In der Diagnose sind sich alle einig: Wegen der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft werden die Renten in Deutschland schon bald kaum noch zu bezahlen sein. Bei der Therapie gehen die Ansichten zwischen den großen Parteien aber noch auseinander.
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Ein Kompromiss wird weiter gesucht. Die regierenden Sozialdemokraten hoffen, dafür mit ihrem am Montag beschlossenen Konzept die Basis gelegt zu haben.
"Die Zeit des Taktieren sollte zu Ende sein", sagte SPD-Parteichef Bundeskanzler Gerhard Schröder. Obwohl es auch im Partei-Vorstand zahlreiche Gegenstimmen gab, erwartete er in der SPD-Fraktion eine deutliche Zustimmung. Danach sollen schnell weitere Gespräche vor allem mit den Christdemokraten und deren Schwester-Partei CSU folgen. Ein Partei übergreifender Konsens wird angestrebt.
2030 je Rentner eineinhalb Erwerbstätige
Derzeit komme auf drei Beitrags-Zahler ein Rentner, bis zum Jahr 2030 seien es 1,5 Erwerbstätige je Rentner, rechnete die SPD vor. Eine immer höhere Lebenserwartung und gleichzeitig eine zurückgehende Zahl von Geburten schafft ein Ungleichgewicht, das zusehends größere finanzielle Kraftanstrengungen verlangt. Noch konnte der Beitragssatz zur Rentenversicherung mit Mühe bei 19,3% gehalten werden. Die Renten erreichen noch knapp 70% der durchschnittlichen Netto-Löhne. Beides ist künftig so nicht mehr möglich, wissen alle.
Beiträge zur Rentenversicherung maximal 22%
Die SPD als große Regierungspartei hat nach immer neuen Korrekturen nun dieses Konzept festgelegt: Für die gesetzliche Renten-Versicherung als Solidar-Gemeinschaft sollen die Beträge bis 2020 nicht über 20% der Bruttolöhne steigen und bis 2030 möglichst nicht mehr als 22% ausmachen. Gleichzeitig wird das Renten-Niveau gesenkt. Ab 2020 soll es schrittweise sinken. Bis 2030 kann es auf 64% zurückgehen. Ein noch niedrigeres Niveau, wie es anfangs zum Schrecken der SPD-Linken und der Gewerkschaften berechnet worden war, soll es nicht geben.
Gemildert werden soll all dies durch eine zusätzliche private Alters-Vorsorge - zunächst freiwillig und vom Staat gefördert. Ab 2008 sollen die Beschäftigten dafür möglichst 4% ihres Brutto-Lohns ausgeben. Damit die Bezieher niedriger Löhne sich dies leisten können, sollen sie einen Zuschuss erhalten. Bei mittleren Gehältern soll die private Alters-Sicherung durch steuerliche Anreize schmackhaft gemacht werden. Schon jetzt gibt es solche privaten Versicherungen, und vor allem haben zahlreiche Betriebe eigene Zusatzregelungen geschaffen. Das Konzept missfällt aber Linken und Gewerkschaften vor allem deshalb, weil es das System durchbricht: Die Arbeitgeber müssen sich an dieser Zusatz-Vorsorge nicht wie am Pflicht-Beitrag beteiligen. Mit Solidarität zwischen Jung und Alt hat zumindest diese neue "Säule" der Alters-Versorgung nichts mehr zu tun.
Aus für "Monopol der Altersvorsorge"
Gerade die Gewerkschaften befürchten, dass es beispielsweise in der ebenfalls mit Finanz-Problemen kämpfenden Krankenversicherung bald zu ähnlichen Lösungen kommen könnte. Auch die gesetzlichen Krankenkassen basieren bisher auf dem Solidaritäts-Prinzip. Union und Liberale rügen dagegen einen Gesamt-Beitrag von 26% des Brutto-Einkommens zur Alters-Vorsorge als viel zu hoch und sehen darin eine Überforderung der Jungen. Die Unions-Parteien warnen zudem vor neuer Alters-Armut. Die liberale FDP will maximal 20% an Beiträgen für gesetzliche und private Vorsorge. Die Rezepte gegen den drohenden Kollaps der Rentenversicherung sind also noch sehr unterschiedlich. Deutschlands Abkehr von der gesetzlichen Versicherung als "Monopol der Altersvorsorge" steht aber fest.