Fünf Tage bevor 60,5 Millionen Deutsche am 27. September ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen und einer der 33 Parteien bzw. einem der 5.062 Kandidaten für den 14. Bundestag ihre Stimme geben | können, ist das Rennen um die Wählergunst noch einmal spannend geworden. Nach dem erwarteten CSU-Erfolg bei der bayerischen Landtagswahl am vergangenen Sonntag hat die CDU auch bundesweit einen | Auftrieb erhalten.
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Laut der neuesten FORSA-Umfrage würden jetzt 38 Prozent der Wähler den Unionsparteien ihre Stimme geben, während es vor der Bayernwahl nur 36 Prozent waren (Im Mai lag die Union noch bei 34
Prozent). Die SPD hat sich mit 41 Prozent um einen Punkt verschlechtert, läge aber immer noch drei Punkte vor der Union. Die Grünen legten um einen Punkt auf sieben Prozent zu, die FDP dümpelt bei
fünf Prozent und die PDS käme mit vier Prozent nicht über die Fünf-Prozent-Hürde. Die rechten Republikaner, DVU und NDP lägen laut FORSA bei drei Prozent.
Soweit der Bundesdurchschnitt. Ganz anders das Bild im Ost-West-Vergleich. Während in den westlichen Bundesländern die SPD zwischen 41 und 43 Prozent, die CDU über 38 Prozent, die Grünen acht und die
FDP sechs Prozent der Stimmen einfahren würden, wäre die PDS mit einem Prozent weit abgeschlagen.
Auch im Osten könnte die SPD mit über 40 Prozent stärkste Partei werden, aber die CDU hätte mit 28 bis 30 Prozent wenig Chancen. Die PDS könnte hier auf 20 Prozent hoffen, während Grüne mit vier und
die FDP mit zwei Prozent außen vor blieben.
Da sich ein Viertel aller Wähler noch nicht für eine Partei entschieden hat und die Demoskopen im Osten eine bewegliche Wählerschaft mit wenig fester Parteibindung sehen, wittern die Parteien hier
eine Chance, in den letzten Tagen noch Boden gut zu machen. SPD-Kanzler-Kandidat Schröder ist jetzt der Ansicht, daß die Bundestagswahl "am allerletzten Tag entschieden" würde. Ebenso weiß Kanzler
Kohl, daß "viele Wähler erst in den letzten Tagen vor der Wahl ihre Entscheidung treffen".
Dementsprechend wird jetzt besonders um die Ostwähler gebuhlt. Vor einigen Tagen hat sich Schröder in allen Ostzeitungen an die "Lieben Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland" gewandt, die am 27.
September darüber entscheiden müßten, "ob wir nach der politischen endlich auch zur inneren Einheit finden werden". Drei weitere Schröder Inserate sind angekündigt. Ein Sonderplakat für die neuen
Bundesländer zeigt Schröder mit den SPD-Ministerpräsidenten der neuen Länder. Dem steht die CDU nicht nach. In einer speziellen Ost-Anzeigen-Kampagne in Tageszeitungen und Hörfunkspots sollen die
Wähler noch einmal an die erreichten Fortschritte erinnert werden. Für den Samstag hat die Union in den neuen Bundesländern einen Aktionstag "Blühende Landschaften" angekündigt. Die Berliner CDU will
mit einer Marzahner Erklärung eine "linke Republik" und eine "Rot-Grüne-Regierung" verhindern und schickte dazu den bekannten Jenoptik-Chef Späth ins Rennen. Die CSU will in den verbleibenden Tagen
Termine in Bayern absagen und Parteichef Waigel nach Magdeburg und Ministerpräsident Stoiber nach Schwerin in Marsch setzen.
Eine besondere Rolle spielt der Wahlkampf in der Bundeshauptstadt Berlin. Die Parteien, 23 sind hier zugelassen, geben etwa vier Millionen DM für ihren Wahlkampf aus. Mehr als 100.000 Plakate wurden
geklebt. Hier wird darüber entschieden, ob die PDS bei Nichtüberspringen der Fünf-Prozent-Hürde über drei Direktmandate wieder in den Bundestag einzieht. 1994 hatten der bekannte Schriftsteller
Stefan Heym in Mitte/Prenzlauer Berg (40,6 Prozent), Gregor Gysi in Karzahn (48,9 Prozent) und Manfred Müller in Hohenschönhausen (36,8 Prozent) die drei Direktmandate geholt. Ob dies wieder gelingt,
da die SPD ihren Vize Thierse in Prenzlauer Berg/Mitte gegen die junge Petra Pau ins Feld schickt, bleibt abzuwarten. Ein weiterer schwer abschätzbarer Faktor kommt in Berlin hinzu: Einige
zehntausend Spätaussiedler wählen, oft als Erstwähler. Von der CDU wurden sie in deutsch-russischen Flugblättern aufgefordert, die Union zu wählen, da ihnen Kanzler Kohl ermöglicht habe, nach
Deutschland zu kommen. Sie gelten als wertkonservativ und könnten eine wichtige CDU-Stütze sein.
Schwer voraus zu sehen ist das Wahlverhalten von zirka 3,3 Millionen jungen Bundesbürgern, die erstmals ihren Stimmzettel abgeben, ebenso das von zirka sechs Millionen Briefwählern. Aber mit Ausnahme
der Wahlergebnisse ist alles geregelt. Die 100 Millionen DM für die Kosten der Abstimmung liegen parat. In 80.000 Wahllokal stehen 600.000 ehrenamtliche Mitglieder der Wahlvorstände bereit. Der
Wahlsonntag kann kommen.