsozialismus für dessen Bewegung und für das Regime unter Adolf Hitler. Die Freiheitsstatue in New York wiederum kommuniziert das Ideal der Freiheit und prägt als Symbol bis heute das Selbstverständnis der Vereinigten Staaten von Amerika. Auch Geburtsorte bekannter Personen haben große Symbolkraft. Sie versinnbildlichen das, womit die Person gedanklich in Verbindung gebracht wird.
Auf der Stadt Braunau am Inn haftet ein Stigma. Hitler wurde hier am 20. April 1889 geboren. Da viele mit seiner Geburt die Geburt des Nationalsozialismus assoziieren, manche sogar die Geburt des Bösen, konnotiert man diese Stadt und ihre Bevölkerung entsprechend - im eigenen Land und weltweit. Dass Hitler in diesem Ort geboren wurde, ist ein unumstößliches Faktum. Die Frage, die sich stellt, ist: Wie soll man damit umgehen?
Hitlers Geburtshaus befindet sich im Eigentum der Republik Österreich und steht seit zehn Jahren leer. Die Regierung entscheidet darüber, was damit gemacht wird. Aktuell verfolgt sie den Plan, die Bezirkspolizei von Braunau in dieses Gebäude einziehen zu lassen. Die Idee dahinter soll jene der "Neutralisierung" sein.
Polizeistation oder Begegnungsstätte?
Der Verein Österreichischer Auslandsdienst widmet sich seit 1998 dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Er entsendet zivildienstpflichtige Österreicher und Freiwillige für einen Gedenkdienst (zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus), einen Sozialdienst (zur Unterstützung verwundbarer sozialer Personengruppen) und einen Friedensdienst (zur Förderung von Versöhnung und Konfliktlösung) ins Ausland. Für Hitlers Geburtshaus präsentiert er mit der Idee einer internationalen Begegnungsstätte einen Gegenvorschlag zur Polizeistation: Junge Menschen aus aller Welt sollten nach Braunau kommen, um über Verantwortung und insbesondere auch jene ihres eigenen Landes hinsichtlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu reflektieren und sich darüber auszutauschen. Das Projekt nennt sich "Haus der Verantwortung".
Die Idee stammt vom Gründer des Gedenkdienstes und Vorsitzenden des Österreichischen Auslandsdienstes, Andreas Maislinger. Sie wurde im Februar 2000 im Zusammenhang mit der Initiative "Braunau setzt ein Zeichen" erstmals öffentlich kommuniziert. In der Zwischenzeit hat sich der Verein hinsichtlich Größe, Know-how und Netzwerk zu einer Institution entwickelt, die als kompetente Basis für das Projekt dienen könnte und dazu auch bereit wäre. Der Verein arbeitet heute mit mehr als 100 Partnerinstitutionen und -organisationen in 45 Ländern zusammen, in die er meist junge Österreicherinnen und Österreicher für einen Dienst im Ausland entsendet. Außerdem werden gemeinsame Projekte abgewickelt.
Das "Haus der Verantwortung" würde im Gegenzug junge Menschen aus aller Welt empfangen und ihnen als Stätte der gemeinsamen Reflexion, des Miteinanders und des gegenseitigen Austausches Bildungsangebote bieten. Dabei könnte das "Haus der Verantwortung" auf die Erfahrung, Expertise, Community und Infrastruktur des Vereins Österreichischer Auslandsdienst aufbauen, der nicht nur Personen entsendet, sondern sich auch als Bildungsinstitution versteht. Die Vorbereitung für den Auslandseinsatz und der Einsatz selbst werden mit verschiedenen Bildungstools wie Studienreisen, Literaturclubs, Interessengruppen, Seminaren, Konferenzen und Vereinsmitarbeit begleitet.
Als Büroleiter des Vereins für Internationales bin ich in ständigem Kontakt mit den internationalen Partnereinrichtungen. Im Zuge dessen stelle ich immer wieder fest, auf wie großes Unverständnis die "Neutralisierungspläne" für Hitlers Geburtshaus stoßen, wogegen der Idee einer internationalen Begegnungsstätte große Befürwortung entgegengebracht wird.
"Die unpassendstealler Designationen"
Tali Nates, Direktorin unserer Einsatzstelle Johannesburg Holocaust Education Centre in Südafrika, übermittelt uns dazu: "Aus dem Haus, in dem Adolf Hitler geboren wurde, eine Polizeistation zu machen, scheint mir die unpassendste aller Designationen und eine sehr armselige und undurchdachte Entscheidung zu sein, besonders weil das genozidäre Naziregime, das von der Person, die dort geboren wurde, ausging, einen Polizeistaat erzeugte." Sie unterstützt die Idee eines "Hauses der Verantwortung" an diesem symbolträchtigen Platz als "einen Ort der Demokratie, sozialen Gerechtigkeit, kulturellen Diversität und inklusiven Gesellschaft". So wie in Südafrika, wo der berüchtigte Gefängniskomplex Nummer 4 der Apartheid-Ära in ein Verfassungsgericht verwandelt wurde, könnte dieses "Haus der Verantwortung" ein Platz für Bildung, kritisches Denken und das Lernen aus der Vergangenheit werden. "Es ist eine einzigartige Gelegenheit, die nicht verpasst werden darf", betont sie.
Auch Rabbiner Abraham Cooper, Vizedekan unserer Einsatzstelle Simon Wiesenthal Zentrum in Los Angeles, findet eine Polizeistation unangebracht. "Es sollte ein dynamisches Zentrum werden, in dem verschiedene Ansichten aufeinandertreffen und über Demokratie und Antisemitismus gelehrt wird", schreibt er. Er fände ein "Haus der Verantwortung" sehr wichtig und wertvoll für das Simon Wiesenthal Zentrum.
Und Chris Harris, Geschäftsführer unserer Einsatzstelle Holocaust Centre of New Zealand, unterstützt die Pläne, "da es jungen Menschen die Möglichkeit gibt, Wege zu erkunden, wie sie als globale Bürger Hass und Antisemitismus bekämpfen können". Es soll ja nicht darum gehen, die Rolle Hitlers zu verewigen, sondern darum, "zu zeigen, dass etwas Gutes in der Dunkelheit der 1930er und 1940er Jahre gefunden werden kann; und dass wir gemeinsam erinnern, lernen und im Angesicht des Bösen handeln können, um der Welt etwas Gutes zu tun".
Den Tatsachenins Auge blicken
Verantwortung zu übernehmen bedeutet, den Tatsachen ins Auge zu blicken, sie nicht zu "neutralisieren" oder wegzuwünschen, sondern aus Negativem bestmöglich Positives zu gestalten. Das Land Österreich würde mit einem "Haus der Verantwortung" als einmalige internationale Begegnungs- und Bildungsinstitution, die sich in Weltoffenheit und Toleranz mit den Erkenntnissen aus Geschichte und Gegenwart für die Gestaltung einer positiven Zukunft auseinandersetzt - gerade an diesem Ort unerwünschten Erbes -, ein großes, zeitgemäßes Zeichen setzen. Sogar weit über den positiven Symbolcharakter hinaus und sicherlich international hoch wertgeschätzt und anerkannt.