Investoren kehren WTI-Öl Rücken zu. | Politik wird als Risiko eingepreist. | Wien. Die Unruhen in Nordafrika treiben den Ölpreis weiter in die Höhe. Doch es gibt Unterschiede: Vor dem Wochenende kostete ein Öl-Fass der Nordsee-Sorte Brent rund 13 Dollar mehr (116 Dollar) als das amerikanische Vergleichs-Barrel der Sorte West Texas Intermediate (WTI, 103 Dollar). Dabei war WTI in den letzten Jahren nur etwa einen Dollar billiger.
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Brent-Öl gilt als Orientierungspreis nicht nur für den Öl-Handel in Europa, sondern auch in Asien und im Nahen Osten. Politische Risiken werden deshalb stärker eingepreist, während WTI-Öl von Krisen eher unbeeinflusst ist. "Das hat auch mit dem Cushing-Syndrom zu tun", erklärt Alexander Pögl, Abteilungsleiter bei der Energieberatungsfirma JBC. Cushing ist ein Kaff in Oklahoma - und der wichtigste Umschlagplatz für Erdöl. Dort wird das Öl physisch gelagert, während es auf den Ablauf von Terminkontrakten wartet. Die Lagerbestände sind derzeit voll und neues Öl kommt dank der neu fertiggestellten Keystone-Pipelines aus Kanada ständig dazu. "Das drückt auf den Wert der Future-Verträge", erklärt Pögl.
Flucht vor Regulierung
Neben den sinkenden Gewinnen bei WTI-Öl gibt es auch noch Drohungen der US-Regierung, Termingeschäfte auf Rohstoffe zu regulieren. "Das macht große Investoren, die lieber anonym handeln wollen, nervös. Die ziehen in Richtung London. Und dort treibt die neue Nachfrage auf Finanzprodukte rund um den Brent-Preis schließlich auch den Öl-Preis hinauf", erklärt Pögl.
"Es gibt im Brent-Preis sehr viel Spekulation. Das hängt auch damit zusammen, dass die Preisgestaltung relativ intransparent ist. Es gibt keine Lagerdaten und keinen Spotmarkt", bestätigt auch Erste-Analyst Ronald Stöferle. Er ist davon überzeugt, dass der Preis für Brent-Öl in den nächsten Monaten sich noch deutlich verteuern wird. "140 Dollar pro Fass sind im Sommer mehr als wahrscheinlich", meint Stöferle.
Er geht einerseits davon aus, dass sich die Konflikte in Nordafrika weiter verschärfen werden. Andererseits würde der Ölpreis auch ohne Nordafrika saisonal bedingt steigen. Denn in den Zeitraum März bis September fällt jene Zeit, in der in den USA viel Auto gefahren wird. Klassischerweise werden gleichzeitig einige Bohrinseln aufgrund der Hurricane-Saison temporär geschlossen. Und nicht zuletzt beginnen Ende Sommer die Einlagerungen des Heizöls.
Abseits der politischen Krisen hielten sowohl Stöferle als auch Pögl einen Ölpreis zwischen 80 und 90 Dollar pro Fass für gerechtfertigt. "Die Opec hat auch keine Freude damit, dass der Ölpreis so hoch ist. Aber sie kann den Markt natürlich nicht überschwemmen", sagt Pögl.
Der libysche Ausfall wird zumindest mengenmäßig kompensiert. Vor den Unruhen produzierte das Land 1,6 Millionen Fass am Tag. Schätzungen zufolge wurde die Produktion um bis zu 75 Prozent zurückgefahren. Saudi-Arabien ist bereits eingesprungen: Das Land hat vor den Unruhen rund 9,5 Millionen Barrel am Tag produziert. "Wobei ich ein bisschen Zweifel habe, ob die Saudis wirklich so viel produzieren können. Die haben in der Vergangenheit schon oft ihre Ziele verfehlt und noch nie mehr als 11 Millionen Barrel produziert", so Stöferle.
Und saudisches Öl hat einen Haken: Es enthält mehr Sulfur, die Qualität ist schlechter als bei libyschem Öl. Für Raffinerien ist die Verarbeitung deutlich aufwändiger. Das bedeutet, dass die Margen der Öl-Unternehmen auch zurückgehen können. "Europäische Raffinerien werden sich nach einem Libyen-ähnlichen Produkt umsehen und wahrscheinlich in Westafrika und Angola Öl zukaufen, das ein bisschen teuerer sein wird", glaubt Pögl.