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Breite Allianz gegen Pflegeversicherung

Von Karl Ettinger

Politik

Bei einer Fachtagung war FPÖ-Klubchef Rosenkranz mit SPÖ-Chefin Rendi-Wagner bei der Finanzierung ungewohnt einig.


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Wien. Es kommt selten vor, dass ein FPÖ-Politiker mit seiner Position näher bei der SPÖ-Parteivorsitzenden als beim Koalitionspartner ÖVP ist. FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz stieß am Mittwoch bei der Pflegefachtagung des Sozialministeriums mit seiner Haltung zur künftigen Pflegefinanzierung auf besondere Aufmerksamkeit. Unmissverständlich lehnte er nämlich eine Pflegeversicherung nach deutschem Vorbild ab: "Das brauchen wir mit Sicherheit nicht."

In Deutschland gibt es eine eigene Versicherung. Der Haken daran ist, wie auch bei der Tagung als Auftakt für die Pflegereform im Herbst betont wurde, dass Betroffene trotz Versicherung kräftig etwa für Heimplätze zuzahlen müssen.

Bei der Finanzierung war mit der Aussage von Rosenkranz eine breite Front gegen eigene Pflegeversicherung perfekt. Diese reichte vom FPÖ-Fraktionschef über SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die Liste Jetzt mit Sozialsprecherin Daniela Holzinger-Vogtenhuber, die Vorarlberger Landesrätin Katharina Wiesfleckter (Grüne) bis zu Arbeiter- und Wirtschaftskammer. Deren Sozialexperte Martin Gleitsmann stellte fest: "Wir lehnen die Einführung einer Pflegeversicherung ab."

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) lässt derzeit Finanzierungsvarianten untersuchen. Sie ließ sich am Rande der Tagung die Möglichkeiten noch offen, hat aber selbst ihre Bedenken gegen das deutsche Modell bereits geäußert. ÖVP-Klubobmann August Wöginger richtete angesichts der breiten Abwehrphalanx auf dem Podium gegen eine Pflegeversicherung einen ausdrücklichen "Appell" an alle, dass "wir uns wirklich die verschiedenen Modelle ansehen". Knapp vier Monate nachdem die Regierung Anfang Dezember die Pflege als einen Schwerpunkt für 2019 ausgerufen hat, bildete die Tagung mit Bund-, Länder- und Gemeindepolitikern sowie Experten und Vertretern von Sozialorganisationen den Start des "Dialogs" zu einer Pflegereform.

Rosenkranz legte nicht nur ein klares Bekenntnis zur Fürsorgepflicht des Staates bei der Pflege ab. Der FPÖ-Klubchef lehnte dabei auch eine verpflichtende private Pflegeversicherung ab.

In einem Punkt schieden sich dann allerdings die Geister zwischen FPÖ und SPÖ sowie Grünen und Jetzt. Es könne nicht sein, dass die Bundesregierung sage, man wolle weniger Sozialabgaben und bei der Pflege ziehe man dann etwas anderes heraus. Damit nahm Rosenkranz Bezug auf ein Nein zu neuen Steuern wie der Vermögenssteuer. In dieser Frage herrschte wieder Einigkeit in der Koalition. Auch Wöginger erinnerte daran, dass man die Menschen entlasten und keine neuen Steuern wolle.

"Da schwindelt man sich ein bisschen um die Debatte herum, wie das dann gehen soll", warf die grüne Landesrätin Wiesflecker zur Finanzierung ein. Vermögenssteuern seien zu einem "Tabuthema" erklärt worden. Gleichzeitig sei im Vorjahr auch noch der Pflegeregresse für Bewohner von Pflegeheimen als Einnahmenquelle abgeschafft worden.

Insgesamt rund sechs Milliarden Euro werden unter Einrechnung der Selbstbehalte der Betroffenen in Österreich für Pflege aufgewendet. SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner trat klar für den von ihr schon zu Jahresbeginn vorgeschlagenen und steuerfinanzierten Pflegegarantiefonds ein: "Nein zur privaten Pflegeversicherung. Ja zu einem solidarisch finanzierten System." Anders als die grüne Landesrätin betonte die SPÖ-Chefin allerdings wenig später, dass man bei der Finanzierung über den "Tellerrand" der Erbschaftssteuer ab einer Million Euro hinausschauen müsse. Vielmehr gehe es etwa um Steuern bei großen Finanztransaktionen.

Sie erinnerte die Vertreter der türkis-blauen Koalition: "Ich frage mich, ob das Regierungsprogramm noch gilt, wo die steuerfinanzierte Pflege verankert ist." Wörtlich ist dort zur Finanzierung vermerkt: "Mit einem klaren Bekenntnis zur Steuerfinanzierung aus einer Hand muss garantiert werden, dass das Geld bei den Menschen ankommt und nicht in den Strukturen versichert."

Kritik am Wertverlust des Pflegegeldes

Jetzt-Sozialsprecherin Holzinger forderte wie die niederösterreichische Neos-Abgeordnete Edith Kollermann, entgegen den bisherigen Regierungsplänen müsse das Pflegegeld auch in den drei niedrigsten von insgesamt sieben Stufen erhöht werden. Davon profitieren Menschen, die großteils von Familienangehörigen gepflegt werden. Seit der Einführung des Pfleggeldes Mitte 1993 habe es in der obersten Stufe für Menschen mit dem größten Betreuungsbedarf eine "Enteignung"von 600 Euro gegeben, beklagte Holzinger, weil das Pflegegeld seither nicht jährlich valorisiert wird.

Über alle Parteigrenzen hinweg herrschte Einigkeit über den Vorrang der Pflege daheim gegenüber der stationären Hilfe. Österreichweit werden 80 Prozent der knapp 460.000 Bezieher von Pflegegeld zu Hause betreut. "Bei uns sind es über 90 Prozent", berichtete Niederösterreichs Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister. Die von der ÖVP gestellte Landesrätin warnte, sie habe etwas gegen "Einzelvorschläge und Schnellschüsse", weil dies für die Pflegereform hinderlich sei. Einig war man sich weiters darin, dass der Pflegeberuf attraktiver gestaltet werden müsse. Gemeindebundpräsident Alfred Riedl reklamierte, auch die Kommunen, die eine Milliarde für die Pflege aufbringen müssten, seien bei dem Dialog zu berücksichtigen.

Fehlende Plätze für betreutes Wohnen für Pflegebedürftige

Gleichzeitig mit der Tagung trat die Silver Living GmbH mit einem Bericht in Wien an die Öffentlichkeit, der auf ein anderes wachsendes Problem verweist: Entwickelt sich der österreichische Wohnungsmarkt wie bisher, droht ein Mangel an altersgerechten Wohnungen. Um dem demografischen Wandel und dem damit verbundenen erhöhten Pflegebedarf gerecht zu werden, würden bis 2029 rund 87.000 zusätzliche Wohneinheiten für "Betreutes Wohnen" benötigt, hieß es bei der Präsentation des Marktberichts zu "Seniorenwohnen".

Im Bericht wird vorgerechnet, dass bei der derzeitigen jährlichen Bauleistung von rund 1500 betreuten Wohneinheiten der Bedarf langfristig nicht gedeckt werden könne. Denn die über 60-jährige Bevölkerung wird in Österreich bis 2029 um circa 530.000 Personen wachsen. Der dadurch ansteigende Pflegebedarf könne aus volkswirtschaftlicher Sicht mittels betreuter Wohneinheiten sinnvoll abgefedert werden.

Der derzeitige Fokus der Politik auf pflegende Angehörige gehe langfristig gesehen in die falsche Richtung, sagte Walter Eichinger, Geschäftsführer der Silver Living GmbH. "Es wird einfach immer weniger Kinder geben, die ihre Angehörigen pflegen können." Was es hingegen brauche, sei vielmehr eine Ausweitung der Förderprogramme für betreutes Wohnen. Den Investitionsbedarf bis zum Jahr 2029 schätzte Eichinger auf rund 14,5 Milliarden Euro.