Für den Handel mit Dienstleistungen konnten im Gegensatz zum Warenhandel keine vergleichbaren Erleichterungen erzielt werden - vor allem zum Leidwesen des Vereinigten Königreichs.
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Der rechtzeitige Abschluss des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (VK) hat zumindest für den Warenhandel zu Erleichterungen im Vergleich mit dem gerade noch abgewendeten No-Deal Szenario geführt. Auf Waren im beiderseitigen Handel werden weder Einfuhrzölle erhoben noch mengenmäßige Importbeschränkungen eingeführt. Vergleichbare Erleichterungen konnten für den Handel mit Dienstleistungen vor allem zum Leidwesen des VK jedoch nicht erzielt werden.
Wie in Österreich ist auch im Vereinigten Königreich der Dienstleistungssektor der mit Abstand wichtigste. Im VK machen Dienstleistungen rund 80 Prozent der Wirtschaftswertschöpfung aus. Die EU ist der größte Exportmarkt. Trotz Abschluss des Brexit-Abkommens wird die Erbringung von Dienstleistungen zwischen der EU und VK ab dem 1. Januar 2021 jedoch erheblich erschwert.
Dies mag auf den ersten Blick überraschend erscheinen. Das Abkommen enthält eine Reihe allgemeiner Bestimmungen zur Unterstützung des grenzüberschreitenden Handels mit Dienstleistungen. Etwa darf weder die EU noch das VK die Gründung einer lokalen Präsenz in Form einer Tochtergesellschaft fordern, bevor Dienstleistungen in einem bestimmten Staat erbracht werden können.
Abkommen enthält ein Meistbegünstigungsgebot
Weiters enthält das Abkommen ein Meistbegünstigungsgebot. Falls das Vereinigte Königreich beziehungsweise die EU in Zukunft günstigere Handelsbedingungen mit anderen Staaten vereinbaren sollte, kämen diese in weiterer Folge automatisch auch auf den Dienstleistungshandel zwischen dem VK und der EU zum Tragen.
Der Nutzen dieser Bestimmungen hält sich in der Praxis jedoch in Grenzen. Da beide Parteien als WTO-Mitglieder Vertragspartner des GATS Abkommen (General Agreement on Trade in Services) über den Handel mit Dienstleistungen sind, wäre das auch im GATS festgelegte Meistbegünstigungsgebot ohnedies zur Anwendung gelangt. Des Weiteren unterliegen die Bestimmungen zur erleichterten Erbringung von Dienstleistungen einer Vielzahl von Ausnahmen. Diese sind nicht nur nach Art der Dienstleistung, sondern auch nach dem jeweiligen Staat, in dem sie erbracht werden, unterschiedlich.
Mit dem Ende der Dienstleitungsfreiheit profitieren VK-Dienstleister nicht mehr vom Herkunftslandprinzip. Diese müssen daher entweder die unterschiedlichen Voraussetzungen jedes Mitgliedstaates einhalten oder sich in der EU ansiedeln.
Keine gegenseitige Anerkennung beruflicher Qualifikationen
Dienstleister verlieren außerdem die Möglichkeit, zur uneingeschränkten und bedingungslosen Arbeitsaufnahme in der EU beziehungsweise im Vereinigten Königreich. Während Bestimmungen für kurzzeitige Auslandsaufenthalte und eine vorübergehende Entsendung hochqualifizierter Mitarbeiter geschaffen wurden, sieht das Abkommen keine europaweite gegenseitige Anerkennung beruflicher Qualifikationen vor.
Das Abkommen schafft zwar einen Rahmen für die Anerkennung von Qualifikationen in der Zukunft. Für die Gegenwart sieht dessen Text jedoch vor, dass etwa Ärzte, Krankenschwestern, Zahnärzte, Apotheker, Tierärzte, Ingenieure oder Architekten ihre Qualifikationen in jedem Mitgliedstaat anerkennen lassen müssen, in dem sie praktizieren möchten.
Um die Möglichkeit zum kurzfristigen Auslandsaufenthalt zur Dienstleistungserbringung nutzen zu können, müssen unabhängige Fachkräfte über einen Ausbildungsabschluss sowie zumindest sechs Jahre Praxiserfahrung verfügen. Auf Ebene der Mitgliedstaaten kann die Dienstleistungserbringung an weitere Bedingungen wie etwa an die Einhaltung einer zulässigen Höchstdauer des Aufenthalts geknüpft werden.
Kein automatischer Binnenmarktzugang für VK-Finanzdienstleister
Auch die Tätigkeit der im VK ansässigen Anbietern von Finanzdienstleistungen wird ab diesem Jahr erheblich erschwert. Mit Ende der Übergangsperiode haben im VK ansässige Finanzdienstleister ihre Rechte zum EU-Passporting und damit den automatischen Binnenmarktzugang verloren. Das "Passporting" erlaubt in einem EU- beziehungsweise EWR-Mitgliedstaat zugelassenen Dienstleistungsanbietern die grundsätzlich freie Erbringung grenzüberschreitender Finanzdienstleistungen in anderen Mitgliedsstaaten, da angenommen wird, dass diese die gleichen Standards wie Leistungen lokaler Anbieter im jeweiligen Mitgliedsstaat erfüllen. Erleichterungen im Finanzdienstleistungsverkehr sollen nach dem Wunsch der Parteien Gegenstand eines spezifischen Abkommens betreffend die Äquivalenz angebotener grenzüberschreitender Finanzdienstleistungen werden. Die allfällige Möglichkeit der Schaffung eines Drittland-Passes gilt es jedoch jedenfalls noch auszuverhandeln.
Bis März 2021 soll eine Grundsatzvereinbarung über die regulatorische Zusammenarbeit in diesem Bereich getroffen werden. Bis dahin müssen VK-Finanzdienstleister ihre europäischen Kunden über eigenständige Tochtergesellschaften in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten betreuen.