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Braune Schafe

Von Solmaz Khorsand

Politik

Der Skandal um NS-Postings unter Studierendenvertretern am Juridicum wirft auch auf die angehenden Juristen seine Schatten.


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Wien. Grell ist das Scheinwerferlicht. Normalerweise ist es hierzulande bestimmten Communitys vorbehalten. Ihnen nähern sich Journalisten in Safari-Trupps, pilgern vorsichtig in "ihre" Grätzel, machen Rädelsführer aus und suchen nach Insidern, die abseits vom offiziellen Distanzierungssprech das wahre Wesen der suspekten Gemeinschaft charakterisieren sollen. Schließlich gilt es ja abzuklopfen, ob sich ein Fehltritt auf ein paar schwarze Schafe beschränkt, oder ob der Generalverdacht auf eine ganze Gruppe zulässig ist. Pauschalisierung zum Wohle der Allgemeinheit sozusagen.

Seit knapp zwei Wochen wird diese Sonderbehandlung Studenten am Wiener Juridicum zuteil. 32 von ihnen sollen sich in privaten Chatgruppen antisemitische, islamophobe und behindertenfeindliche Postings geteilt, kommentiert und geliked haben. Die Beteiligten waren Mitglieder und Sympathisanten der ÖVP-nahen Studentenvertretung AktionsGemeinschaft (AG). Vor zehn Tagen veröffentlichte die Stadtzeitung "Falter" die Chatprotokolle. Seither machen sich Journalisten auf, um die Parallelgesellschaft Juridicum zu erkunden - und zwingen die Studenten zur öffentlichen Nabelschau. Läuft etwas schief bei den angehenden Juristen? Hat der Spott gegen Juden, Muslime, Frauen und Behinderte etwa System? Sind es tatsächlich nur ein paar braune Schafe? Oder doch die ganze Herde?

Wie in jeder angegriffenen Community wird auch in der Schottenbastei 10-16 gegen Systemfremde erstmals gemauert. Ja, die Postings waren unverzeihlich und widerwärtig. Man ist zutiefst betroffen. Und die Schuldigen müssten die Verantwortung dafür tragen. Aber es wäre ungerecht, wegen ein paar Einzelfällen auf alle Studenten zu schließen, so der Tenor. Kein Grund für so viel Aufmerksamkeit also.

Doch hie und da trauen sich ein paar Studenten aus der Deckung und bieten sich als Fakultätsanthropologen inkognito an. Sie identifizieren linke von rechten Flügeln, jene, die lieber auf anderen Instituten lernen und in anderen Kantinen essen, um sich dem konservativen Geist der rechtswissenschaftlichen Fakultät so weit wie möglich zu entziehen. Und sie helfen beim Dechiffrieren der heimischen Codes. Ob das Polo-Shirt zur Uniform jener zählt, die sich gerne als Auserwählte erachten oder ob es achtlos aus dem Schrank gefischt wurde. Ob die Narbe an der Schläfe des Kollegen bloß ein Kratzer ist oder ein stolzes Abzeichen, jener, die jeden Mittwoch in Vollwichs zur Hauptuniversität marschieren, um sich ihren Burschenschaftsbrüdern anzuschließen.

Der Skandal überrascht sie nicht. An einer konservativen Institution wie ihrer haben sie eine derartige Gesinnung vermutet. Woran sich die festmache? Am Dresscode? Am Elternhaus? An den Professoren? Die Insider schütteln den Kopf. "Das ist schwer zu sagen. Es ist mehr ein Gefühl", sagen sie.

"Wir hatten doch noch nie einen guten Ruf", sagt ein 23-jähriger Student. "Wir waren die Schnösel, die von Beruf Sohn sind und mit Papas Porsche vorfahren. Jetzt sind wir nicht nur die Schnösel, sondern auch die Nazis. Quasi: Rosa Pulli um die Schultern und Hakenkreuz-Armbinde", sagt er und lacht ironisch. Sein Kommilitone schaut betroffen zu Boden.

Ein Hortrechter Umtriebe?

Doch bietet das Juridicum einen Nährboden für eine Gesinnung, wo das nach unten treten zum guten Ton gehört? Ist es ein Ort rechter Umtriebe? Dekan Paul Oberhammer stellt sich schützend vor seine Studenten. "Das ist ein diffuses Sentiment. Nur weil man nicht links ist, ist das noch lange kein Hort rechter Umtriebe", sagt er. Scharf hat er die Postings und ebenso das erste Statement der AG verurteilt, wo von "schwarzen Schafen" und "schwarzem Humor" die Rede war. "Es schmerzt, dass solche Untaten am Juridicum möglich sind. Hier zeigt sich eine Geisteshaltung, die unseren Studierenden und Mitarbeitern fremd ist", hat Oberhammer in einer ersten Stellungnahme wissen lassen. Daran hält der Dekan fest. Er weiß um das Image der Fakultät, ein Ort muffiger Macho-Studentenverbindungen und reicher Anwaltskinder soll es sein.

Doch viel habe sich verändert. "Wir sind viel weniger uniform, als das vor 30 Jahren der Fall war", sagt er. 58 Prozent der 11.000 Studierenden sind Frauen. Zwischen 15 und 25 Prozent haben Migrationshintergrund. Auch sozial ist man durchmischter. So hat eine Diversitätsstudie ergeben, dass von den Jusstudierenden überdurchschnittlich viele aus hochgebildeten und aus bildungsfernen Familien stammen. Die Mittelschicht hingegen ist unterproportional vertreten. In derselben Studie wurden auch Diskriminierungserfahrungen abgefragt. Das Ergebnis: Jene Gruppe, die sich am stärksten diskriminiert fühlt, sind die Mitglieder aus Studentenverbindungen.

Wer sich einige Stunden am Juridicum aufhält, wird feststellen, dass der autochthone Anzugsträger mit Segelschuhen längst nicht mehr die Norm ist. Sowohl modisch als auch ethnisch und ideologisch scheint sich auf der Fakultät tastsächlich Einiges getan zu haben. So wird die Frage, was denn die Motivation für das Studium war, nicht ausschließlich mit "Status, Prestige und Geld" beantwortet, sondern immer wieder auch der Kampf für Menschenrechte als Intention genannt. Gelegentlich hört man auch Revolutionäres à la "Du musst das System von innen kennen, um es zu verändern."

Im Apolitischenlauert die Gefahr

"Ich würde nicht sagen, dass das Juridicum ein ideologischer Ort ist", sagt ein italienischer Gastdozent. "Die Studenten hier sind apolitisch. Ihnen geht es darum, so schnell wie möglich fertig zu werden und in eine der guten Kanzleien und Beratungsfirmen unterzukommen", sagt er. Apolitisch. Doch genau darin lauert eine Gefahr, erklärt der Politikwissenschafter Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW): "In einer Organisation, die für nichts und gegen nichts steht, können sich unterschiedliche Leute tummeln und wohlfühlen und möglicherweise gar nicht groß auffallen."

Die AG hat sich gerne apolitisch präsentiert. Kein Links, kein Rechts, nur Service für die Studenten. Das war die Devise. Während die Studentenvertreter auf anderen Instituten zum Bastelkurs für Gebärmütter aus Pappmaché eingeladen haben, hat sich die die AG um Gratis-Kopierkarten und Bücherbörsen gekümmert. So die Fama. "Sie nehmen dich ab dem ersten Tag an der Hand", erzählen die Studenten. Sie waren jene Leute, die sie vor den harten Prüfungen gebrieft und danach mit Spritzer versorgt haben. Das vergisst man nicht so schnell.

Aus diesem Grund ziehen viele Studenten eine Grenze zwischen ihrer Vertretung und den Beteiligten aus den privaten Chatgruppen. Und selbst für sie haben einige Mitleid. Sie hätten sich gegenseitig befeuert in ihrer Dummheit, so wie das besoffene Buben am Stammtisch eben so machen. Deswegen gleich auf eine rechtsextreme Ideologie zu schließen, wäre nicht angemessen. Den "Idioten" sei nicht bewusst gewesen, in welches Licht sie so ein Aschehaufen mit dem Titel "Nacktbilder von Anne Frank" rückt.

Dennoch. Auch am Juridicum hat Dankbarkeit ihre Grenzen. Bis Donnerstagnachmittag konnten die Studenten bei der ÖH-Wahl ihre Vertreter für die nächsten zwei Jahre wählen. Bisher stellte die AG mit zehn Vertretern die Absolute an der Fakultät. Nun hält sie nur mehr fünf Mandatare (drei im Diplomstudium, zwei im Doktorat). Der Rest geht an die rote Konkurrenz, den Verband Sozialistischer Studenten (VSStÖ). Damit ist das gallische Dorf, wie die AG das Juridicum innerhalb der "linken" Uni Wien-Familie jahrelang geriert hat, gefallen. Am Juridicum hoffen die Studenten indes, dass mit dem Ende der ÖH-Wahl auch der Wirbel rund um den Skandal nachlässt. Wenn nicht, kann die eine oder andere Community den Juristen in spe ein paar Tipps über das Leben im Scheinwerferlicht geben.