Türkis-Grün wandelt zwischen dem Vergraulen der Geimpften und der Angst vor der FPÖ und der Impfgegner-Partei.
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Es handle sich um eine "fast vollständige Rückkehr zur Normalität". Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter freute sich besonders über die am Mittwoch nach dem Bund-Länder-Treffen verkündete weitgehende Abschaffung der Corona-Beschränkungen ab 5. März und erste Lockerungsschritte schon an diesem Samstag. Das kommt nicht von ungefähr, die Tiroler ÖVP, deren Obmann Platter ist, geht in gut einer Woche, am 27. Februar, in Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen. In dem vom Tourismus dominierten Bundesland stoßen die Lockerungen für Gastronomie und Hotellerie bis hin zu den Seilbahnen auf offene Ohren.
Gleichzeitig hofft Platters ÖVP damit, den Freiheitlichen, die gegen Corona-Maßnahmen und Impfpflicht Sturm laufen, und der impfskeptischen Partei MFG (Menschen-Freiheit-Grundrechte) Auftrieb bei der Kommunalwahl zu entziehen. Die MFG hat die Alarmglocken nach dem überraschenden Einzug in den oberösterreichischen Landtag im September des Vorjahres und 17 Prozent im Jänner bei der Gemeinderatswahl im niederösterreichischen Waidhofen an der Ybbs noch mehr schrillen lassen.
Signal an pandemiemüde Menschen
Auf Bundesebene ist die Öffnung für ÖVP und Grüne dennoch eine heikle politische Gratwanderung. Ob Türkis-Grün davon profitieren kann, ist auch für Politikwissenschaftlerinnen keineswegs sicher. Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle verweist darauf, dass rund 80 Prozent geimpft seien, nun aber auch Ungeimpfte von Lockerungen profitieren. "Ich glaube, dass sie viele vergraulen", sagt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Man hat das Gefühl, sie knicken ein vor einer Minderheit."
Ihre Kollegin Katrin Praprotnik, Politikwissenschaftlerin an der Donauuniversität Krems, betont im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Es gibt genug Menschen, die sagen, ich bin pandemiemüde, die sich sehr über die Öffnungsschritte freuen. Das war ein Impuls, dass man positive Signale zum frühestmöglichen Zeitpunkt sendet." Für entscheidend, ob es einen politischen Nutzen für ÖVP und Grüne gibt, hält Praprotnik aber vor allem den Umstand, wie sich die Corona-Lage nach den Lockerungen entwickelt und ob die Regierung mit ihren Entscheidungen recht behält.
Hintergrund sind jedenfalls die Landtagswahlen in Niederösterreich, Kärnten und Salzburg in der ersten Hälfte 2023, die ihre Schatten vorauswerfen. In Niederösterreich geht es für die ÖVP mit Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner um die Verteidigung einer hauchdünnen absoluten Mehrheit, in Salzburg um die ÖVP-Führungsposition mit Landeshauptmann Wilfried Haslauer, in Kärnten stellt die SPÖ mit Peter Kaiser den Landeshauptmann. Vor allem ÖVP-Landeschefs haben zuletzt aus Sorge vor Stimmverlusten an MFG und FPÖ auf rasche Lockerungen und ein Aussetzen der Strafen aufgrund der Impfpflicht gedrängt. "Das ist sicherlich wegen der Nervosität auf der Landesebene her zu verstehen", meint Praprotnik. Noch steht allerdings auf Bundesebene die Entscheidung aus, ob es bis Mitte März tatsächlich zum Aussetzen der Strafen kommt.
Bei der ÖVP ist die Bundespartei mit Neo-Obmann Karl Nehammer intern mit der Öffnung zumindest den Wünschen der Länder und der Wirtschaft nachgekommen. Bei den Grünen gab es in den sozialen Medien hingegen Unmut darüber, dass man als kleinerer Koalitionspartner der ÖVP einmal mehr gefolgt sei. Im Zentrum der Kritik stand Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, der die Öffnungsschritte mit "stabile Verhältnissen" in den Normal- und Intensivstationen der Spitäler und einem erwarteten Rückgang von Corona-Neuinfektionen im März verteidigt hat.
"Die prinzipielle Kritik am Krisenmanagement der Regierung hat sich noch verstärkt", meint Stainer-Hämmerle. Kritik von Geimpften hat Praprotnik hingegen vor allem im Herbst 2021 gesehen, als im November entgegen früheren Zusagen nochmals ein allgemeiner Lockdown verhängt worden ist. Sie streicht noch einen anderen Unterschied hervor. Die Regierung habe bewusst nicht von einem "Freedom Day" gesprochen und auch nicht von einem "Ende der Pandemie", das habe man alles offengelassen. Im Herbst 2021 wurde der Regierung, voran Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz, zum Vorwurf gemacht, dass sie vor dem Sommer bereits signalisiert habe, die Pandemie sei zumindest für Geimpfte überstanden.
Auch SPÖ tut sich mit weiterem Kurs schwer
Gleichzeitig wird bezweifelt, dass die Öffnungsschritte FPÖ und MFG politisch besonders schaden. Innerhalb der Parlamentsparteien habe die FPÖ mit ihrem Nein zur Impfpflicht weiter ein "Alleinstellungsmerkmal", analysiert Praprotnik. Wenn die Corona-Beschränkungen fallen, könne das freilich der MFG "ein bisschen den Wind aus den Segeln nehmen." Allerdings stellt Stainer-Hämmerle fest: "Das Thema wegnehmen, kann man ihnen nicht mehr."
Während die Neos die Lockerungen als "längst überfällig" begrüßt haben, ist es auch für die SPÖ eine Gratwanderung. In Wien bleibt die SPÖ-dominierte Stadtregierung vorerst weiter bei strengeren Corona-Regeln. Auf Bundesebene gibt man sich vorsichtig-zurückhaltend. Statt Parteichefin Pamela Rendi-Wagner rückte zunächst Gesundheitssprecher Philipp Kucher für Öffnungen mit Maß und Ziel aus. Ein Sicherheitsnetz aus Impfen, Testen und Maskentragen solle aber erhalte bleiben.