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Genua - Der G-8-Gipfel der sieben führenden Industrienationen und Russlands hat es diesmal in sich. Die Staats- und Regierungschefs müssen sich vom kommenden Freitag an bis zum Sonntag in Genua nicht nur mit den Konfliktherden in Nahost und Mazedonien, der weltweiten Konjunkturflaute sowie dem Streit um den Klimaschutz befassen. Überdies sollen sie Zeugen einer Großdemonstration werden, zu der sich angeblich bis zu 150.000 Gegner der so genannten Globalisierungspolitik angesagt haben.
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Doch ungeachtet des bedrohlich großen Stroms friedlicher Demonstranten sowie anreisender Polit-Hooligans in die italienische Hafenstadt mit ihren engen Gassen - an Horrorszenarien voller Gewalt möchten weder der Gastgeber, Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi, noch die Bewohner denken. Scharfe Kontrollen an der italienischen Grenze, ein massives Auftreten der Polizei und die unglaublich klingende italienische Raketenabwehr auf dem Flughafen von Genua sollen das Schlimmste verhindern.
Konfliktstoff genug bieten schon die von den G-8-Teilnehmern USA, Russland, Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien, Frankreich, Kanada und Japan mitgebrachten Themen. Da ist das von den USA gerade erst erfolgreich getestete Raketenabwehrprogramm, mit dem der Gipfel-Neuling George W. Bush nicht nur seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin provoziert. Der US-Präsident scheint zudem entschlossen, nichts zum weltweiten Abbau der klimaschädlichen Treibhausgase leisten zu wollen. Eine Hoffnung für den Erfolg der parallel laufenden Klimaschutzkonferenz in Bonn liegt nur noch in der Überzeugungskraft der übrigen Gipfel-Teilnehmer.
Themen, bei denen die führenden Staatsmänner dichter beieinander liegen, sind die Bekämpfung von Aids und anderen Infektionskrankheiten sowie der Armut. Schon im Kommunique des Japan-Gipfels 2000 von Okinawa hatten die G-8 festgehalten: "Während der Prozentsatz der Armen in den Entwicklungsländern von 29 Prozent im Jahr 1990 auf 24 Prozent im Jahr 1998 gesunken ist, leben noch immer 1,2 Milliarden Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag. Wir werden mit den Entwicklungsländern zusammenarbeiten, um Programme und Einrichtungen zu etablieren, die den Menschen eine faire Chance bieten, ihre Lebensbedingungen zu verbessern."
Viele politische Gruppen, die an dieses Versprechen nicht glauben, machen sich auf den Weg nach Genua, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen: höhere Schuldenerlasse, Steuern auf Geldströme von Finanzspekulanten, keine neue Welthandelsrunde. Nach dem Scheitern der letzten Welthandelsrunde Ende 1999 in Seattle, die der Auftakt zu immer mehr Gewalt am Rande internationaler Tagungen war, wollen gerade die Europäer unter den G-8 Druck machen. Ihnen geht es vor allem darum, die Spielregeln des Welthandels zu Gunsten der armen Länder zu verbessern.
Weitere Schuldenerlasse für die Ärmsten der Armen sind nicht vorgesehen. Jetzt soll erst noch einmal die Umsetzung der Initiative von Köln 1999 beim ersten Gipfel des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder gefeiert werden. Von den 41 möglichen Erlass-Kandidaten blieben 23 übrig, andere verbauten sich durch Kriegshandlungen diesen Weg. Nun werden noch insgesamt 54 Milliarden Dollar (62,9 Mrd. Euro/866 Mrd. S) gestrichen. Größer herausgestellt werden soll der von UNO-Generalsekretär Kofi Annan angestoßene Milliarden-Gesundheitsfonds, der sich in Genua füllen soll. 70 Prozent aller 36 Millionen HIV-Infizierten leben in Entwicklungsländern. Fast 80 Prozent aller Aids-Toten stammen aus Afrika - im Jahr 2000 waren das 2,4 Millionen Menschen.
Die Welt wartet am kommenden Wochenende aber nicht nur auf Zeichen der Solidarität mit den Entwicklungsländern und auf Friedenssignale, sondern auch auf positive Anstöße für die lahmende Weltkonjunktur. Während Japan auf eine Rezession zusteuert, starren die Europäer auf die USA, um die ersten Lichtblicke von dort in klare Aufschwungsignale umzumünzen.